Ich habe mich im Volltrottel-Outfit auf der Vienna Fashion Week von Modebloggern fotografieren lassen
Alle Fotos von Stefanie Katzinger

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Popkultur

Ich habe mich im Volltrottel-Outfit auf der Vienna Fashion Week von Modebloggern fotografieren lassen

Wenn du von Fashionistas bewundert werden willst, musst du dir nur Flohmarkt-Ware überstreifen, die Nippel freistellen und den Hut deiner toten Oma aufsetzen.

Alle Fotos von Stefanie Katzinger

Was macht man, wenn einen der Chefredakteur fragt, ob man sich wie eine Mischung aus Health-Goth und Kanye West—also wie ein Opfer—anziehen und damit auf der Vienna Fashion Week von Fashionbloggern und Schaulustigen fotografieren lassen soll, weil man eh gern den Clown spielt?

Man zieht sich wie eine Mischung aus Health-Goth und Kanye West—also wie ein Opfer—und lässt sich auf der Vienna Fashion Week von Fashionbloggern und Schaulustigen fotografieren, weil man eh gern den Clown spielt. Oder probiert es zumindest.

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Von Mode hab ich aber eigentlich überhaupt keine Ahnung. Das meiste, was cool ist, finde ich irgendwie lame und umgekehrt. Socken in Flip Flops? Find ich cool, hat irgendwas Samurai-mäßiges.

Dass Birkenstocks seit 3 Jahren in und straßentauglich sind, ist mir auch erst nach dem 100sten Mal aufgefallen, als ich sie gesehen habe, verstehe es aber trotzdem noch immer nicht. Es sind Schlapfen, was soll das?!

Zum Glück ist meine Komplizin Steffi etwas versierter in Modethemen und so werde ich in einen Second Hand-Markt entführt, den ich namentlich nicht nennen darf und am besten schnell wieder vergesse.

Eins hab ich aber sofort gemerkt: Dieser entlegene Mystery-Markt ist der feuchte Traum eines jeden Gameboy Color-spielenden Vintage-Hipsters.

Wobei ich auch gelernt habe, dass „Vintage" einfach alles ist, was alt und nicht näher bestimmbar ist. Meine Oma hatte auch sehr viel Vintage zuhause, dann ist sie gestorben, jetzt habe ich sehr viel Vintage im Keller.

Outfits. Gay Skin-HEAD (get it?), Gothic-Aladdin und der napoleonische Flugzeugpilot. Ich bin skeptisch. Der Mann im Hintergrund verliert den Glauben an die Menschheit, und ich bin Schuld.

Wir zupfen uns also modische Kleidungsstücke zusammen und probieren unsere exklusiv zusammengestellten Outfits an. Von Gay-SkinHEAD zum Tribal-Aladdin bis zum napoleonischen Flugzeugpiloten, der gerade seinen Urlaub auf den Bermudas für eine wichtige Mission pausieren muss, war eigentlich alles dabei.

Geworden ist es dann aber diese Kombination aus Trachtenhose, semi-durchsichtigem Hemd und eleganten Lederschuhen der Größe 50, in denen man mit einem Paddel ausgestattet wahrscheinlich auch ganz gut die Donau überqueren kann.

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Nun zum Alibi: Wir komplementieren unsere Trachtenhose von Opening Ceremony und unser See Through-Shirt von American Apparel mit einem stylischen 30er-Jahre Regenmantel (ab diesem Zeitpunkt aus der 2012er Alexander Wang-Collection, eins meiner Lieblingsstücke), ein paar Ringen, einem Hut (ebenfalls Vintage) und einer gelben Eistee-Tasche, die mit einer Schlüsselanhängerkatze aufgepimpt wird. Bitch, I'm fabulous.

Nachdem wir uns ordentlich über das Outfit abgehaut haben und unser Resting Bitch Pokerface sitzt, geht es zur Vienna Fashion Week 2015. Auf der Straße kassiere ich ziemlich seltsame Blicke, gerunzelte Augenbrauen und zwanghaft unterdrückte Grinser.

Unter diesen vielen skeptischen Blicken sehne ich das Wiener Museumsquartier schon ziemlich heiß herbei—dort gehe ich dann endlich im Schwarm auf und bin mit meinem Bullshit-Look nur einer von vielen. Zumindest werde ich nicht schief angeschaut, weil ich offensichtlich irgendwas mit Mode am Hut habe.

Weil das MQ aber eher leer beziehungsweise nicht besonders fashion-esk wirkte, geht es erst mal ins Fashion-Zelt. Fulani und Karlmichael stehen am Programm und der Catwalk wird mit Musik aus dem Praterdome eröffnet. Nachdem ich mich an hypnotisch wabbelnde Pöpsche und Seitenbusen gewöhnt habe, ist mir erst aufgefallen, wie dünn manche der Models waren.

Foto: Designer Karl und sein Michael.

Ich wollte sie mit Schokoriegeln bewerfen. Außerdem habe ich Hunger bekommen. Hunger für die Models. Sie waren Jesus, und starben gerade für meine Sünden. Ein Snickers oder ein Beutel intravenös verabreichter Kochsalzlösung würden bestimmt ihren bevorstehenden Hungertod verhindern. An die Mode selbst kann ich mich kaum erinnern.

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Karlmichael wurde mit dem Opernstück aus Das fünfte Element eröffnet und war irgendwie sehr stiefel- und fetzenlastig. Karlmichael selbst kam am Schluss auch noch mit einem großen Grinser und einer herumhüpfenden Nudel, die nur von einem dünnen Netz-Teil in Zaum gehalten wurde, auf den Laufsteg. Es gab Applaus. „Immerhin wissen wir jetzt, dass er nicht naturblond ist", so ein Gast der Fashionshow, mit dem wir später ins Gespräch gekommen sind.

Alles was man braucht, um „totally legit" zu sein, ist jemand, der sich mit dir fotografieren lässt.

Apropos Gespräch: die überraschend einheitlich schwarz angezogene, glatt und gestriegelte Masse an Modebegeisterten verlässt das Zelt und verteilt sich im MQ. Das war unser Moment. Ich bitte den ersten modebewussten Typen, den ich sehe, ob ich ein Selfie mit ihm machen kann, was sofort eine Fotografin auf den Plan ruft, die diese zwei neu entdeckten, baldigen Modeikonen ablichten wollte.

Ich frage sie nach ihrem Instagram-Channel und bitte sie, mich mit #Viennafashionweek zu taggen. Hat sie (noch) nicht gemacht, fand mich aber bestimmt trotzdem leiwand. Alles was man braucht, um „totally legit" zu sein, ist jemand, der sich mit dir fotografieren lässt. Dass ich aussehe wie ein Unfall in der Vintage-Boutique, habe ich längst vergessen. Ich fühle mich wohl. So weit, so gut.

Der heißeste Scheiß.

Auf der Suche nach neuen Motiven stoßen wir auf das „offizielle Gesicht von Fulani", die gerade in einer Türspiegelung ein Selfie macht. Da dürfen natürlich auch wir nicht fehlen. Dann werden wir von zwei Mädchen fotografiert, die für den Modeteil einer Schülerzeitung schreiben (die ich mir natürlich umgehend zustellen lassen werde) und lassen uns mit einer Modedesignerin und Eventveranstalterin fotografieren.

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Sie alle finden mein Outfit toll. „Ein bisschen Hipster, aber nicht zuviel", „auffallend" „mutig und einzigartig", „stilsicher und elegant", „sehr retro" sind nur einige der Beschreibungen. Dass ich Schuhgröße 50 trage, scheint niemandem aufzufallen, bis wir von selbst erklären, dass Oversize Boots total im Kommen sind.

Trachtenhosen muss man in Zeiten von Lena Hoschek und Co wohl auch niemandem mehr verkaufen, die sind wohl einfach der absolute Shit und es wird auch nicht das letzte Mal sein, dass ich diese grüne Bauernhose rocke. Die grellgelbe Eisteetasche wird als „mutiger Bruch" und „geiler Kontrast" wahrgenommen. Spätestens hier bin ich mir selbst nicht mehr sicher, ob mein Outfit vielleicht nicht doch zu stylish ist und Steffi nach New York zu Alexander Wang gehen sollte. Fake it 'til you make it, oder so.

Auch das offizielle Gesicht von Fulani findet uns nice.

Dass wir gar keine Stylisten sind, die bald ihren großen Modeblog launchen, tut mir jetzt schon ein bisschen Leid. Viele Leute wollten unsere Namen und irgendeine Möglichkeit, sich mit uns zu vernetzen, wollten unsere Seite liken und in Kontakt bleiben.

Ob der hübsche Glatzenboy, der keine Selfies mag, traurig ist, dass wir das alles eher als soziales Style-Experiment gemeint haben und ich eigentlich gar kein wirklicher Fashionista bin? Er war jedenfalls trotzdem der netteste Kerl des Abends und seine Tattoos sind fucking dope.

Trotzdem war das Ganze ein spannendes Experiment, das sowohl der Modewelt als auch meiner Vorstellung davon den Spiegel vorgehalten hat. Einmal kam das Gespräch etwa auf eine „Refugee Collection", als eine unserer Gesprächspartnerinnen, die natürlich auch Modebloggerin ist, meinte, am besten wäre es wohl, „wenn man die Flüchtlinge direkt vom Bahnhof abholt und auf den Catwalk stellt, das wäre eine starke Message".

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Mein Fav. Mag keine Selfies; ich auch nicht.

Ich komme mir ein bisschen vor wie Ali G oder Brüno, bin mir aber ziemlich sicher, dass so eine Aktion trotz alarmierender Pietätlosigkeit gut ankommen würde und von den ganzen Fashionistas begeisterte Standing Ovations mit ein bisschen Hosilulu ernten könnte.

Gleichzeitig gab es aber auch erstaunlich viele erstaunlich kluge Leute, die von so einer Idee komplett angewidert waren. Überhaupt muss man sagen, dass alle Leute extrem nett waren, und das Klischee der tara-esken Modebitch (oder dem moldi-esken Modestricher) kaum erfüllt wurde.

Klar, viele Leute hatten Lederjacken an, trugen glattblondiertes Haar und erstaunlich viele von ihnen wählten „Lolipop im Mund" als Accessoire, was zwar mit Ausnahme des Lolipops (werdet erwachsen, Leute) irgendwo „zeitlos klassisch" ist, man im Zuge einer „Fashion Week" aber eher als langweilig bezeichnen könnte. Freundlich waren sie aber alle.

Auch nett: Die Mädchen von der Schülerzeitung.

Wir werfen noch einen letzten Blick ins Fashion-Zelt, bevor uns eine neonblonde High Society-Kitschbitch-Duftwolke direkt aus dem Volksgarten aus den Socken reisst. Im Vergleich zu unserem ersten Blick ins Zelt ist es inzwischen nicht nur gut gefüllt, sondern wirkt auch, als ob uns gleich Adi Weiss oder eine Seitenblicke-Kamera erschrecken würde. Wir beschließen, den Abend langsam ausklingen zu lassen.

Fazit

Mode ist seltsam. Obwohl die Vienna Fashion Week für regionale Verhältnisse nach einem Big Deal klingt, waren hauptsächlich eher kleine Fashion-Grüppchen am Start und nicht die große, flashige Mode-Masse, die ich mir ein bisschen erwartet habe. Die Modebegeisterten selbst waren aber fast alle sehr offen und vor allem viel netter, als ich mir im Vorfeld vorgestellt hatte.

Ja, du kannst dir den letzten Flohmarkt-Dreck überwerfen, deine Nippel freistellen und den Hut deiner toten Oma aufsetzen, und Fashionistas und Hipster aus aller Welt werden dich bewundern und mit Komplimenten überhäufen, solange du selbst an dein albernes Zirkuskostüm glaubst.

Aber eigentlich ist das nicht nur ein Argument dafür, wie lächerlich Mode ist, sondern hat auch etwas von Empowerment (zumindest für Leute, die gern schlecht angezogen sind und ihre Nippel zeigen).

Von den 3-Kilo-schweren Schuhen mal abgesehen fühlte ich mich in der Aufmachung am Ende auch schon richtig wohl—und wenn man es gut genug verkauft, findet man an jedem Teil meines Hipster-Cosplays sogar irgendwas Positives. Genau so, wie man mit ein bisschen Mühe eben auch irgendwas Positives an Fast & Furious 7 oder der Musik von Iggy Azalea finden kann.

Adrian ist manchmal auf Twitter: @doktorSanchez