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Das passiert, nachdem riesige Mengen Kokain beschlagnahmt werden

"[Zivilisten] gehen besser erstmal in Deckung, es werden nämlich ein paar Kugeln fliegen."

Am 5. Januar 2015 verbrennen Mitarbeiter der Spezialeinheit zur Drogenbekämpfung der bolivianischen Polizei (FELCN) in Oruro, Bolivien, Kokain, das angeblich nach Mexiko geschickt werden sollte | Foto: Jorge Bernal | AFP | Getty Images

Vor Kurzem hat die kolumbianische Polizei acht Tonnen Kokain sichergestellt, die teilweise in einer unterirdischen Kammer auf einer Bananenplantage versteckt waren. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos bezeichnete das in einem Tweet stolz als den größten Fund der Geschichte und als einen "harten Schlag gegen die Kriminellen".

Ein ähnliches Imponiergehabe legen auch amerikanische Politiker an den Tag, sobald eine riesige Drogenlieferung an der Grenze abgefangen wird. Zum Beispiel vor fast genau einem Jahr: In New York wurde so viel Heroin beschlagnahmt wie noch nie. Der oberste Polizeibeamte im Bundesstaat New York meinte, dass "dieser Fall einen entscheidenden Einfluss auf den Drogenhandel im Bundesstaat New York und im gesamten Nordosten [haben würde]."

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Das Problem ist nur, dass es verdammt schwer ist zu überprüfen, ob diese Razzien und Drogenfunde wirklich so bedeutend sind, wie Polizei und Politik behaupten. Einige Fragen bleiben offen, zum Beispiel ob solche Sensationsfunde wirklich etwas auf dem Weltmarkt bewirken können oder ob sie nicht einfach nur Gewalt fördern, denn dadurch kann ein Kartellboss plötzlich in Zahlungsnot kommen. Um das genauer zu verstehen, habe ich mit Dr. Bruce Bagley von der University of Miami gesprochen. Er forscht zu Drogenhandel und Sicherheitsfragen. Was bedeutet es für die Hauptakteure im Drogenhandel heutzutage, wenn eine große Menge Drogen beschlagnahmt wird?

VICE: Es scheint das ultimative Ziel für alle im Kampf gegen die Drogen zu sein, riesige Mengen Drogen zu beschlagnahmen.
Dr. Bruce Bagley: Ja, sie sind ziemlich stolz auf solche Riesenfunde. Oft rechnen sie aus, wie viel Tonnen das insgesamt sind, und dann berechnen sie den gesamten Straßenwert. Übereifrige Beamte, die gern übertreiben, wenn es um den wahren Einfluss von großen Razzien geht, eine ganz natürliche Tendenz.

Aber was heißt das wirklich für die Schmuggler?
Wenn man eine, acht oder zehn Tonnen beschlagnahmt, dann ist das ein ganz schön harter Schlag für denjenigen, dem es gehörte, klar. Und das kann definitiv auch einen Einfluss auf den Gewinn bestimmter Organisationen haben, aber im Endeffekt verschwindet der Stoff nur vom Markt und es entsteht ein gewisses Vakuum. Dadurch werden die Preise für die anderen Schmuggler, die das Zeug in die USA bringen wollen, in die Höhe getrieben. Insgesamt betrachtet hat das langfristig keine spürbaren Auswirkungen und der Preis steigt an, was noch mehr Schmuggler anlockt.

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In Kolumbien wurden Anfang des Monats acht Tonnen Kokain von einer Drogengang beschlagnahmt. Hat das überhaupt Auswirkungen auf den lokalen oder globalen Markt?
Das war ein großes Ding und das werden sie groß aufbauschen. Das ist ihr Job, damit brüsten sie sich und das gibt Pluspunkte, logisch. In Kolumbien ist die Anbaufläche [für Koka] zwischen 2013 und 2014 um 44 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass mehr produziert und mehr verschifft wird, also ist viel mehr im Umlauf. Jetzt ist Kolumbien auch wieder der größte Kokainproduzent, nachdem Peru mehrere Jahre lang diesen Titel für sich beanspruchen konnte.

Kann man überhaupt so viele Drogen beschlagnahmen, dass damit wirklich die Infrastrukturen des Drogenhandels zerstört werden?
In Kalifornien und anderswo wurden Drogenlager hochgenommen, aber das hatte nie eine bleibende Wirkung, wie du sie dir vorstellst. Es gibt kurzweilige Auswirkungen, denn dadurch steigt der Preis bei gleichbleibend hoher Nachfrage an. Dieser Preisanstieg ist dann ein Anreiz, eine Motivation für andere Produzenten. Wenn man das alles verhindern will, darf man nicht den Preis durch protektionistische Maßnahmen—und genau das ist es doch—in die Höhe treiben. Man kann dem nur ein Ende setzen, wenn man das Zeug legalisiert. Ansonsten entsteht ein Schwarzmarkt, der die Nachfrage in den USA, Kanada und auch in Europa nur noch weiter anheizt. Der Bedarf wird immer da sein, also wird es auch immer ein Angebot geben, egal was sie tun.

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Zuerst sollten sie in Deckung gehen, denn es werden garantiert ein paar Kugeln fliegen.

Sie verschieben dadurch alles nur. Erst ging es von Süden nach Norden, aus Bolivien und Peru weg. 1985 kam Peru für 65 Prozent der weltweiten Koksproduktion auf, Bolivien für 25 Prozent. Kolumbien hatte damals keine Bedeutung. 2005 wurden 90 Prozent des weltweiten Kokas in Kolumbien geerntet. 2010 hat Peru Kolumbien dann wieder überholt, weil mehr zur Unterbindung des Drogenhandels getan wurde. 2013 wurde Peru dann Kokaproduzent Nummer eins. Und jetzt produzieren Kolumbien und Peru zusammen schätzungsweise um die 80 Prozent, wobei Kolumbien fünf Prozent mehr produziert. Aber so wie ich es sehe, basierend auf meinen Forschungen, ist das kein Erfolg. Damit haben sie es nur geschafft, mehr und mehr Länder zu "infizieren."

In der Buchhaltung spricht man oft auch von "Bestandsverlust", also die Annahme, dass durch Diebstahl Waren verloren gehen. Arbeiten die Kartelle die Unterbindung des Drogenhandels in ihre Geschäftsprognosen ein?
Ja, das machen sie. Sie kooperieren untereinander. Um das mal zu veranschaulichen: Das Medellín-Kartell hat zum Beispiel eine besondere Technik entwickelt. Anstatt dass einer 100 Prozent einer Ladung übernimmt, hatten sie fünf Hauptmitglieder, jeder übernahm 20 Prozent. Wenn sie also eine Lieferung verloren, konnten sie mit großer Wahrscheinlichkeit immer noch eine weitere durchbringen und so ihre Verluste minimieren. Ähnlich machen es das Sinaloa-Kartell und auch Los Zetas. Es gibt sozusagen Gesellschafter. Sie haben Techniken entwickelt, um mögliche Verluste von 10 bis 15 Prozent aufzufangen. Das berücksichtigen sie bei ihren Geschäftsmodellen. Es ist wie bei einer Standard Operating Procedere in der Betriebswirtschaft, wie eine Art Unternehmenspolitik.

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Was passiert also innerhalb eines Kartells, wenn eine große Razzia mit viel Medienwirbel stattfindet?
Das kann einen großen, fast katastrophalen Einfluss haben, wenn das Zeug nur einer Gruppe gehörte. Sie werden ihre Organisation nicht ordentlich bezahlen können. Die Leute werden unruhig und unzufrieden. Es kommt vielleicht auch zu Positionskämpfen zwischen verschiedenen Gruppen, gerade auch wenn einer der führenden Kartellköpfe verhaftet wurde. Irgendjemand wird dafür zur Verantwortung gezogen.

Wie steht es um die Zivilisten nach einem großen Drogenfund? Sind die Gegenden danach unsicher?
Zuerst sollten sie in Deckung gehen, denn es werden garantiert ein paar Kugeln fliegen. Und wer nur für den Transport, die Bewachung von Lagern oder fürs Fahren zuständig ist, wird möglicherweise nicht bezahlt. Wenn man viel Geld verliert, ist die Organisation schnell knapp bei Kasse. Leute wie El Chapo oder Mayo Zambada vom Sinaloa-Kartell geben den Menschen quasi dauerhaft Arbeit. Aber eine verlorene Lieferung heißt nicht, dass sie ihre Organisation nicht weiter am Leben erhalten wollen. Bei nicht so gut situierten oder neueren Gruppen gibt es dann schon mehr Schwierigkeiten. Je jünger und weniger etabliert die Gruppe also ist, desto weniger Geld haben sie zu Verfügung und desto schwieriger ist es für sie, Leute zu halten, wenn das Geld nicht so fließt wie erhofft. Genauso wie bei anderen Unternehmen: Je größer und stärker man ist, desto besser ist man dem Sturm gewappnet.

Nach solchen großen Razzien wird oft viel geredet, viel geprahlt. Kann man irgendwie genau herausfinden, wie der Krieg gegen die Drogen läuft, außer durch Presseerklärungen über Drogenfunde? Oder gibt es zumindest eine bessere Art?
Am besten schaut man sich die einzelnen Preise für Kokain oder Heroin (z. B. pro Gramm/pro Unze/pro Tonne etc.) in Miami oder anderen Orten an. Und die Tendenz der letzten 20 oder 40 Jahre zeigt, dass der Preis fällt. Straßenpreise sind der beste Indikator. Die amerikanische Drogenvollzugsbehörde DEA veröffentlicht sie auch und da gibt es eine fallende Tendenz. Sie haben tatsächlich über 20 Jahre lang Preislisten geführt und da zeigt sich das sehr deutlich, auch wenn es kurzzeitige Preisanstiege bei größeren Ereignissen gab. Als wir die Grenzen 2001 abgeschottet haben, sind die Preise für kurze Zeit in die Höhe geschossen. Alles ist also möglich.

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Die Unterbindung des illegalen Drogenhandels, so schrieb Peter Reuter in "Sealing the Borders", verhindert, dass gut 10 bis 15 Prozent der Ware in die USA gelangen. Damit wird das aber nur kurzzeitig herausgezögert. Andere haben sich den zeitlichen Verlauf des Preises angeschaut und obwohl es große Razzien und Drogenfunde gibt, zeigt sich eine sinkende Tendenz beim Preis für Kokain und Heroin in den Vereinigten Staaten—und zwar genau aus den Gründen, die ich genannt habe. Wir geben Hunderte Millionen Dollar jedes Jahr für die Unterbindung des illegalen Drogenhandels aus. Wenn man bedenkt, was es uns kostet, eine Tonne Drogen abzufangen: Air Force AWACS, Patrouillen der Navy, die DEA und alle anderen müssen bezahlt werden. Das hat bis jetzt noch niemand ausgerechnet, es wären astronomisch hohe Kosten. Wenn also mehr Drogenlieferungen abgefangen werden, zeigt das wahrscheinlich nur, dass mehr in die Staaten geliefert wird.

Wir können nur schwer beurteilen, inwieweit diese Maßnahmen tatsächlich effektiv sind. Mich beeindrucken die großen Zahlen nicht.