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Drogen

Diese Künstler widmen Berliner Dealern eine ganze Ausstellung

Die 'Bild'-Zeitung und die AfD finden das so mittel.
Alle Fotos: Hanko Ye

Am Kottbusser Tor in Berlin Kreuzberg bekommt man so ziemlich alles: Sesamringe, Südfrüchte, Haschisch. "Do you need anything?", fragt ein Dealer. In vielen Cafés in der Gegend haben er und seine Kollegen Hausverbot. Ein paar Schritte weiter ein ehemaliges Fabrikgebäude: roter Backstein, daneben ein gläserner Anbau fürs Treppenhaus. Auf den ersten Blick kommt das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum in der Adalbertstraße recht unspektakulär daher. Doch genau hier vermuten die Wortführer der Alternative für Deutschland, rechte Aktivisten und Teile der Boulevardpresse seit einigen Tagen das neue Zentrum des politisch korrekten Wahnsinns in Deutschland. Und mit dem haben sie es bekanntlich nicht so.

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Im zweiten Stock des Museums sitzen die Künstler Scott Holmquist, Moro Yapha und Philipp Muras mit zwei Gästen im Stuhlkreis beisammen – eine kurzfristig anberaumte Besprechung. Davon hätten sie hier in letzter Zeit so einige gehabt, sagt Scott. Vor drei Wochen hatten der Künstler und das Museum ihre neue Ausstellung angekündigt. "Andere Heimaten" heißt die Schau, der nüchterne Untertitel: "Herkunft und Migrationsrouten von Drogenverkäufern in Berliner Parks". Eine Ausstellung über Dealer? Für viele Menschen und Medien in Deutschland ist das ein Skandal.


Auch bei VICE: Dieser Berliner hat ein ganzes Zimmer als Bällebad


Deutschlandweit hob die Bild die Geschichte als Erste auf den Titel. "Museum feiert Drogendealer" lautete eine von mehreren Schlagzeilen, die das Boulevard-Blatt der Ausstellung mittlerweile gewidmet hat. Burkard Dregger, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, lässt sich im Artikel mit den Worten zitieren, die Ausstellung sei "Ausdruck völliger Verkommenheit". Alice Weidel, AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, teilte den Artikel auf Facebook, ihr Kommentar: "Das gibt es wohl wirklich nur in Berlin." Ein Nutzer schrieb darunter: "Das schlägt rechtschaffenden Bürgern, wie Polizisten, Medizinern, Pflegern, Soldaten, ehrenamtlichen Helfern, Erziehern, Lehrern etc. ins Gesicht." Ein anderer: "Igitt, wie krank ist dieses herrschende Regime eigentlich?" In einer E-Mail an das Museum, die VICE vorliegt, "bedankt" sich der Absender für die Ausstellung: Sie würde einen "in Deutschland dringend nötigen Umschwung durch diesen deutlich erkennbaren Exzess weiter beschleunigen".

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Moro zeigt uns ein Modell der späteren Ausstellung

Als VICE die Ausstellung am Mittwoch vorab besuchen darf, ist vom Untergang des Abendlandes noch nicht viel zu sehen. Alles spielt sich auf einer Fläche von vielleicht 90 Quadratmetern ab, nicht viel größer als eine Berliner 3er-WG. An der Wand lehnen ein paar Bänke aus Pappe, auf ihnen sollen später Presseberichte über Berliner Dealer und Info-Material ausliegen. Ein Mitarbeiter schraubt Lampen in die Fassung, ein Hauch von Heißkleber steigt einem in die Nase.

In der Raummitte eine Silhouette, zwei Meter hoch und etwa halb so breit, aus daumendicker Pappe gesägt. 13 davon sollen hier am Ende stehen, erklärt Scott. Halb sehen die Aufsteller aus wie Menschen, halb erinnern sie an Bäume. Wenn die Besucher später die Ausstellung betreten werden, wird ihr Blick zunächst auf die leeren Vorderseiten fallen. Da sehen die Figuren noch alle gleich aus. Der eigentliche Inhalt offenbart sich dann auf den Rückseiten. Hier werden die Migrationsbiografien Berliner Dealer illustriert. Etwa mit Zitaten in ihren Muttersprachen, Fotos ihrer Herkunftsorte und Skizzen der Routen, auf denen sie nach Deutschland fanden. Die Namen der Dealer und nähere Informationen zu ihrem Leben aber bleiben geheim. "Es geht uns nicht um Individuen, sondern um Orte", sagt Scott. Deshalb haben sie Fotos von den Dörfern und Städten zusammengetragen, aus denen die Männer nach Berlin gekommen sind. Philipp sagt: "Die Recherche hat gezeigt, wie schwer es normalerweise ist, sich ein Bild von diesen Orten zu machen." Diesen Blick will die Ausstellung nun zulassen.

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159 Dealer haben die Künstler im Görlitzer Park und in der Hasenheide in Neukölln angesprochen. Gerade einmal 13 von ihnen beantworteten die Fragen der Ausstellungsmacher. Die Ergebnisse sind nun auf einer Karte zusammengefasst. Die ist um 90 Grad nach rechts gedreht, oben ist jetzt Westen, nicht Norden. Afrika liegt so nicht unter Europa, sondern daneben, auf Augenhöhe. Rote Linien führen aus Ländern wie Mali, Nigeria oder dem Senegal nach rechts, gen Europa. Über Zwischenstationen wie Casablanca und Paris landen sie schließlich alle in Berlin.

Die Karte, die auch in "Andere Heimaten" zu sehen sein wird

Alles in allem eine sozialkritische Ausstellung also, wie man sie in Berlin öfters zu sehen bekommt. Das öffentliche Interesse aber, das ist ziemlich einmalig – die Bedrohungslage ebenfalls. Erstmals in der 27-jährigen Geschichte des Museums hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen Sicherheitsdienst engagiert. Er soll die Gäste der Ausstellungseröffnung am kommenden Dienstag schützen. Sich von der medialen Kampagne abzuschirmen, ist schwerer. Die Hälfte der Ausstellungsmitarbeiter, berichtet Scott, wollten bereits nicht mehr namentlich erwähnt werden. Sie fürchteten, dass das Projekt ihnen beruflich schaden könnte.

Scott hat keine Angst. Vor sechs Jahren ist er aus den USA nach Berlin gekommen. Hier arbeitet er an Kunstinstallationen, vor einem Jahr forderte er bereits ein Denkmal für die Berliner Dealer, auch damit landete er in der Lokalpresse. Moro Yapha scheut die Öffentlichkeit ebenfalls nicht. Der Aktivist stammt aus Gambia, in Berlin produziert er unter anderem eine politische Radiosendung, die Dealer im Park nennt er schon mal seine "Brüder". Philipp Muras, der dritte im Bunde, zog vor 18 Jahren aus Bremen nach Berlin. Heute lebt der Maler um die Ecke vom Görlitzer Park. Etwa 200 Straßendealer sollen dort, Schätzungen der Bezirksverwaltung zufolge, regelmäßig Gras und andere Drogen verticken. Viele stammen aus afrikanischen Ländern. Philipp fürchtet – bei der aufgeheizten Stimmung zurzeit –, dass sich rassistische Denkmuster schon in den Köpfen seiner zwei kleinen Kinder festsetzen könnten. "In der Schule werden sie vor den Dealern gewarnt", sagt er. "Dann sehen sie: Die Dealer sind schwarz. Und schlussfolgern, dass alle Schwarzen so leben würden."

Das deutsche System diskriminiere seine Brüder, sagt Moro. Viele von ihnen hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Uniabschluss aus der alten Heimat mitgebracht. Trotzdem hätten mindestens 80 Prozent von ihnen keine Chance auf eine legale Tätigkeit. Weil sie keine Arbeitserlaubnis bekommen – zum Dealen brauchen sie die nicht. Mit Drogen seien die meisten erst hier, in Berlin, in Kontakt gekommen.

Moro will mit den Dealern zusammenarbeiten und ihre Situation verbessern. Scott will, dass Staat und Gesellschaft Drogen und Drogendealer entkriminalisieren – oder zumindest offen über das Thema diskutiert wird. Philipp will, dass sich zumindest die ganz große Aufregung bald wieder legt: "Wir dürfen uns den Diskurs nicht von rechten Medien diktieren lassen", sagt er.

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