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Gewalt gegen Rettungskräfte

Die Deutschen bespucken und verprügeln immer häufiger Feuerwehrleute und Sanitäter

"Am Einsatzort schreit mich jemand an: 'Du blödes Nazischwein.'" - Zwei Feuerwehrmänner berichten.
imago | ITAR-TASS

Luke Skywalker gegen Darth Vader, Frodo gegen Sauron, Harry Potter gegen Voldemort – wir unterteilen unsere Welten gerne in Gut und Böse. Doch oft läuft das nicht ganz so eindeutig wie in den Fantasy-Werken. Die Polizei, eigentlich jene, die uns schützen sollen, sind für einige die  Bösen, die Vertreter der repressiven Staatsgewalt. Das kennen wir. Wer aber bis jetzt eindeutig nicht zu den Bösen gehörte: Feuerwehrleute und Rettungssanitäter. Doch das ändert sich anscheinend in der Wahrnehmung anderer. Feuerwehrmänner und Sanitäter werden immer häufiger Opfer von Gewalt.

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2015 hat das Bundeskriminalamt 1.939 Vorfälle dokumentiert, in denen es zu Straftaten gegen Rettungskräfte kam. Zuletzt ließen Zahlen aus Niedersachsen aufhorchen: 2011 wurden dort 91 Einsatzkräfte der Feuerwehr und des Rettungsdienstes bedroht, geschlagen oder getreten. Seitdem ist die Gewalt gegen Einsatzkräfte immer weiter gestiegen. 2016 wurden 155 Männer und Frauen angegriffen, davon 117 verletzt. Mindestens.

Denn längst nicht jeder Angriff wird offiziell dokumentiert. "Wenn ich als Rettungskraft eine Beleidigung, ein Rempeln oder Schubsen nach dem Einsatz dokumentieren will, habe ich dadurch einen Haufen mehr Arbeit am Hals", sagt Bernd Bruckmoser von der Berliner Feuerwehr zu VICE. In Berlin würde man deswegen nicht einmal verlässliche Zahlen erheben – durch chronische Unterbesetzung bleibe keine Zeit für sowas. Doch eine Zunahme der Gewalt gegen Sicherheitskräfte nehme auch die Berliner Feuerwehr wahr: "Immer wenn jemand im Einsatz verletzt oder angegriffen wird, gibt es bei uns intern eine E-Mail an alle", sagt der 52-jährige Bruckmoser, "und von denen kommen immer mehr."

Alle Kollegen seien schon mal angegriffen worden. Es werde gepöbelt, gespuckt und beleidigt. "Am Einsatzort schreit mich jemand an: 'Du blödes Nazischwein.' Oder ein Schlipsträger in seinem Daimler beleidigt mich, weil wir für einen Rettungseinsatz eine Straße abgesperrt haben." Bruckmoser sieht die ansteigende Gewalt als eine Sache des Respekts. "Die Menschen sind ständig gestresst und genervt. Wenn wir ihnen Anweisungen geben, fühlen sie sich provoziert und schlagen zu."

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Auch Bruckmoser wurde in seinen 31 Jahren bei der Feuerwehr schon attackiert. Er schildert das so:

"Eine Frau mittleren Alters saß nachts auf dem Gehweg. Sie kam nicht mehr hoch, weil sie so betrunken war. Ihr gegenüber stand ein junger Mann, der sie andauernd beleidigte: 'Du dumme Schlampe. Du kannst noch nicht mal mehr nach Hause laufen.' Das war ihr Sohn. Die Frau war betrunken, aber sonst ging es ihr OK. Ich habe ihren Sohn gebeten, ruhig zu sein, seine Mutter einzuhaken und sie die letzten Meter nach Hause zu bringen. Da ist er auf mich losgegangen. Er fing an, nach mir zu spucken und zu schlagen. Ich konnte ihn dank meiner zwei Meter Körpergröße auf Distanz halten. Aber dann hat er angefangen zu treten und mich zweimal böse am Knie getroffen. Ich bin verletzt in den Rettungswagen geflüchtet und habe die Polizei gerufen. Den Rettungswagen hat er massiv von außen demoliert. Die Polizei kam, übermannte ihn – ließ ihn dann aber recht bald wieder gehen. Schmerzensgeld habe ich nie bekommen."

Auch der 48-jährige Feuerwehrmann Frank Hachemer vom Landesfeuerwehrverband Rheinland-Pfalz berichtet von einem Angriff:

"Wir sollten nachts im Winter eine gefährdete Brücke vom Eis befreien. Die Brücke war in einem Wohngebiet. Wir mussten Licht mit Stromaggregaten erzeugen und mit diversen Hilfsfahrzeugen anrücken. Einige Anwohner fühlten sich dadurch in ihrer Nachtruhe gestört. Einer fing an, mit Gegenständen vom Balkon zu werfen. Er verfehlte mich nur knapp mit einer vollen Bierflasche. Erst die Polizei konnte den Mann davon abhalten, weitere Gegenstände zu werfen."

Justizminister Heiko Maas stellte am vergangenen Freitag einen Gesetzesentwurf zum Schutz von Polizei- und Rettungskräften vor. "Wenn diese Angriffe teilweise so hart sind, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte monatelang nicht mehr ihren Dienst ausüben können und lange Rehabilitationsmaßnahmen machen", so der Minister im Bundestag, dann müsse es auch ein Gesetz geben, "das diese besonders schwere Form der Strafbegehung auch besonders hart bestraft".  Nach dem neuen Gesetzesentwurf kann der Täter, der einen Beamten oder eine Rettungskraft im Dienst angreift, mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Solch eine Strafe war bisher nur im Zusammenhang mit einer Festnahme möglich. Die Linke geht allerdings nicht davon aus, dass eine härtere Bestrafung zu einem Rückgang der Übergriffe auf Rettungskräfte führt. Keiner der neuen Paragrafen stelle einen Tatbestand unter Strafe, der bisher nicht unter Strafe stehe, sagt Frank Tempel, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken. Irene Mihalic von den Grünen, selbst ehemalige Polizistin, sieht in dem Entwurf sogar nur eine nette Geste in Richtung Polizeigewerkschaft.

Bruckmoser und Hachemer sagen, sie halten das neue Gesetz zwar für einen guten Schritt, wissen aber auch, dass härtere Bestrafung alleine nichts bringt. Warum die Angriffe zunehmen, verstehen sie auch nicht. "Da kommt man mit gesundem Menschenverstand nicht hinter", sagt Bruckmoser. "Über 90 Prozent der Rettungskräfte arbeiten ehrenamtlich", sagt Hachemer, "werden von ihren Angreifern aber trotzdem als 'Staatsgewalt' wahrgenommen." Vielleicht fehlt es den wütenden Deutschen in dieser Hinsicht schlicht an Bildung.

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