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Verbrechen

Dieser Mann hat Mitglieder einer japanischen Terror-Sekte interviewt

Normalerweise bekommt man kaum Zugang zu den inhaftierten Angehörigen von Ōmu Shinrikyō, die 13 Menschen mit Giftgas töteten. Sicherheitsexperte Richard Danzig hat es trotzdem geschafft.
Fanhdungsfotos der Ōmu Shinrikyō-Mitglieder, die am Terroranschlag beteiligt waren | Foto: imago | ZUMA Press

Vor dem 20. März 1995 war Ōmu Shinrikyō nur eine geheimnisvolle Sekte, von der man außerhalb Japans kaum etwas wusste. Nach den tragischen Ereignissen dieses Tages änderte sich das jedoch schlagartig: Während der Rush Hour früh am Morgen ließen fünf Mitglieder des Kults in der Tokioer U-Bahn das tödliche Nervengas Sarin austreten. In der Folge starben 13 Menschen und 6.000 weitere mussten ärztlich behandelt werden. Daraufhin nahmen die Behörden in ganz Japan Mitglieder von Ōmu Shinrikyō fest, brachten sie vor Gericht und steckten sie anschließend ins Gefängnis – darunter auch den selbsternannten "Jesus"-Anführer Shōkō Asahara. Später kam auch heraus, dass der Kult auf einer abgelegenen Schaffarm in Western Australia ein Forschungslabor eingerichtet hatte. Ich als Australier werde bei solchen Informationen natürlich hellhörig.

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Zum Glück gibt es Menschen wie Richard Danzig, die mir hier weiterhelfen können. Unter Bill Clinton war Danzig US-Marineminister und dementsprechend groß ist sein Interesse an der nationalen Sicherheit seines Heimatlandes. 2008 erhielt er Zugang zu den inhaftierten Ōmu-Shinrikyō-Mitgliedern und sprach mit ihnen über ihre Waffenforschungen. Nun habe ich mich wiederum mit Danzig unterhalten, um mehr über die japanische Sekte und ihre damaligen Absichten herauszufinden.


**Auch bei VICE: **Die Geschichte von Australiens unheimlicher Sekte "The Family"


VICE: Wie kam es zu den Interviews mit den Sektenmitgliedern?
Richard Danzig: Nach dem 11. September wurde viel darüber diskutiert, ob Terroristen in der Lage seien, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Vieles davon war nur Theorie, aber mir fiel auf, dass eine Gruppierung genau das tatsächlich schon versucht hatte: Ōmu Shinrikyō forschten in den frühen 90ern viel mit biologischen, chemischen und atomaren Waffen herum. Weil ich ja schon Teil des nationalen Sicherheitsapparats der USA gewesen war, hoffte ich darauf, dass mich die japanischen Behörden mit den inhaftierten Mitgliedern der Sekte reden ließen. Und es klappte.

Wie war dein erster Eindruck von ihnen?
So wie ich es einschätzen konnte, geht es ihnen gut. Was mir am meisten auffiel: Sie wirken durch ihr Auftreten und ihre Kleidung immer noch total jung, fast wie Studenten. Das Gefängnis selbst befindet sich direkt in Tokio und ist sehr ordentlich. Der schlimmste Aspekt für die Sektenmitglieder ist wohl, dass sie zum Tode verurteilt wurden.

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Richard Danzig mit seiner Dolmetscherin

Hat irgendeines der Sektenmitglieder Reue gezeigt?
Am meisten hatte ich mit Tomomasa Nakagawa zu tun und bei ihm war schon ein wenig Reue zu erkennen. Der ehemalige Arzt forschte bei Ōmu Shinrikyō im Bereich Biowaffen und ein gewalttätiges Verbrechen in den Anfangszeiten der Sekte prägte ihn sehr: Vier Mitglieder von Ōmu Shinrikyō brachen bei einem ihnen gegenüber kritischen Anwalt ein und ermordeten ihn und seine Familie. Im Gegensatz zu einer Chemikalie in der Luft ein sehr "greifbares" Verbrechen.

Nakagawa war eines dieser vier Mitglieder und sagte mir gegenüber, dass er die Tat schon damals sehr bereut hätte. Er ging deswegen wohl sogar zum Anführer der Sekte, der ihn daraufhin in eine kleine Zelle einsperren und einen Monat lang Gebetsvideos anschauen ließ. Danach dachte er laut eigener Aussage nicht mehr über die Tat nach. Als ich ihn fragte, ob er wegen des Gasanschlags in der U-Bahn Reue verspüre, sagte er nur: "Leider nein."

Das "leider" impliziert aber, dass er gerne Reue verspüren würde?
Stimmt. Ich denke, dieser Wunsch entwickelte sich erst, als Nakagawa im Gefängnis wieder mit der wirklichen Welt in Berührung kam. Das zeigt auch, wie eine Sekte eine alles umfassende Blase erschafft, in der die Isolation den Kult um den Anführer verstärkt. Man hat ja keine anderen Referenzen mehr.

Räumungstrupps entfernen das Sarin aus der U-Bahn | Foto: Encyclopaedia Britannica | Kyodo/Landov

Reden wir doch mal über Ōmu Shinrikyōs Aktivitäten in Australien. Ich habe gelesen, dass sie dort eine Atombombe bauen und testen wollten.
Das halte ich für extrem unwahrscheinlich. Zwar habe ich mit den inhaftierten Mitgliedern auch über nukleare Waffen geredet, aber niemand von ihnen sagte, dass ihre Forschungen da in irgendeiner Weise erfolgreich gewesen wären. Ihre Vorstellungen von Atomwaffen waren eher ziemlich naiv.

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OK. Was wollten sie dann in Down Under?
Wir gingen vor allem der Behauptung nach, dass sie ihre chemischen Waffen dort an Schafen ausprobierten. Sicher ist: Als einige Mitglieder von Ōmu Shinrikyō 1993 nach Australien einreisten, konfiszierten die Zollbeamten eine Vielzahl an Chemikalien – zum Beispiel Schwefelsäure, die als Seife getarnt war. Allerdings kaufte sich die Sekte einfach neue Chemikalien, nachdem sie ohne ihre mitgebrachten Sachen einreisen durften.

Später entdeckte die Polizei auf einer Farm 29 tote Schafe, in denen eine sarin-ähnliche Säure gefunden wurde. Wir bekamen allerdings keinen Zugang zu den offiziellen Polizeiberichten, deswegen kann ich diesbezüglich nur Vermutungen anstellen. Ich halte es jedoch für gut möglich, dass Ōmu Shinrikyō nach Australien reiste, um dort Sarin zu testen.

Pendler, die nach dem Anschlag im Krankenhaus behandelt wurden | Foto: Corbis Images

Verstehst du durch die Gespräche die Psychologie hinter Sekten nun besser?
Ja. Ich glaube, dass Gewalt die Überzeugung und Hingabe einer Gruppierung festigt. Auf gewisse Art und Weise ist das Ganze wie Sex: Man gibt sich komplett dem Moment hin und baut sehr schnell eine Verbindung auf – Realitätsflucht und Ventil in einem. Genau das hat Ōmu Shinrikyō meiner Meinung nach erst so groß werden lassen, letztendlich aber auch zu Fall gebracht.

Den kompletten Bericht von Richard Danzig über das Waffenprogramm von Ōmu Shinrikyō könnt ihr hier lesen.

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