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Was man als alleinreisende Frau tun sollte, wenn man Opfer von Gewalt wird

Charlotte, Katie und Lucy erlebten auf ihren Reisen alle denselben Albtraum: Sie verliebten sich in einen Mann, der zum Gewalttäter wurde.
Die Travel-Bloggerin Lucy geriet in Deutschland in eine gewalttätige Beziehung
Die Travel-Bloggerin Lucy geriet in Deutschland in eine gewalttätige Beziehung | Foto: bereitgestellt von @absolutelylucy

Als Charlotte aus Australien nach Hause nach England flog, waren von ihrer Urlaubsromanze noch drei Dinge übrig: ihr Pass, einige gebrochene Rippen und eine ungewollte Schwangerschaft. Sie war erst 19 und versuchte, die neugierigen Blicke der anderen Passagiere zu ignorieren.

Heute ist Charlotte 33 Jahre alt. Sie gehört zu den vielen Frauen, die während ihrer Reisen eine gewalttätige Beziehung erlebt haben. Einige von ihnen sind mit ihren Koffern aus Fenstern gesprungen. Andere flohen ohne jegliches Hab und Gut. Alle empfanden ihre Reisen anfangs als eine Art Übergang zur Unabhängigkeit, mit neuen Freunden auf der ganzen Welt. Aber wer weit weg ist von Freunden und Familie, der weiß im Notfall auch nicht so schnell, wer einem helfen kann.

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So wie meine Freundin Katie. Sie rief mich aus Kambodscha an und erzählte, dass ihr Ex-Freund schon wieder bei ihr eingebrochen war und ihr mit Gewalt gedroht hatte. Was macht man in so einer Situation? Wie können alleinreisende Frauen sich schützen? Und was kann man tun, wenn es bereits zu spät ist?

Auf der anderen Seite der Welt klickte ich mich hektisch durch die Websites von nicht mehr existierenden Hilfsorganisationen und hatte eigentlich keine Ahnung, was ich tun sollte. Wie ist es dann erst für Betroffene, die sich – möglicherweise verängstigt – auf das unzuverlässige Hostel-WLAN als einzigen Draht nach Hause verlassen müssen?


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Charlotte überkam diese Angst, als ihr damaliger Freund Mike in Vietnam plötzlich gewalttätig wurde. Wie wohl alle erfahrenen Backpackerinnen und Backpacker wissen, kann eine Beziehung während der Reise schnell den kompletten Alltag bestimmen. "Du bist ja tagsüber nicht arbeiten und triffst dich dann abends mit deinem Partner", sagt Charlotte. "Nein, ihr bereist zusammen ein wunderschönes Land und verbringt quasi jede Minute zusammen. Das ist eine unglaublich intensive Erfahrung. Das klingt jetzt naiv, aber ich glaubte wirklich, ihn zu lieben."

Für viele der Frauen, mit denen ich für diesen Artikel sprach, begann der Albtraum, als der erste Besuch in der Heimat des Freunds anstand. So lernte Charlotte in Australien eine ganz andere Seite von Mike kennen: Plötzlich drehte er völlig durch, wenn sie abends fortging, um neue Leute kennenzulernen.

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Charlotte hat sich geschämt, auf ihrer Reise geschlagen worden zu sein

Schließlich fand Charlotte heraus, dass sie schwanger geworden war. Mikes Reaktion: Er stieß seine Freundin eine Treppe runter und sperrte sie aus seiner Wohnung aus. "Alle meine Klamotten, mein Geld und meine Reiseschecks waren weg", erzählt sie. "Ich hatte eine Scheißangst und das Gefühl, nirgendwo anders hinzukönnen."

Wenn alleingelassene Opfer von Gewalt an einem fremden Ort Glück haben, gibt es zumindest eine couragierte Bekannte oder einen couragierten Bekannten. Charlottes einzige Freundin in Australien schaffte es, Charlottes Pass von Mike zurückzuholen. Und sie half ihr dabei, den Heimflug zu bezahlen.

Rückblickend ist sich Charlotte bewusst, dass es in Melbourne wohl auch Hilfseinrichtungen für ausländische Opfer von häuslicher Gewalt gegeben hätte. "Wenn du als Schwangere aber gerade von deinem Partner geschlagen wurdest und große Angst hast, dann denkst du in dieser Situation nur selten an so etwas", sagt sie.

AbsolutelyLucy travel blogger

Lucy sagt, dass die Realität ihrer gewalttätigen Beziehung absolut nichts mit ihrer heilen Instagram-Welt gemein hatte | Foto: @absolutelylucy

Wie viele andere Frauen, die auf Reisen zu Opfern von Gewalt werden, hat Charlotte während ihrer Tortur nie zu Hause angerufen, weil sie sich schämte und niemandem Sorgen bereiten wollte. "Ich verriet meiner Mutter nichts, weil ich befürchtete, dass dann alles aus mir herausplatzen würde", sagt Charlotte. Zurück in England kam sie erstmal zwei Wochen bei einer Freundin unter. "In dieser Zeit konnten meine Verletzungen abheilen", erzählt sie. "Erst nach der Abtreibung ließ ich mich wieder bei meinen Eltern blicken."

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Als Charlotte in den 00er-Jahren die Welt bereiste, bestand ihr Adressbuch noch aus aufgekritzelten Telefonnummern. In der heutigen Social-Media-Zeit ist es für Backpacker da viel einfacher, sich auch abseits der Tourismusblase mit der Welt zu verbinden. Gegen die Einsamkeit, die viele Frauen auf Reisen immer noch verspüren, hilft das aber nicht immer.

Auf Instagram inszenierte Lucy eine heile Welt – in Wahrheit sah es ganz anders aus

So ging es zum Beispiel der Travel-Bloggerin Lucy, deren Zeit in Deutschland in Wahrheit ganz anders aussah, als es ihre Heile-Welt-Bilder auf Instagram suggerierten.

"Ich bekam Nachrichten, in denen ich um meine Beziehung beneidet wurde", sagt Lucy. "Da wurde mir richtig schlecht, weil ich mich gerade mit meinem Freund gestritten hatte oder er mir ins Gesicht geschlagen hatte."

Nach mehreren fehlgeschlagenen Fluchtversuchen schaffte es Lucy Anfang des Jahres mit Hilfe ihrer Arbeitstelle, nach Großbritannien zurückzukehren. Warum sie versuchte, eine heile Welt zu inszenieren, sagt sie nicht. Doch seit sie zurück ist, bleibt sie immer bei der Wahrheit. Seitdem schreibt sie über das Thema Gewalt auf Reisen und kann sich vor Nachrichten von anderen Betroffenen kaum retten. "Es ist so wichtig, darüber zu reden", sagt sie.

Alle sind auf der Durchreise – so entsteht kaum Loyalität unter Freunden

Meine Freundin Katie hatte kein Problem damit, um Hilfe zu bitten. Jeder wusste, dass ihr Ex gewalttätig sein konnte und überall dort auftauchte, wo sich Katie in Phnom Penh aufhielt. Aber die Freunde, die sie dort hatte – eine Gruppe Studierender, die vor allem Party machen wollten –, schauten lieber weg.

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"Wer die Stimmung nach unten zog, war ein Problem", sagt Katie. "Die Leute dort kommen und gehen, weswegen sich auch keine wirkliche Loyalität entwickelt." Dieses sich immer drehende Karussell an neuen Leuten in der Stadt ist für Missbrauchstäter wie Katies Ex Gold wert. So konnte er sich immer wieder neue Freunde suchen, bevor die alten sein wahres Gesicht erkannten.

Umgeben von unheimlichen Typen und tatenlos zusehenden Bekannten fand Katie schließlich in privaten Facebook-Gruppen für weibliche Expats in Phnom Penh ein offenes Ohr. "In diesen Gruppen geht es oft um grundlegende Dinge wie Geschäfte, die Tampons verkaufen", sagt Katie. "Ab und an schreibt aber jemand etwas über einen wirklich schlimmen Zwischenfall. Dann bekommt man auch Unterstützung. Weil man sich in der Stadt aber kennt, besteht immer das Risiko, dass jemand der beschuldigten Person etwas steckt."

Was Betroffene am besten tun sollten

Katie ist jetzt wieder in Großbritannien, aber die Angst vor ihrem Ex ist nicht gewichen. Ich habe mit Baljit Bains von der Anwaltskanzlei Wilson Solicitors darüber gesprochen, was Frauen tun können, die etwas Ähnliches wie Katie erleben.

Bains weist zuerst darauf hin, dass die Definition von häuslicher Gewalt von Land zu Land unterschiedlich ist. Am besten habe man die Kontaktdaten der Auslandsvertretung des eigenen Heimatlands irgendwo gespeichert. Dort bekomme man schnell Infos über Hilfsorganisationen. Und dort werde einem dabei geholfen, neue Reisedokumente zu besorgen und die Familie zu Hause zu kontaktieren.

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Außerdem gibt Bains zu Bedenken, dass "es sehr schnell eskalieren kann", wenn man in solchen Fällen die örtliche Polizei einschaltet. "Wenn jemand einen gewalttätigen Übergriff meldet, ist es möglich, dass es rasch zu einer Gerichtsverhandlung kommt." Die Anwältin empfiehlt, sich in diesem Fall ebenfalls bei der jeweiligen Auslandsvertretung über geeignete Rechtsbeistände zu informieren und zu checken, ob die eigene Reiseversicherung auch anfallende Rechtskosten übernimmt.

Unterm Strich kann man sich nie wirklich auf alles vorbereiten, was passiert, wenn sich das eigene Backpacking-Abenteuer in einen gewalttätigen Albtraum verwandelt. Aber eine Sache spricht Charlotte klar und deutlich aus: "Es ist unglaublich wichtig, füreinander da zu sein. Ich werde nie aufhören, über meine negativen Erfahrungen zu sprechen. Ich glaube nämlich, dass Frauen viel mehr leiden, wenn sie wegen ihrer Scham lieber nichts sagen."

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