Die Stimme der Verkauften: Sonita Alizadeh rappt gegen Kinderehe und Unterdrückung
Porträt von Josh Separzadeh

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The Restless Youth Issue

Die Stimme der Verkauften: Sonita Alizadeh rappt gegen Kinderehe und Unterdrückung

Mit acht floh sie vor den Taliban in den Iran. Als ihre Familie sie als minderjährige Braut verkaufen wollte, verteidigte sich die Afghanin mit messerscharfen Raps.

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Bis sie 16 war, erlebte Sonita Alizadeh vor allem Krieg, Armut und Ausgrenzung. Ihre ersten acht Jahre verbrachte sie in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban. Dann floh ihre Familie in den Iran, doch ohne Anspruch auf Asyl konnte sie in Teheran keine reguläre Schule besuchen. Sie lernte an der Flüchtlingsschule einer NGO, wo sie auch etwas Geld verdiente, indem sie putzte. In ihrer Freizeit hörte sie mir Vorliebe Rap und begeisterte sich immer mehr für das revolutionäre Potential von Protestliedern.

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Alizadehs Leben nahm eine dramatische Wendung, als ihre Familie beschloss, sie für 9.000 Dollar an eine afghanische Familie zu verkaufen. Mit diesem Geld sollte eine Braut für Alizadehs Bruder finanziert werden. In Afghanistan gelten Mädchen ab 16 als ehemündig, mit der Zustimmung des Vaters bereits ab 15. Angesichts einer Entscheidung, die Alizadeh zu einem Leben in Unterdrückung verdammen und ihre künstlerischen Ambitionen zunichte gemacht hätte, schrieb sie den Rap-Song "Daughters for Sale", in dem sie die archaische Tradition der Zwangsheirat anprangert. Die iranische Dokumentarfilmerin Rokhsareh Ghaem Maghami zahlte ihrer Familie Geld, um die Hochzeit hinauszuzögern, und drehte ein Musikvideo mit ihr. Daraufhin wurde die Non-Profit-Organisation The Strongheart Group auf sie aufmerksam und bot ihr ein Stipendium für eine Internatsschule in Utah an. VICE hat mit der heute 20-jährigen Alizadeh darüber gesprochen, wie die Musik ihr Leben gerettet hat und wie sie damit anderen helfen will.

VICE: Hast du im Rap von Anfang an eine Plattform für sozialen Wandel gesehen?
Sonita Alizadeh: Der soziale Einfluss von Rap hat mich fasziniert. Es ist ein Genre, das seinen Themen Gewicht verleiht. Für mich ist es auch das effektivste Medium, um meine Geschichte zu erzählen und Menschen zu erreichen.

Warst du politisch aktiv, bevor du mit dem Rappen angefangen hast?
Ich fand es immer wichtig, Ungerechtigkeiten anzusprechen, die ich im Alltag erlebte. Meine erste Bühnenerfahrung hatte ich in Stücken gegen Kinderarbeit. Meine Freundinnen kamen mit blauen Flecken und gebrochenem Geist in die Schule, nachdem sie ihre Eltern angefleht hatten, sie nicht in die Ehe zu verkaufen. Also schrieb ich Gedichte darüber und machte Rap-Songs daraus.

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Dein Leben sähe ganz anders aus, wenn du nicht "Daughters for Sale" geschrieben hättest. Welchen Einfluss hat dieser Song?
Meine Musik und meine Geschichte haben Freundinnen zu Hause ermutigt, ihren Familien die Stirn zu bieten und der Zwangsehe zu entkommen. Aber als ich in die USA kam, waren die meisten leider schon verheiratet und hatten Kinder. Das Gute ist, dass diese Freundinnen für ihre eigenen Töchter jetzt etwas anderes wollen und auch ihre Söhne über das Thema aufklären. Leute aus der ganzen Welt sagen mir, dass meine Musik sie ermutigt hat, etwas zu verändern.

Frauen, die ein Ende der Kinderehen fordern, müssen mit Repressalien rechnen. Rätst du ihnen trotzdem, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Frauen, die in konservativen Gesellschaften öffentlich den Status Quo infrage stellen, werden tatsächlich oft bedroht. Es nicht zu tun, ist aber auch keine Lösung. Nur Frauen, die sich weigern zu schweigen, können wirklich etwas verändern. Unsere Gegner können uns einzuschüchtern, aber sie werden uns nicht zum Schweigen bringen. Wir sind ein Echo der Stimmen von Frauen und Mädchen, die in Gefahr schweben. Ich rate jungen Aktivistinnen, die Hoffnungen und Träume dieser Mädchen am Leben zu halten.

Kinderehen beinträchtigen nach wie vor die Leben von Frauen auf der ganzen Welt. Wie äußert sich dein Aktivismus heute und wie hat sich dein Leben in den USA darauf ausgewirkt?
Als ich in den USA ankam, verstanden die wenigsten an meiner Schule, wie verbreitet Kinderehen noch sind. Ich wollte dagegen vorgehen, hatte aber die Zusammenhänge noch nicht erfasst. Mit Zugang zu mehr Informationen konnte ich die Wurzeln des Problems auf lokaler und nationaler Ebene erforschen. Ich habe meine Geschichte wichtigen Persönlichkeiten erzählt und die ökonomischen und sozialen Hintergründe betont. Ich will mit dem Märchen aufzuräumen, Kinderehe wäre für Mädchen der sicherste Weg. Ich arbeite mit der Strongheart Group und Organisationen wie Girls not Brides zusammen, um die Politik, aber auch das Verhalten der Leute zu ändern – vor allem durch Bildung.

Kann man die Lage der Frauen und Mädchen verbessern, ohne Normen und Werte zu verändern?
Sozialer Fortschritt lässt sich nicht verordnen. Kinderehe hat mit Armut, fehlender Bildung und sozialer Sicherheit zu tun. Wir müssen alle erreichen: Betroffene, uninformierte Leute und Führungspersönlichkeiten. Aber es wird sich nichts tun, wenn nicht auch Familien direkt beteiligt sind.

Wie stellst du dir dein Leben nach der Highschool vor?
Ich will studieren, Musik produzieren und mit meiner politischen Arbeit weitermachen. Ich schreibe gerade einen Song darüber, wie wir in Afghanistan zusammenfinden können. Ich möchte jungen Leuten eine positive Vision für ihre Zukunft politischen geben. Ich werde eine weltweite Rap-Challenge organisieren, bei dem Jugendliche Songs für das Ende der Kinderehe schreiben.

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