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​Ich habe eine Woche lang Leute mit der Ordnungsamt-App verpetzt

Er brüllt etwas über "die Fotze der Schwester dieses Deutschen" und braust ab. Um mich zu beruhigen, melde ich schnell ein paar Bauabfälle und eine unangemeldete Sitzgelegenheit.
Foto: Karl Kemp

Eigentlich ist Petzen nicht so mein Ding. Nicht nur, weil ich ungern anderen Leuten den Tag versaue, sondern auch, weil ich selbst ein etwas kompliziertes Verhältnis zu Regeln habe. Vor allem Dinge wie Park- oder Rauchverbote interpretiere ich eher als freundliche Handlungsempfehlung, an die ich mich nicht halten muss, wenn es gerade nicht passt—und wenn ich mir gute Chancen ausrechne, nicht erwischt zu werden. Genau deshalb finde ich petzende Menschen ja auch so unangenehm. Sie mischen sich ungefragt in das harmonische Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ordnungshütern und Menschen wie mir ein und verzerren es. Geradezu unsportlich, wenn man mich fragt.

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Die Ordnungshüter sehen das aber offenbar anders. In Berlin hat das Ordnungsamt Anfang Juli eine App entwickelt, mit der man praktisch im Vorbeilaufen alle möglichen "Mängel" wie falsch geparkte Autos, rauchende Teenager oder Biomüll auf dem Bürgersteig melden kann. Und die App kommt gut an. Seit es sie gibt, hat sich die Zahl der sogenannten Hinweise in manchen Bezirken um 60 Prozent erhöht. Offenbar haben viele Berliner einen Riesenspaß am Petzen.

Nicht alle sind von der App begeistert: "Widerlicher geht es nicht!", heißt es in der B.Z., die die App "Blockwart-App" tauft. Datenschützer finden die App auch nicht so toll, weil sie auf Google Maps basiert. Als ich das erste Mal von dieser App hörte, war ich auch schockiert. Was soll dabei herauskommen, wenn man alle Petz-Pensionisten der Stadt digital aufrüstet? Die Hölle, das sind die anderen—das wussten wir schon, bevor es Ordnungsämter gab.

Wirklich begeistert war ich also nicht, als meine Redaktion mir befahl, eine Woche mit der App durch die Stadt zu laufen und Leute zu verpetzen. Andererseits war ich auch gespannt: Was, wenn es mir Spaß macht? Vielleicht entdecke ich plötzlich ungeahnte Reserven purer Deutschheit in mir, die sich dann in einem peniblen Denunziationswahn ihren Weg bahnen?

Foto: Karl Kemp

Bevor ich anfangen konnte, musste ich mich allerdings erstmal schlau machen, was eigentlich alles so verboten ist. Also machte ich die App auf und schaute mir an, was man so melden kann. Und siehe da, man kann praktisch alles melden! Von "Abfall aus Gewerbebetrieben" bis "Wildwuchs" bietet einem die App mindestens 50 Dinge, über die man sich aufregen kann, darunter auch "Werbematerialverteilung", "Filmaufnahmen", "Rattenbefall" und "Jugendschutz: Verzehr von Alkohol in der Öffentlichkeit". Bei so einer breiten Palette musste ich mir keine Sorgen machen, nicht genügend Material zu finden.

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Berlin-Mitte

Bei meinem ersten Spaziergang dauert es genau 20 Sekunden, bevor ich den ersten Mangel melden kann. Im Hof vor dem VICE-Büro parkt ein schicker Audi A7, an dessen rechtem Rückspiegel gut sichtbar ein String-Tanga hängt! Ein Kollege erzählt mir, dass das Auto irgendeinem österreichischen YouTuber gehört, der regelmäßig wechselnde Frauenunterwäsche am Spiegel spazierenfährt. Das muss bestraft werden! Ich überlege eine Weile, ob ich das als "Bioabfall" oder unter "Gesundheitsschutz/Hygiene" melden soll, entscheide mich am Ende aber für "KFZ-Teile, die möglicherweise Betriebsstoffe enthalten". Der Anfang fühlt sich schon mal gut an.

Unterwäsche an Rückspiegel könnte dessen Funktion beeinträchtigen

Auf der Straße vor dem Büro geht meine Arbeit gleich weiter. Ich entdecke sofort drei falsch geparkte Autos, die ich mühsam eins nach dem anderen an das Ordnungsamt melde. Dabei fühle ich mich allerdings eher schäbig, denn sie stehen an Stellen, an denen ich auch gerne parke, wenn ich mal ein Auto habe und es eilig ist. Ich achte deshalb darauf, dass man die Nummernschilder auf meinen Fotos nicht sehen kann und hoffe, dass das Ordnungsamt es nicht rechtzeitig zum Tatort schafft.

Nachdem ich noch zwei Falschparker und eine Dönerschachtel auf dem Boden gemeldet habe, wird mir das dann doch zu langweilig. Diese Ecke von Mitte hat nicht viel mehr zu bieten als falsch abgestellte Autos gestresster Arbeiter-Drohnen. Wenn ich richtig aufräumen will, muss ich mich in die absolute Hochburg der Chaoten begeben. Also auf in die Rigaer Straße in Friedrichshain! Jeder Bild-Leser weiß, dass da die richtig schlimmen Finger wohnen, die wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben was von Baumschutz oder dem Leinenzwang gehört haben.

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Friedrichshain-Kreuzberg

Direkt an der U-Bahn-Station—ich bin noch nicht mal in der Nähe der Rigaer Straße—entdecke ich ein in zweiter Reihe geparktes Auto. Fast schon reflexartig greife ich zum Smartphone. Aber dann kommt die herbe Enttäuschung: "Dieser Bezirk ist derzeit nicht an das Ordnungsamt-Online angeschlossen", meldet die App. Tatsächlich: Friedrichshain-Kreuzberg macht bei der Blockwart-App nicht mit. Innerlich schüttle ich wutentbrannt meine Faust in Richtung Rigaer. Typisch für diese Chaoten, sich hinter der grünen Bezirksregierung zu verstecken!

Und typisch für die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, auf dem Rücken aufrechter Nachbarschaftsspitzel wie mir ihre alberne Fehde mit dem CDU-Innensenator Frank Henkel auszutragen, der diese App mit auf den Weg gebracht hat. Vielleicht bereut er es aber auch schon, denn in der Zwischenzeit hat schon jemand die App genutzt, um einen falsch geparkten Frank-Henkel-Wahlkampfbus zu melden. Ich muss Friedrichshain jedenfalls wieder verlassen, ohne einen einzigen Missstand beseitigt zu haben. Zurück in Mitte melde ich dann noch halbherzig einen Fahrradfahrer, der eine Fußgängerin angeschrien hat, aber fürs Erste ist die Luft raus.

Neukölln

Meinen nächsten Spaziergang unternehme ich durch Neukölln, hier funktioniert die App, und hier ist meistens auch einiges los. Direkt am Hermannplatz erwische ich dann auch mal was anderes als Falschparker: Am Eingang zur Sonnenallee stehen ein Mann und eine Frau und verteilen Foodora-Gutscheine. Diese "Werbematerialverteilung" melde ich sofort, obwohl ich keine Ahnung habe, ob das eigentlich verboten ist. Direkt dahinter kann ich auch gleich "Unrat (Werbezettel)" melden, wo Leute die Foodora-Flyer direkt wieder weggeworfen haben.

Etwas weiter sitzt eine Bettlerin. Angeblich soll man über die App auch Bettler melden können, aber erstens habe ich nicht das Herz dazu, und zweitens scheint es die Option doch nicht zu geben. Vielleicht war das selbst dem Ordnungsamt etwas zu hart.

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Stattdessen laufe ich die Donaustraße runter, und da habe ich genug zu tun. An fast jedem Baum hat irgendjemand Müll deponiert. Langsam wird es mühsam, hier für Ordnung zu sorgen. Außerdem mache ich mir etwas Sorgen, ob die Leute hier auch angemessen dankbar für meine engagierte Tätigkeit sein werden. Was, wenn mich jemand dabei erwischt, wie ich ihn als Falschparker melde? Zur Sicherheit beschließe ich, einfach allen zu erzählen, ich spiele Pokémon Go.

Das Grafitti habe ich wegen des Rechtschreibfehlers gemeldet

Als ich gerade einen vergammelten Fernseher auf dem Gehweg einbuchen will, springt auch tatsächlich ein junger Mann vor mich und ruft: "Ey, warum beobachtest du mich die ganze Zeit? Ich hab dir doch nix getan!" Dann zieht er ab, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich hatte ihn zwar gar nicht beobachtet, aber seine Worte treffen mich trotzdem. Was mache ich hier eigentlich? Was haben mir all diese Leute getan, dass ich sie ständig verpetzen muss?

Während ich ein improvisiertes "Bitte nicht parken"-Schild melde, denke ich darüber nach, wie traurig das Leben als Hobby-Blockwart eigentlich sein muss. Praktisch alles, was Neukölln einzigartig macht, verstößt gegen irgendeine Vorschrift. Darf der Laden seine Ware einfach an das Gerüst vor seinem Haus hängen? Wahrscheinlich nicht, aber es sieht lustig aus.

"Bastard!", ruft plötzlich eine Mädchenstimme. "Ich schwöre, du bist ein Bastard! Grüß deine Mutter!" Erschrocken drehe ich mich um, aber es richtet sich gar nicht an mich, sondern an einen Drive-Now-Fahrer, der einer libanesischen Familie den Parkplatz weggeschnappt hat. Fast sieht es aus, als gäbe es gleich eine wüste Schlägerei, und wie soll ich das dann dem Ordnungsamt erklären? Dann geht der Fahrer aber einfach schnell weg; der Familienvater kann nur noch "die Fotze der Schwester dieses Deutschen" fluchen und abbrausen. Um mich wieder zu beruhigen, melde ich schnell ein paar Bauabfälle und eine unangemeldete Sitzgelegenheit.

Aber irgendwann kann ich nicht mehr. Alle paar Meter liegt hier Müll herum, den ich sonst nie bemerken würde, ich habe mittlerweile bestimmt 20 Mängel gemeldet, und ich langweile mich. Aus reiner Gemeinheit melde ich noch, dass mich die Klaviermusik aus einem Café-Fenster stört, obwohl ich sie eigentlich sehr schön finde.

Ganz zum Schluss beschwere ich mich noch über die Reste des abgebrannten Auto-Wracks in der Richardstraße, das da kurz nach der Teilräumung der Rigaer angezündet wurde, obwohl das Ordnungsamt das bestimmt schon kennt. Im Grunde war das auch das einzige, was mir an diesem Experiment wirklich Spaß gemacht hat: Das Ordnungsamt mit möglichst viel albernem Mist zuzuspammen, so dass sie weniger Zeit haben, herumzulaufen und Strafzettel auszustellen. Immerhin habe ich gelernt, dass es nicht nur mein Mitgefühl ist, das mich davon abhält, Leute zu verpetzen. Ich bin vor allem einfach viel zu faul dafür.