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Drogen

Die Legalisierung von MDMA als Therapiemittel rückt näher

Wir haben mit einem Teilnehmer der ersten erfolgreichen Versuche gesprochen. Er hat sein altes Leben bereits zurück.
Foto: imago | blickwinkel

"Es war, als hätten sich die Seelen meiner ganzen toten Patienten wie eine Schlange um meinen Körper gelegt und immer stärker zugedrückt." James war fast noch ein Teenager als er 2011 und 2012 als Sanitäter für die US-Armee in Afghanistan diente. "Nach Afghanistan musste ich die Verbindung zwischen meinem Kopf und meinem Herz kappen. Eine Menge furchtbare Dinge sind dort passiert", erinnert er sich. "Als ich zurückkehrte, war ich emotional total abgestumpft."

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James sagt, dass er durch eine MDMA-unterstützte Psychotherapie seine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) lindern konnte. Vor drei Jahren hat er einer Pilotstudie der neuartigen Behandlungsmethode teilgenommen. Der Sponsor der Versuche, die Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS), wartet jetzt darauf, dass die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA grünes Licht für Phase 3 gibt. Die Genehmigung dafür soll noch diesen Sommer erteilt werden und wenn alles gut läuft, ist die MDMA-Therapie schon 2021 Realität.

James war Proband der zweiten Phase. Weil psychedelische Substanzen heute allerdings noch stigmatisiert werden, möchte er vorerst anonym bleiben; seinen Nachnamen nennt er nicht.


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Die bisherigen Resultate sind jedenfalls eindrucksvoll. Nach der ersten Phase der Pilotstudie erfüllten 83 Prozent der Behandelten nicht mehr die Kriterien einer PTBS. Eine Langzeit-Nachbeobachtung kam zu dem Ergebnis, dass lediglich 2 von 19 Patienten rückfällig geworden waren. Sie fand 17 bis sogar 74 Monate nach der MDMA-Therapie statt. Außerdem hatte keiner der Teilnehmer an der Therapie selbst Schaden genommen.

Das Trauma des Krieges hält an, auch wenn die Kämpfe längst vorbei sind

Dabei hatte James zunächst gar nicht daran gedacht, sich in Behandlung zu begeben. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitsoldaten hatte er schließlich keine größeren körperlichen Wunden davon getragen. Arme, Beine … alles war noch dran. Doch anderthalb Jahre nach der Rückkehr in die USA konnte er seine Symptome nicht länger verleugnen. "Jedes Mal, wenn irgendwo ein Feuerwerk hochging, sah ich zerfetzte Körper", sagt er. Schreckliche Wutausbrüche kamen hinzu. "In einem Moment noch war ich total normal und dann plötzlich stinksauer. Ich habe alles kaputtgemacht, was ich in die Finger bekam, habe mit der Faust Löcher in Sachen geschlagen. Es war richtig schlimm."

Der Kriegsveteran ließ sich von der Armee mehrere Therapien vermitteln. Er ging zu Psychologen, Gruppentherapien, nahm Medikamente – sogar die umstrittene craniale Elektrostimulation probierte er aus. Aber nichts half. Jedenfalls nicht langfristig. Dann entdeckte er die MDMA-Versuche. "Es konfrontiert dich mit dem, was du bist: mit den Leichen in deinem Keller. Du stellst dich ihnen und verarbeitest sie oder akzeptierst sie zumindest", sagt er. "Es bringt dich dazu, in den Spiegel zu schauen und den Menschen zu akzeptieren, der dir entgegenblickt."

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Will Van Derveer war an der Durchführung von Phase 2 des Versuchs beteiligt. Als er zum ersten Mal von einer MDMA-gestützten Therapie hörte, war der Psychiater noch skeptisch. Je mehr er allerdings recherchierte, desto mehr überzeugte ihn der Ansatz. "Mir geht es bei der Heilung vor allem darum, so wenig Medikamente wie möglich einzusetzen", sagt er. "Patienten nur dreimal während der ganzen Behandlung ein Medikament zu verabreichen, steht in keinem Vergleich zu der traditionellen Behandlung mit Pharmazeutika, die Menschen über mehrere Jahre hinweg einnehmen müssen. Letztere tendieren außerdem dazu, wie Anästhetika zu wirken – also betäubend. Das unterdrückt zwar die Symptome, geht dem eigentlichen Problem aber nicht auf den Grund."

"Ich fühlte ich mich, als würde aus jeder Zelle meines Körpers Liebe strömen." – James, Veteran und Proband

Während der Versuche hielt ein Team von Therapeuten etwa drei Dutzend Sitzungen mit jedem Patienten ab. Bei lediglich drei dieser Sitzungen bekamen die Probanden eine MDMA-Pille, anschließend legten sie sich mit einer Schlafmaske auf eine Couch. Kurze Zeit später begann die Substanz zu wirken. Andere Sitzungen dienten gründlichen Untersuchungen sowie der Vor- und Nachbereitung der Trip-Erfahrung.

Während der Behandlung, sagt James, "fühlte ich mich, als würde aus jeder Zelle meines Körpers Liebe strömen. Ich fühlte mich so entspannt wie seit zwei Jahren nicht mehr."

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Er vergleicht seine Therapie mit dem Angeln von Plastikentchen auf der Kirmes. "Jedes dieser Entchen, das da umherschwamm, war wie ein Trauma", sagt James. "Es war, als würde ich sie zufällig rauspicken."

Auch wenn MDMA, aka 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, schon vor über hundert Jahren entdeckt wurde: Bis in die 1970er blieb es größtenteils ungenutzt und unerforscht. Als Therapeuten schließlich anfingen, das Mittel in der Paartherapie einzusetzen, begann sich die Substanz allerdings auch in Clubs großer Beliebtheit zu erfreuen. Als sich der Ruf der Partydroge einmal etabliert hatte, schritten die amerikanischen Antidrogenkrieger ein und verpassten MDMA 1985 das "Schedule I"-Label: "für Missbrauch anfällige Droge ohne zugelassenen medizinischen Wert". Die WHO folgte den Amerikanern und verbot die Substanz ein Jahr später weltweit.

Das besiegelte weitestgehend das Ende der offiziellen Forschung – bis sich MAPS der Sache wieder annahm.

Auf Nachfrage von VICE erklärt ein FDA-Sprecher jedoch, dass Schedule-I-Substanzen durchaus Gegenstand klinischer Studien sein können, und für eine Zulassung müssen sie den gleichen Standards genügen wie jedes andere potenzielle Medikament auch. Zu konkreten Versuchen könne man allerdings nicht sagen.

Es ist also noch ein weiter Weg, bevor die Behandlungsmethode für die breite Bevölkerung verfügbar werden dürfte. Sollte die amerikanische Arzneimittelbehörde MDMA als therapieunterstützendes Mittel zulassen, muss man vorher noch einige bürokratische Hürden überwinden. Erst dann kann die Substanz als "Schedule II" eingestuft und damit verschreibungsfähig werden.

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Und in Deutschland?

Wie die Apotheken Umschau (ja, richtig gelesen) berichtet, hätte MAPS auch gerne deutsche Probanden gehabt, das scheiterte allerdings an einer fehlenden Genehmigung. Dennoch arbeite man auf eine Zulassung in Nordamerika und Europa hin. Neben den USA gibt es ähnliche Studien zu MDMA und PTBS in Kanada, Israel und der Schweiz.

Wenn MDMA, wie erhofft, als therapieunterstützende Substanz zugelassen wird, könnte das die Tore für eine Welle neuartiger Behandlungsformen öffnen. MAPS und gleichgesinnte Initiativen untersuchen schließlich ebenfalls, ob sich MDMA und weitere Psychedelika wie Psilocybin und LSD auch zur Behandlung von anderen psychischen Problemen einsetzen lassen – insbesondere bei Angststörungen, Depressionen und Sucht.

Bei einigen Patienten hat die Therapie jedenfalls schon für erhebliche Verbesserungen gesorgt. "Man hat mir mein Leben zurückgegeben", sagt James. "Das meine ich ernst."

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