Rap

Dieser YouTuber hat Rap-Journalismus neu erfunden

Lange Zeit fehlte etwas im Deutschrap: Ein Medium, das Beef-Themen und kritische Berichterstattung vereint. Jetzt ist die Erlösung da: Sie heißt "Rapschau".
Ein Mann mit Bunter Sturmmaske sitzt vor einer Fotowand

Um mit Rap auf YouTube erfolgreich zu sein, muss man keine Musik machen. Man muss auch keine kritischen Fragen stellen. Es ist nicht mal notwendig, wie Leon Lovelock am Schlauch einer Shisha zu nuckeln und die stumpfsinnigen Verschwörungstheorien seiner "Bros" abzufeiern. Für den schnellen Klick reicht es vollkommen aus, sich bei Instagram auf die Lauer zu legen. Sobald Arafat live geht oder Xatar spurlos aus Haftbefehls Followerliste verschwindet, heißt es blitzschnell reagieren.

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Drei Insta-Stories aneinander basteln, zwei Sätze zur Vorgeschichte des Beefs, eine reißerische Headline. Am Ende muss es so klingen: "In Hamburg: 10 MANN gegen FLER | Der RAPPER glaubt das hat BONEZ MC vor im Ring!" Und YouTubern wie "Memo Rapcheck" eine Viertelmillion Klicks einbringen.

Keine Beleidigung ist den News-Portalen zu geschmacklos

Mit der Sensationsgier der Fans erreichen "Alpha Kenan" oder "BRN Deutschrap" weitaus mehr Klicks als klassische HipHop-Medien wie Rap.de. Selbst mit einem Video, in dem Kollegah die Maulwürfe in seinem Garten "fachgerecht beseitigt", erzielen sie mehr als doppelt so viele Klicks wie ein Interview mit Eko Fresh bei Backspin TV.

Den News-Portalen ist wirklich kein Trennungsgerücht zu abwegig, keine Beleidigung zu geschmacklos und kein Ami-Rapper zu irrelevant. Vorausgesetzt, er hat gerade seine Freundin angeschossen.

Den Ruf als Schmuddelkinder der Rap-Berichterstattung haben sich die Klatschmagazine hart erarbeitet. Nun macht ihnen ausgerechnet einer aus den eigenen Reihen das schlechte Image kaputt. Die Rede ist von Mr. Rap, der mit seiner regenbogenfarbenen Sturmhaube wie der queere Zwillingsbruder von Blokkmonsta aussieht, in Wirklichkeit aber der Hoffnungsträger des deutschen Rap-Journalismus ist.

VICE hat mit dem Moderator Mr. Rap und dem Produzenten Mr. Beatz gesprochen, die ihr Format "ohne Plan aus einem Bauchgefühl heraus" entwickelt haben wollen. Und dabei aus Versehen das originellste Rap-Format entwickelten, das es derzeit auf YouTube gibt. Beinahe täglich geht eine neue Ausgabe der "Rapschau" online. Wem der Name des Formats noch nicht HipHop genug ist, den holt spätestens die Begrüßungszeremonie von Mr. Rap ab. Er fuchtelt so lange mit den Händen vor seinem Gesicht herum, bis sich alle Gangmitglieder von der West- bis zur Eastcoast angemessen begrüßt und wertgeschätzt fühlen.

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Thematisch unterscheidet sich die Rapschau allerdings nicht von den unseriösen News-Portalen. Auch hier bestimmen RAZZIEN, VERHAFTUNGEN und die Capslock-Taste das Gesamtbild. Doch die Rapschau gibt sich nicht einfach damit zufrieden, den Schmutz aus den dunkelsten Ecken der Sozialen Netzwerke aufzuwirbeln.

Das Portal beschwört nicht täglich neue Eskalationsstufen im "Rapperkrieg" herauf. Im Gegenteil, Mr. Rap führt mit spielerischer Leichtigkeit vor, welche absurden Züge Beefgeschichten im Zeitalter der Klickrekorde angenommen haben und macht daraus ein Video. So deutete Bonez MC auf Instagram an, dass ihn der Bodenbelag seines Hotelzimmers an die Klamotten eines anderen Rappers erinnern würde. "Aiaiaiai, das ist krass", kommentiert Mr. Rap atemlos. Doch es kam noch dicker, das Oberhaupt der 187 Straßenbande ging noch weiter.

Witze über Straßenrapper, die sich wie streitsüchtige Fashion-Blogger aufführen

Bonez MC pauste den senfgelben Teppich unter seinen Füßen ab und skizzierte einen Pullover, wie ihn Fler zu seinem Album "Collucci" verkaufte. Was darf Rap? Diese Frage werden sich an dieser Stelle selbst die leiderprobtesten HipHop-Expertinnen und -Experten gestellt haben: Beim Anchorman der Rapschau löst so viel Bösartigkeit einen Schwächeanfall vor der Kamera aus. Während die italienische Mafia ihre Feinde in Teppiche einrollt und im Hafenbecken versenkt, löst hierzulande schon das Design einer Fußmatte Hass und Gewalt aus, kommentiert er spöttisch.

"Der spannende Nebeneffekt im Rap ist doch gerade, dass die Künstler einfach alles aus ihrem Leben raushauen", sagt Mr. Rap. Die Rapschau sei sich im Vergleich zu anderen Portalen nicht zu fein, um auch über Trash zu berichten.

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Doch das Format beweist nicht nur ein Auge für die unfreiwillige Komik von Straßenrappern, die sich wie streitsüchtige Fashion-Blogger aufführen. Oder entschädigt die Opfer von Clickbait mit selbst erdachten Pointen.

Die Rapschau arbeitet sich an der Weltanschauung vieler Fans ab, ohne dabei in die Rolle eines Oberlehrers zu verfallen. Als Loredana auf dem Song "Labyrinth" rappte "Ich hab' mich noch niemals ausgezogen für die Klicks", waren sich viele Fans sicher: Mit der Zeile kann nur Shirin David gemeint sein. Wer vermarktet denn sonst so schamlos seinen Prachtkörper für ein bisschen Aufmerksamkeit? Ach ja, fällt Mr. Rap ein, Farid Bang, Silla, Kontra K und so ziemlich jeder Rapper mit einer Eiweißmarke als Sponsor.

Aber das seien ja Männer, korrigiert er sich gerade noch rechtzeitig. Da ist es ja nicht "Ayip"(auf Türkisch: Schande), wie viele Rapper behaupten. Woher kommt aber die kritische Haltung, die für die Beef-Berichterstattung vollkommen unüblich ist?

"Wir haben jetzt keine Agenda. Uns ist aber aufgefallen, dass Rap-Kritik entweder unter die Gürtellinie geht wie in der Twitter-Bubble oder wie in der Juice von oben herab kommt", sagt Mr. Rap. Die Rapschau sei da unbewusst zu einem "Zwischending" geworden. Auf das Zwischending sind mittlerweile auch namhafte Rapgrößen aufmerksam geworden.

Saß Mr. Rap das erste Jahr seiner Karriere alleine vor der Kamera seines kleinen Heimstudios, hatte er nun seinen ersten Gast: Sido. In seinem sieben Minuten Debut-Interview brachte er nicht nur diverse Gags unter. Mr. Rap stellte mehr kritische Fragen, als so manche Mammut-Interviews alteingesessener Rap-Plattformen enthalten.

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"Ich hatte jetzt keine Sorge, dass Sido ausrastet oder uns etwas Böses will. Das Aufregende war eher das Gefühl, dass gleich Sido bei mir vorbeikommt", sagt Mr Rap über sein Interview-Debut. Als Sido dann tatsächlich kommt, ist dem Moderator mit der Maske nichts anzumerken. Schon der Gesprächseinstieg zündet: "Rapstar, Filmstar, erfolgreicher Businessmann: Was hältst du von Farid Bang?". Und es geht unterhaltsam weiter.

Weil Mr. Rap nicht die ganze Zeit über Künstler reden wolle, die er persönlich feiere, habe er auch ein paar Fragen für Sido vorbereitet, zum Beispiel: "Hast du schon viele Frauen auf dem Splash! begrapscht?". Genauso todernst, wie er Mr. Rap jeden seiner Gags vorträgt, spricht er Sido darauf an, dass Gzuz beim Splash-Festival 2018 eine 19-Jährige sexuell belästigt hatte. Das hatten VICE-Recherchen ergeben.

Mit Haltung und Humor schafft Rapschau eine neue Sparte des Rap-Journalismus

Mit der Frage nach dem Festival-Übergriff beweist Mr. Rap mehr Mut, als diverse Rapper, Manager und Plattenbosse, die das Thema bis heute ignorieren. Auch wenn er dadurch in Kauf nimmt, dass seine Videos bei YouTube gesperrt werden: "Wenn Themen gezwungenermaßen totgeschwiegen werden, will man sie natürlich trotzdem am Leben halten und nicht seine Eier verlieren", sagt Mr. Rap.

Es ist genau diese Mischung aus Haltung und Humor, mit der die "Rapschau" eine neue Sparte des HipHop-Journalismus geschaffen hat. Auch wenn die Macher das selber gar nicht so sehen: "Journalisten sind für mich Leute, die die Panama-Papers aufdecken", sagt Mr. Rap. Da gehöre man natürlich auf keinen Fall dazu.

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Trotzdem haben Mr. Rap und Mr. Beatz verstanden, dass alle Welt nach Intrigen, Verrat und Faustkampf giert. Die Rapschau überlässt den Rap-Boulevard nicht denjenigen, die Rapper mit Fake-News gegeneinander aufhetzen. Sie greift Meros angeblich gefakte Streamzahlen auf oder berichtet über Bushidos Polizeischutz, den Capital Bra angeblich abgefilmt haben soll. Damit erreicht die Rapschau Zuschauer, die sich weniger für die Entstehungsgeschichte des neuen Tua-Albums interessieren.

Die wahrscheinlich eher auf ein Video über die Abschiebung von Jigzaw stoßen, das beiläufig über die Verlogenheit der AfD aufklärt, als auf ein Juice-Magazin im hintersten Regal ihres Bahnhofskiosks.

Die Rapschau kommt dabei zu einer Zeit, in der die Rap-Unterhaltung am Boden liegt. Aktuell begeistern sich viele Rapper nur noch für "Richtig oder Faust". Ein Format, bei dem sich Ali Bumaye oder Kontra K ein Quizduell mit dem YouTuber Mois liefern müssen. Jede falsche Antwort bedeutet ein Schlag in die Magengrube. Ziel des Spiels ist es nicht, die meisten Fragen zu beantworten, sondern möglichst unbeeindruckt die Tiefschläge zu ertragen.

Die Promo hat sich nämlich erst dann gelohnt, wenn einem Mois bescheinigt, dass man nicht zum ersten Mal zuschlage. Da freut man sich doch auf das nächste Interview mit Mr. Rap: "Es wird ein zweites Interview geben. Mehr können wir aber nicht verraten."

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