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Aus dem Kriminalarchiv

Die Geschichte von "Pumpgun-Ronnie" – dem Bankräuber, Mörder und Marathon-Rekordhalter

Vor 30 Jahren überfiel ein Mann mit Ronald-Reagan-Maske und Schrotflinte in Österreich mehrere Banken; und veränderte neben der Medienlandschaft auch das Waffengesetz. Aber wer war Johann Kastenberger?
Filmstill aus Der Räuber (2010), einer Spielfilm-Version der Geschichte um "Pumpgun-Ronnie"

Das Jahr ist 1988. Die Sowjetunion beginnt mit dem Rückzug aus Afghanistan, Mike Tyson dominiert im Schwergewichts-Boxen, Die Ärzte lösen sich auf und in Ramstein fordert ein Unglück während einer Flugshow 70 Tote. Der sowjetische Staatschef heißt Michail Gorbatschow und der amerikanische Präsident Ronald Reagan. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Einigung Deutschlands stehen kurz bevor, ohne dass es jemand ahnt.

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In Österreich läuft sowieso alles nochmal viel beschaulicher und isolierter ab. Die Charts werden von Austropop-Acts wie Rainhard Fendrich oder Edelweiss beherrscht. Das Kabinett Vranitzky II laboriert zum 50. Jahrestages des "Anschlusses" noch immer an der Vergangenheit des amtierenden Bundespräsidenten Kurt Waldheim, der gerade mitten in der nach ihm benannten Affäre um seine NS-Vergangenheit steckt.

Mitten in dieser End-Achtziger-Apathie werden die Titelblätter der Presse von einer beispiellosen Serie an Banküberfällen dominiert, die alle etwas gemeinsam haben: Der Täter geht ausgesprochen entschlossen vor, ist mit einer Pumpgun bewaffnet und trägt eine Ronald-Reagan-Faschingsmaske.

Österreich: in Verbrechen führend

Die Medien – und hier allen voran die Krone, wie unser Blick ins Archiv zeigt – finden schnell ein Alias für den meistgesuchten Verbrecher Österreichs. Sie taufen ihn "Pumpgun-Ronnie". Und noch etwas fällt auf: Schon Jahre vor Kathryn Bigelows prägendem Action-Feuerwerk Point Break war Pumpgun-Ronnie der erste medienbekannte Schwerkriminelle, der das Antlitz von Ronald Reagan als Maskierung wählte. Im Gegensatz zur landläufigen Ansicht, dass Österreich bei allem "50 Jahre später" dran ist, wie bereits Gustav Mahler es einst formulierte, hatte es zumindest bei Verbrechen schon immer eine gewisse Vorreiterrolle.

Was aber ganz Österreich noch mehr beschäftigte, war die bisher kaum übliche Tatwaffe: Die Pumpgun kannte man in Österreich in den Achtzigern vor allem als exotisches Action-Gerät aus Hollywood. Technisch gesehen handelt es sich um eine Vorderschaft-Repetierflinte – also eine Schrotflinte, die in einem Langmagazin bis zu sieben Patronen beherbergt und über die charakteristische Vor- und Zurückbewegung ("Pump-Action") nachgeladen wird.

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Auch auf VICE: Ein Blick auf Österreichs fanatische Waffen-Welt


Pumpgun-Ronnie überfällt zwischen dem 20. November 1987 und dem 21. März 1988 insgesamt sieben Banken. Für einen organisierten Täter an sich kein besonders auffälliger Schnitt; bemerkenswert ist aber, dass er am 19. Februar 1988 gewissermaßen einen lupenreinen Hattrick schafft, als er an einem Tag gleich drei Banken ausraubt. Einen Monat später nimmt er nochmals drei Banken innerhalb von zwei Tagen hoch.

Die Gesamtbeute dieser außergewöhnlichen Serie in Wien und Niederösterreich beträgt laut damaligen Medienberichten, rund sechs Millionen Schilling (inflationsbereinigt rund 800.000 Euro). Jedes Mal kann der Bankräuber unerkannt mit gestohlenen Autos oder zu Fuß flüchten, wobei Augenzeugen übereinstimmend bemerken, dass er sehr schnell und ausdauernd rennen kann.

Was dem Täter dabei nützt, ist die schlechte Sicherung der Banken; beispielsweise sind die heute obligatorischen Alarmpakete mit Färbekapseln damals noch in der Testphase und funktionieren nicht zuverlässig. Die Sondereinheit der Kripo schreibt satte 370.000 Schilling Belohnung für Hinweise zur Ergreifung aus.

Magische Geldvermehrung, kostspielige medizinische Behandlungen

Am 11. November 1988, knapp ein Jahr nach Beginn der Raubserie, die genauso plötzlich begonnen wie abgerissen war, verhaftet die Polizei ihren Täter:

den einschlägig vorbestraften Johann Kastenberger. Vier Jahre Beschäftigungslosigkeit bei gleichzeitig ständiger Verfügbarkeit von viel Geld, eine passende Beschreibung und modische Übereinstimmungen mit den Bildern aus den Überwachungskameras ergeben eine ziemlich dichte Indizienkette gegen ihn.

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Johann Kastenberger gesteht schließlich nicht nur die Serie vom Jahresbeginn, sondern auch noch einen länger zurückliegenden Banküberfall. Das wichtigste Beweisstück dabei: zwei Schließfächer mit Geld und Unterlagen, die zur Beute führen, werden von Kastenbergers Freundin, Veronika Junek, verwaltet.

Am Anfang der Raubserie lässt sich seine Freundin das plötzliche viele Geld noch als Lottogewinne weismachen. Als sie ihn jedoch durch die Fahndung via Aktenzeichen XY und Aufnahmen aus den Überwachungskameras als den gesuchten Serienbankräuber erkennt, wird sie zur Komplizin. Sie verteilt die Beute geschickt in diverse Wertpapiere und Konten über zwölf verschiedene Bankinstitute.

Nur einen geringen Teil des Geldes verbrauchen die beiden gleich, nachdem Kastenberger auf Bitte der Freundin die Überfälle einstellt; für Urlaube und kostspielige medizinische Behandlungen – 100.000 Schilling für Veronikas Zahnarzt, "einige 10.000" für sportmedizinische Behandlungen bei Kastenberger selbst – sowie ein neues Auto. Die berühmte Maske sowie die ikonische Pumpgun wirft er angeblich in die Donau; beides bleibt bis heute verschwunden.

Der Boom der Pumpgun in Österreich

Kronen Zeitung, 25. 3. 1988

Anders als Kastenbergers Waffe verschwindet sein Einfluss auf den österreichischen Waffenmarkt aber nicht ganz so schnell. Trotz oder gerade wegen der ausführlichen und reißerischen Berichterstattung beginnen in Österreich Anfang der 90er Jahre die ab 18 Jahren frei erhältlichen Pumpguns zu boomen. Angefacht wird der Trend durch die damals noch nicht notwendige Registrierung, den ausgesprochen günstigen Preis ab gerade mal 3.000 Schilling (heute etwa 400 Euro) und den aufflammenden Jugoslawienkrieg – eine hohe Anzahl dieser Waffen wird ins benachbarte Ausland verbracht.

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1996 verbietet der Gesetzgeber schließlich den Erwerb und Besitz der Vorderschaft-Repetierflinten und fordert Besitzer zur Abgabe auf. Gleichzeitig wird die Registrierungs- und Waffenbesitzkartenpflicht für halbautomatische Flinten eingeführt. Viele pfeifen aber dennoch auf die Formalitäten. Nach konservativen Schätzungen befinden sich in Österreich noch heute 60.000 Pumpguns in unregistriertem Privatbesitz.

Eine Pumpgun besitzt – auch nach Einschätzung eines Waffenhandels, der hier anonym bleiben möchte – keinerlei sportlichen oder jagdlichen Mehrwert; sie ist ein stumpfes Werkzeug mit verheerender Wirkung, das nur dem Einschüchtern oder Töten dient.

Der Marathon-Mann auf der schiefen Bahn

Soviel zur Waffe; zurück zu dem, der sie bediente. Wer war dieser 30-jährige, durchtrainierte Typ mit dem Allerweltsgesicht und dem genauso durchschnittlichen Namen? Darüber gibt die damalige Berichterstattung in den Medien Aufschluss, die uns das Polizeiarchiv zur Verfügung stellte.

Als eines von sieben Geschwistern einer alleinerziehenden Mutter hat Kastenberger in den 70er Jahren wenig zu lachen. Seine schwachen schulischen Leistungen bieten eher triste Perspektiven. Nur im Sport ist Johann wirklich gut. Ein Bundesligaklub will ihn sogar in die Jugendmannschaft aufnehmen.

Die Siegerzeit von 3:16:07 gilt immer noch als offizieller Marathon-Rekord.

Weil er dafür aber auf die Unterstützung seiner Mutter verzichten müsste, lehnt der Junge ab und konzentriert sich stattdessen auf den Laufsport. Schnell gehört er zur nationalen Spitze, trainiert mit Österreichs besten Leichtathleten und holt sich sogar im Jahr 1988, also neben seiner Haupttätigkeit als Bankräuber, den Sieg beim Kainacher Bergmarathon, der mit 1.800 Höhenmetern als anspruchsvollster österreichischer Berglauf gilt.

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Die bemerkenswerte Siegerzeit von 3:16:07 gilt übrigens immer noch als offiziell aufrechter Rekord. Trotz seines Talents und der körperlichen Fitness beim Sport fehlt es ihm im echten Leben wiederholt an Durchhaltevermögen. Mehrere abgebrochene Ausbildungen und sogar das vorzeitige Ende seiner Ambitionen bei der österreichischen Heeressport- und Nahkampfschule sprechen für sich.

Mit 18 Jahren überfällt Kastenberger eine Bank in Pressbaum. Es ist sein erster Überfall. Er wird geschnappt und zu sieben Jahren Haft verurteilt, die er aufgrund von vier gescheiterten Fluchtversuchen auch voll absitzen muss.

Viel später tauchen in den Medien Briefe an Mitgefangene aus dieser Zeit auf, die durch verstörende Gewaltfantasien zwei wesentliche Charakterzüge offenbaren: einerseits einen kompromisslosen Freiheitsdrang sowie andererseits die Bereitschaft, wenn nicht sogar den Wunsch, zu töten. Nach seiner Entlassung trifft er eine Freundin aus Kindertagen wieder. Die beiden werden ein Paar und ziehen zusammen. Trotz Erwerbslosigkeit scheint er – auch aufgrund seiner sportlichen Erfolge – halbwegs in der Gesellschaft angekommen zu sein. Ein Trugschluss, wie sich im Lauf der Ermittlungen herausstellt. Kastenberger ist eine tickende Bombe.

Aus einer Lappalie wird Mord

Das zeigt sich schon ein Jahr nach seiner Haftentlassung. 1985 besucht er einen Fortbildungskurs am WiFi (dem österreichischen Wirtschaftsförderungsinstitut). Während der Kursstunden bittet der fanatische Nichtraucher und Antialkoholiker Kastenberger seinen Kurskollegen Ewald Pollhammer mehrfach, das Rauchen einzustellen. Die Männer geraten in Streit. Am Abend des 13. August 1985 schließlich besucht Kastenberger den verhassten Raucher Pollhammer in seinem Zuhause in Mautern an der Donau.

Als der 28-jährigen Mechaniker die Haustüre öffnet, wird er kaltblütig erschossen. Seine Frau und der sechsjährige Sohn schrecken zwar aus dem Bett hoch, finden aber nur noch die Leiche vor. Die Tatwaffe ist auch hier eine Pumpgun. Später wird Johann Kastenberger überführt.

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Nur wenige Stunden nach dieser Tat versucht er, eine Bank zu überfallen, muss den Vorgang aber wegen aufmerksamer Passanten vorzeitig abbrechen. Ermittler befragen ihn sogar kurz darauf zu dem Mord sowie dem Raubversuch, aber seine ihm mittlerweile hörige Freundin gibt ihm ein falsches Alibi – und deckt damit den Mörder.

Kastenbergers hohe kriminelle Energie reicht zu dem Zeitpunkt also so weit, wegen einer Bagatelle, vorsätzlich zu töten. Sie zeigt sich auch noch ein letztes Mal nach seiner Verhaftung im November 1988.

450 Beamten, 34 Diensthunde und drei Hubschrauber

Nur einen Tag nach seiner Verhaftung wegen der zahlreichen Banküberfalle und einem umfassenden Geständnis entkommt Kastenberger. Er springt während des Verhörs aus dem Fenster im 1. Stock und taucht für zwei Tage unter. Als er von zwei Polizeibeamten gestellt wird, entreißt er einem der beiden die Dienstwaffe und kann erneut zu Fuß flüchten.

Tags darauf scheitert der Versuch, eine Autofahrerin zu kidnappen. Einen weiteren Tag später gelingt es ihm aber, einen Autofahrer zu fesseln und seinen Wagen zu entwenden. In einer filmreifen Verfolgungsjagd unter der Beteiligung von 450 Beamten, 34 Diensthunden und drei Hubschraubern entlang der Westautobahn wechselt er nochmal das Auto.

Kastenberger ist längst im Panik-Modus. Er rast durch eine Straßensperre. Die Polizei eröffnet schließlich das Feuer auf den Flüchtenden. Eine Kugel trifft den Mann, den die Medien nach wie vor "Pumpgun-Ronnie" nennen, in den Rücken. Er hält den Wagen an und begeht mit der drei Tage zuvor entwendeten Polizeiwaffe Suizid, noch bevor die nachrückenden Beamten ihn festnehmen können.

Einer der spektakulärsten Kriminalfälle Österreichs kommt so zu einem Ende, wie man es sonst nur aus Hollywood-Action kennt. Die Medien berichten während der frenetischen Suche nach dem äußerst gefährlichen Täter ausführlich und in teils grenzwertigen Stil.

Am Ende präsentieren sie den letztendlich toten Flüchtigen wie eine Trophäe: hinter dem Steuer sitzend, mit abgesenktem Kopf, den Pulli voller Glassplitter. Die Schlagzeilen dazu nicht minder drastisch; die Bildbeschreibungen detailreich; mit erkennbarem Stolz über das Ende der, wie es hieß, "teuersten Verbrecherjagd aller Zeiten".

Seither hat sich zum Glück medienethisch viel getan. Nicht zuletzt auch wegen des im selben Jahr in Deutschland stattfindenden Gladbecker Geiseldramas. In der Folge versucht die Polizei, noch weitere ungelöste Mord- und Raubfälle mit Kastenberger in Verbindung zu bringen, aber die Spuren sind zu vage. Was bleibt, ist ein deutlich reformiertes Waffengesetz, ein beachtlicher Laufrekord und die wohl spektakulärste Überfallserie der österreichischen Kriminalgeschichte – das Vermächtnis von Johann Kastenberger alias Pumpgun-Ronnie.

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