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Kann man die Pille noch guten Gewissens nehmen?

Immer öfter hört man Horrorgeschichten über die Pille. Trotzdem wird sie neben dem Kondom am häufigsten zur Verhütung verwendet. Ist das gefährlich?
Foto: frolicsomepl | Public Domain

Selbst entscheiden zu können, ob man schwanger werden möchte oder nicht, war ein riesiger Schritt auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben für die westlichen Frauen von heute. Jungen Mädchen, die anfangen, sich Gedanken über passende Verhütung zu machen, wird dabei sehr gerne die Pille verschrieben. Alleine wegen diesem Zusammenhang ist die Pille auch ein Zeichen der Emanzipation und Unabhängigkeit.

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Aber trotz allem ist sie immer noch ein Medikament, was gerne mal vergessen wird. Sie verändert den Körper und greift in den natürlichen Hormonhaushalt ein. Den neueren Generationen der Pille wird nachgesagt, das weniger zu tun und verträglicher als die älteren Modelle zu sein. Aber neu ist leider auch in diesem Zusammenhang nicht immer besser.

Immer wieder liest man Horrorgeschichten über Thrombose und Lungenembolien, die Mädchen fast das Leben gekostet haben. Schuld daran soll immer öfter die Pille sein. Während im Teenager-Alter noch mein ganzes Umfeld mit der Pille verhütet hat, werden es deshalb nun immer weniger. Viele denken inzwischen über andere Verhütungsmethoden nach. Aber was sind die Alternativen—und braucht es überhaupt welche?

Laut dem Österreichischen Verhütungsreport liegt die Verhütung mittels Pille immer noch auf Platz eins, obwohl sie tendenziell von immer weniger Frauen genutzt wird. Insgesamt nehmen 38 Prozent aller Frauen die Pille; bei den Frauen unter 30 sind es sogar 53 Prozent.

Dr. Gerlinde Akmanlar-Hirscher ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe aus Salzburg. Sie sagt, die Kritik an der Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln beruhe auf der allgemeinen Kritik an einem Übermaß von Hormonen, vor allem Östrogen.

„Östrogene und besonders künstliche Östrogene spielen in der Entstehung von verschiedenen bösartigen Erkrankungen eine Rolle", erklärt Dr. Akmanlar-Hirscher. „Ob sie nun aus dem eigenen Fettgewebe kommen, durch Zusatzstoffe bei der Tiermast im Fleisch beinhaltet sind, oder durch jahrzehntelange hormonelle Verhütung. Schlussendlich landet das auch im Grundwasser."

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Grafik aus dem Österreichischen Verhütungsreport

Und obwohl sich viele mit der Pille nicht mehr so ganz wohl fühlen, nehmen sie sie weiterhin, weil die Alternativen noch immer vergleichsweise unbekannt sind. Vielleicht sind die Horrormärchen aber auch nur genau das und die Aufregung daher völlig überzogen.

Verhütung ist so gut wie immer ein Eingriff in den Körper; außer man verhütet nur mit Kondom, was allerdings mehr vor Krankheiten als vor Babys schützt. Der Pearl Index, der die Wirksamkeit von Verhütungsmethoden berechnet, besagt, dass 2 bis 12 von 100 Frauen, die für ein Jahr mit Kondom verhüten, dennoch schwanger werden. Bei der Pille liegt die Schwangerschaftsquote hingegen nur bei 0,1 bis 0,9 Prozent.

Auch Dr. Akmanlar-Hirscher sagt, der Sicherheitsindex von Kondomen würde überschätzt: „Sie dienen lediglich zum Infektionsschutz oder bei gerade beginnender Beziehung. Die Pille danach kostet 13 Euro, ist ohne Rezept erhältlich und liegt dann hoffentlich in der Lade griffbereit."

Es wäre schön, wenn der Preis einer selbstbestimmten Schwangerschaft nicht die erhöhte Chance auf eine Lungenembolie ist.

Die Pille hat sich bei den meisten von uns also insofern bewährt, als dass der Großteil dank ihr nicht schwanger geworden ist. Und trotzdem habe ich seit einiger Zeit jeden Abend, wenn ich sie nehme, ein komisches Gefühl. Es wäre halt schön, wenn der Preis einer selbstbestimmten Schwangerschaft nicht die erhöhte Chance auf eine Lungenembolie ist. Die 10 bis 15 Euro im Monat und die Tatsache, dass man ein Medikament nimmt, das den Körper verändert, sind sowieso schon genug.

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Präparate der 4. Generation, die es seit dem Jahr 2000 gibt, „bewirken eine leichte Zunahme des Risikos für ein Blutgerinnsel in den Venen und Arterien." So steht es in den Beipackzetteln. Diese Präparate werden in Österreich etwa als Yasmin, Yasminelle, YAZ, Yirala, Alina oder Angeliq verkauft. Auch das [Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen](seit dem Jahr 2000 Präparate der vierten Generation, die das Gestagen Drospirenon enthalten (in Österreich z.B. unter den Markennamen Yasmin® , Yasminelle® , YAZ® , Yirala® , Alina® oder Angeliq®) mahnt, das Thrombose-Risiko bei der Einnahme der Pille nicht zu vergessen:

„Das Auftreten von Thrombosen der tiefen Venen ist eine seltene, aber seit langem bekannte unerwünschte Wirkung kombinierter oraler Kontrazeptiva", heißt es seitens des Bundesamts. „Dabei bildet sich an der Wand eines Blutgefäßes ein Gerinnsel, das die Blutbahn verstopft. Reißt dieser Pfropf ab und wandert in die Lunge, spricht man von einer Lungenembolie. Obwohl sehr selten auftretend, sind Thrombosen der Tiefen Vehnen ernstzunehmende Ereignisse, die in einem bis zwei Prozent aller Fälle tödlich verlaufen. Die Lungenembolie stellt dabei die häufigste tödlich verlaufende Komplikation dar."

Kommt eine genetische Grunddisposition dazu, ist dieses Risiko besonders erhöht. Vor der Verschreibung der Pille sollte also unbedingt immer durch einen Bluttest geklärt werden, ob ein Verdacht darauf vorliegt. „Bei den Östrogenen in der Pille gilt grundsätzlich: weniger Östrogen ist besser", sagt Akmanlar-Hirscher. Mit Studien sei es schwierig, eine konkrete Auskunft zu geben: „Die Pharmaindustrie verneint die Problematik natürlich."

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Sie selbst empfiehlt die Pille jungen Patientinnen, die gerade erst mit der Verhütung beginnen. „Ich finde, dass für einen Zeitraum von Monaten bis wenigen Jahren in den Teenie-Jahren und 20ern eine Pilleneinnahme sehr wohl zu empfehlen ist." Danach kann man zum Beispiel auf eine Hormonspirale umsteigen, die kein Östrogen beinhaltet. Der verhütende Hormongehalt wirkt bei der Spirale lokal und nicht wie bei der Pille im ganzen Körper.

Das eine richtige, beste und allgemein gültige Verhütungsmittel gibt es nicht. Nichts ist komplett ungefährlich, alles kommt mit gewissen Risiken. Unsere Körper verändern sich und eine Verhütungsmethode, die mit 15 gut ist, sollte man mit 25 vielleicht trotzdem überdenken.

Ich selbst nehme die Pille nun seit knapp 10 Jahren. Da mich das Thema auch persönlich beschäftigt, frage ich abschließend bei der Expertin um Rat. „Ich glaube schon, dass künstliche Hormone über Jahre genommen negative Auswirkungen haben können," sagt Dr. Akmanlar-Hirscher. „10 Jahre Pille ist genug. Ich finde ein Umsteigen auf eine Alternative dann gut." Das Schöne ist, dass Emanzipation nicht nur die Wahl bedeutet, ob wir verhüten wollen—sondern immer auch, wie wir das tun. Selbstbestimmung ist eben nichts Statisches und verlangt eben auch, dass wir uns und unsere Entscheidungen immer wieder mündig hinterfragen. Das gilt heute mehr denn je.

Hanna auf Twitter: @HHumorlos


Titelfoto: frolicsomepl | CC0 Public Domain