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Popkultur

Dinge, die wir von Til Schweigers Facebook-Seite fürs Leben lernen können

"Twitter-Spott...! Was ist das!???! Irgendwelche Deppen, die lästern und nichts zu tun haben....!"
Foto: imago | APP-Photo

Ach, Til Schweiger. Du erfolgreicher Schauspieler, Regisseur, Familienvater und Naturfarbene-Einrichtungsgegenstände-Verkäufer. Du international erfolgreicher Tausendsassa. Warum bist du immer so wütend? Es passiert viel Unrecht in der Welt und es ist ein nobles Ziel, bewusst ein Zeichen dagegen setzen und Geld für Bedürftige sammeln zu wollen. Nur: Braucht es dafür wirklich so viele Ausrufezeichen?

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Immer wieder machen sich Leute über die Facebook-Wutausbrüche des Schauspielers lustig, sein Name ist mittlerweile ein Synonym für kryptische Argumentationsketten. Selbst als Schweiger dann vergangene Woche mal alles anders machen wollte und in einem ironischen Post über rechte Facebook-Nutzer spottete, regnete es Häme. Der Großteil der Leute schien den Unterschied zwischen lustig gemeinten, verwirrenden Postings und ernst gemeinten Beiträgen einfach nicht zu sehen. Denn auch die werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.


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Wird Til Schweiger vielleicht einfach nur dramatisch missverstanden? Zwischen all den Satzzeichen, den Selfies, der Wut und dem Wunsch, tatsächlich etwas Gutes zu tun, bietet seine Facebook-Seite nämlich auch tiefe Einblicke in das, was ihn wirklich bewegt und umtreibt. Und daraus können auch wir Normalsterbliche etwas mitnehmen.

Scheiß auf die Hater

Wenn es etwas gibt, worin sich Til Schweiger von Schauspielkollegen wie Matthias Schweighöfer unterscheidet, dann darin, dass Til Schweiger absolut keinen Filter zu haben scheint. Wenn er wütend ist, setzt er sich vor ein internetfähiges Gerät und teilt seinen 1,5 Millionen Facebook-Fans (und den sicherlich Tausenden stillen Mitlesern) ganz genau mit, was ihm als arbeitstechnisch ausgelasteten Multimillionär so richtig den Tag verderben kann. Und er wäre nicht die nuschelndste Versuchung, seitdem es deutsche Rom-Coms gibt, wenn er dabei ein Blatt vor den Mund nehmen würde.

Mit "Twitter-Spott…! Was ist das!???! Irgendwelche Deppen, die lästern und nichts zu tun haben….!" holte er zum Gegenschlag gegen all jene aus, die sich in sozialen Netzwerken über sein Treffen mit Sigmar Gabriel lustig gemacht hatten. "Ich guck auf euch runter, voller Mitleid und Verachtung…!!!! Twitter-community( Mehrheit) und SPON(überwiegende Mehrheit)….ihr seid so arm…!! Und dumm..!!!!" Immer und immer wieder musste sich Schweiger für solche Ausbrüche als dumpfbackiger Filmstar verunglimpfen lassen, Jan Böhmermanns Satire "Besoffen auf Facebook" zeichnete ihn als unbeherrschten Alkoholiker. Das Video hat mittlerweile über eine Million Views. Trotzdem: Til Schweiger hat sich davon nicht verunsichern lassen und versucht, die Bemühungen seiner Hater mittlerweile für sich zu nutzen.

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Vergangene Woche kündigte er in einem Post scherzweise an, noch mehr Hassnachrichten bekommen zu wollen als sowieso schon – schließlich würden ihn seine Hater schlussendlich nur noch reicher machen: "Jeder Rechtsradikale bringt mir – ohne Scheiss – 600 Euro am Tag( bei der Masse könnt ihr wohl ermessen, wie satt ich bin..?) aber bitte… vordert mich weiter auf 'euer' Land zu verlassen( ich denk nich dran – aber macht das weiter – weil cash in my täsch!!! Hehehehe". Damit reagierte er auf die Vorwürfe rechter Facebook-Nutzer, das Land noch nicht verlassen zu haben, obwohl er genau das angekündigt haben soll, sollte die AfD bei der Wahl erfolgreich sein. Die "Fans" taten ihm den Gefallen und seither veröffentlicht der Schauspieler immer wieder Screenshots von Nachrichten, die wohl niemand von uns gerne in seinem Posteingang hätte. Dass er dadurch nicht wirklich Geld verdient, scheinen allerdings nicht viele verstanden zu haben. Vielleicht sah der ironische Post einfach zu sehr aus wie die, die Schweiger todernst meint.

Journalisten können und wissen gar nichts

Medienvertreter und Til Schweiger sind sich nicht grün. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie seine Produktionen nicht immer so abfeiern, wie die es Schweigers Meinung nach verdient hätten. Deshalb verzichtete er für die Streifen Zweiohrküken und Kokkowääh 2 auf Pressevorführungen und kündigte vor Jahren mal an, einen eigenen Filmpreis ins Leben rufen zu wollen. Seine vielleicht bekannteste Tirade gegen die Presse war allerdings die, in der er sich den Frust über die schlechten Kritiken zu seinem Tatort von der Seele schrieb. "Ein Stück deutsche Fernsehgeschichte" sei der erste Fall von Nick Tschiller gewesen, so Schweiger in dem Post, der sich an Regisseur Christian Alvart richtete. Und wenn er, Til Schweiger, dieser Meinung sei, dann hätten die Kulturkritiker da draußen sowieso nichts mehr zu melden. Denn: „ich als Filmemacher/Schauspieler/Produzent/Writer/Cutter/Composer…. viel mehr Ahnung…. ich habe viiiieel mehr Ahnung von der Craft( Materie)….KUNST…. als die meisten von diesen Trotteln, die darüber schreiben!!!!."

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Deutsche Redakteure scheinen aber nicht einfach nur in dramatischer Unwissenheit zu leben, sie haben einen Plan. Das glaubt zumindest Schweiger, der ihnen böse Motive unterstellt, weil sie sich kritisch mit Xavier Naidoos Neigung zu absurden bis homophoben Verschwörungstheorien auseinandersetzten. "Was hier gerade von sogenannten Leitmedien abgezogen wird, das ist eine Form von Terrorismus!", erklärte der Schauspieler, als er einen inhaltlich ähnlichen Beitrag von Comedian Michael Mittermeier teilte. "Es gibt viele Nazis in diesem Land und mindestens genauso viele Schwulenhasser, kümmert Euch um DIE, denn Xavier gehört nicht dazu!!!!"

Das mag sein, wir erinnern uns allerdings: Naidoo setzte Homosexualität in einem Hidden-Track mit Pädophilie gleich, glaubt fest daran, dass die Bundesrepublik eigentlich nach wie vor ein besetztes Land sei und liefert ganz allgemein den ultimativen Soundtrack für Fake News und besorgte Bürger. Vielleicht ist man damit kein "Nazi", wäre das Leben ein Kinderspielplatz, stände er allerdings schon mit einem Fuß im Sandkasten der AfD.

Air Berlin ist die beste Fluggesellschaft überhaupt

Es gibt Dinge, die altern nicht sonderlich gut. Dazu gehören die Tweets von Donald Trump, Sex and the City und mittlerweile auch Schweigers Liebesbekundungen über den Wolken. Die gebühren nämlich über Jahre hinweg nur einer Fluggesellschaft: Air Berlin. Mal lichtet er sich mit seiner Tochter auf dem Flug in den Urlaub ab ("AIR BERLIN Hamburg - Holiday….."), mal gratuliert er ausgewählten Mitarbeitern zu ihrem Arbeitseinsatz ("Invadev, you are a great guy! air berlin can be very proud to have you on board!") und mal kürt er das Air-Berlin-Team zur "Best Crew in the World". Auffällig ist in jedem Fall: Wann immer sich Schweiger aus einem Flugzeug zu Wort meldet, dann ist es eines von "Air Berlin!!!!!".

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Wie lang das noch so weitergehen wird, bleibt abzuwarten. Die Fluggesellschaft hat im August Insolvenz angemeldet und muss immer mehr Flüge ausfallen lassen. Medienberichten zufolge drohen außerdem baldige Massenentlassungen. In Anbetracht der Tatsache, wie öffentlich Til Schweiger seine Liebe zu den Angestellten gepflegt hat, dürfte demnächst mindestens eine enttäuschte Facebook-Statusmeldung drin sein. Vielleicht kommen die nächsten Flugzeug-Selfies aber auch einfach aus der Easyjet-Kabine.

Nur wer sich von der deutschen Rechtschreibung löst, ist wirklich frei

Klar, wer ohne Rechtschreibfehler ist, werfe den ersten Stein. Tatsächlich gehen viele von Til Schweigers Facebook-Posts aber auch deswegen einmal quer durch die deutschen Medien, weil sie neben ihrem recht explosiven Inhalt stellenweise auch eine ziemlich kreative Auslegung der deutschen Sprache aufweisen. Scheinbar willkürlich gesetzte Satzzeichen, eine wilde Mischung aus Englisch und Deutsch mit ähnlich beliebiger Groß- und Kleinschreibung – jahrelang konnte man sich als Kultur-Snob erfolgreich einreden, dass jemand, der Filme mit Titeln wie "Kokkowääh" dreht, keine Wertschätzung für Sprache haben kann. Mittlerweile kann man sich da allerdings nicht mehr ganz so sicher sein. Was, wenn Schweiger jedes Ausrufezeichen zu viel, jeden plötzlich abbrechenden Satz ganz bewusst so gesetzt hat?

Immer wieder bezieht sich der Hamburger augenzwinkernd auf sein eigenes Satzzeichen-Vermächtnis, in mehreren Statusmeldungen nimmt er Bezug darauf, wie viele Ausrufezeichen er dieses Mal verwendet. Aber nicht nur Ausrufezeichen sind ein Thema: "Weil es mir wichtig ist hab ich sogar extra die Groß/Kleinschreibung befolgt", erklärte er zu einem Post gegen Rassismus (den er von dem umstrittenen Journalisten Jürgen Todenhöfer teilte). Die bewusste Missachtung der Groß- und Kleinschreibung hingegen scheint in Schweiger-Postings ein Ausdruck seiner Missachtung gegenüber der jeweils angesprochenen Person zu sein ("PS: für die Schlauen : direkte Anrede klein geschrieben aus mangelndem Respekt…..!!!!"). Da soll nochmal jemand sagen, Worte hätten keine Macht.

"Erst nachdem wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun", sagt Tyler Durden in Fight Club. Vielleicht musste Til Schweiger erst den Duden verlieren, um seine inneren Konflikte und seinen Zorn gegenüber dem Establishment in Worte gießen zu können. Während andere Schauspieler sich lieber in glattgebügelten Presse-Statements ans Volk wenden und dabei versuchen, ja niemandem auf die Füße zu treten, springt Schweiger mit Anlauf ins Social-Media-Fettnäpfchen und geht damit oft auch noch viral. Darüber kann man sich lustig machen, man kann es aber auch als Zeichen dafür sehen, dass man selbst als weichgezeichneter Traum einer jeden Schwiegermutter noch unangepasst sein und für die Dinge, die einen bewegen, einstehen kann. Und daran kann man sich durchaus auch ein Beispiel nehmen.

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