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Was wir bei den ORF-Duellen zur Präsidentenwahl gelernt haben

Anscheinend laufen nicht nur Internet-Diskussionen immer auf das Nazithema hinaus.

Quelle: Screenshot ORF TVThek

Am 24. April finden die Bundespräsidentschaftswahlen statt, der Wahlkampf ist endgültig an seinem Höhepunkt angelangt. In der ORF-Sendung Die 2 im Gespräch traten am Donnerstagabend fünf der sechs Kandidaten in insgesamt 10 kurzen Wortduellen gegeneinander an. Wir haben die zweieinhalbstündige Sendung entgegen unseren Impuls, stattdessen Candy Crush neu zu installieren, aufmerksam verfolgt und die wichtigsten Erkenntnisse des Abends für euch gesammelt.

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Das Sendungsformat funktioniert nur für Politfreaks

In Zeiten der US-Vorwahlen kommt einem das Konzept durchaus bekannt vor. Die Kandidaten schreiten über einen roten Teppich in die Arena und liefern sich verbal ausfällige Duelle. Auch die Länge der Sendung erinnert an US-Formate. Das ist auf gewisse Weise neu und eigentlich ein ganz netter Innovationsversuch, aber für den österreichischen Markt noch nicht ganz ausgereift. Obwohl ein einzelnes Duell höchstens 12 Minuten dauerte, fehlte die Spritzigkeit und die Diskussionen wirkten langatmig.

Im Journalistensaal hört bei Khol und Hundstorfer fast niemand mehr zu. — Florian Klenk (@florianklenk)14. April 2016

Die Wartezeiten zwischen den Duellen wurden mit kurzen Experteninterviews gefüllt, im Studio hatte sich die High Society der österreichischen Medienlandschaft versammelt. Spätestens ab Hundstorfer vs. Khol führten anscheinend auch geübte Journalisten einen kleinen Kreuzzug gegen den eigenen Konzentrationsverlust.

Dem Otto-Normalverbraucher wäre es kaum zu verübeln gewesen, spätestens beim Experteninterview mit Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner schreiend davonzulaufen. Kürzere Duelle mit knackigeren Fragen hätten dem Unterhaltungsfaktor der Sendung sicher nicht geschadet.

Nicht nur Internet-Diskussionen laufen immer auf das Nazithema hinaus

Gleich im ersten Duell kamen die Kandidaten in kürzester Zeit gleich drei Mal auf den Nationalsozialismus zu sprechen. Das Duell zwischen Griss und Van der Bellen war noch nicht einmal zwei Minuten im Gange, als der unabhängige Grüne seiner Konkurrentin den ersten Nazi-Bezug an den Kopf warf: „Sie haben gesagt, dass die Nazis nicht von Anfang an ihr böses Gesicht gezeigt hätten. Das darf Ihnen als Repräsentantin des Landes Österreichs nicht passieren."

Nachdem Griss ihre Aussage glaubwürdig verharmlost hatte, versuchte Moderator Tarek Leitner das Thema wieder auf die Gegenwart zu leiten—vergebens. Die beiden waren thematisch schneller wieder beim Nationalsozialismus angelangt, als Leitner die nächste Frage hätte vorbereiten können. Jetzt gab auch der Moderator nach und stellte Griss die nächste Nazifrage.

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Es ist bedenkenswert, dass 70 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus eine Diskussionssendung zur Bundespräsidentschaftswahl keine zwei Minuten ohne Nazithematik auskommt. Es wäre wünschenswert, wenn sich zumindest der Moderator bemühen könnte, den Schwerpunkt der Diskussion auf eine aktuelle Thematik zu lenken.

Die Regierungsparteien sind am Ende

Bis zum Ende der Sendung mussten wir auf das Duell zwischen Khol und Hundstorfer warten. Die Diskussion zeigte auf, wie wenig die Koalitionspartner mittlerweile voneinander halten. Tatsächliche Inhalte gab es kaum, stattdessen fielen sich die Gesprächspartner dauernd ins Wort und lieferten sich einen politischen Hick-Hack, der an zwei streitende Jungen auf dem Schulhof erinnerte. Es kann natürlich sein, dass die Kandidaten am Ende des Abends einfach keine Lust mehr hatten. Womöglich liegen aber auch die Nerven blank, weil die Großparteien realisieren, dass sie erstmals in der Geschichte der Bundespräsidentschaftswahlen keine Chancen auf den Posten haben. Die Tatsache, dass es sich um die bissigste Unterhaltung des Abends handelte, verstärkt dieses Gefühl.

Khol setzt auf auffällige Modeaccessoires

Durchaus bemerkenswert ist, dass ÖVP-Kandidat Andreas Khol stets mit der gleichen rot-weiß-roten Krawatte im Fernsehen auftritt. Vielleicht ist es eine ausgeprägte Form von Patriotismus, vielleicht hat Khol einfach nicht viele Krawatten und vermutlich hat die ganze Sache auch keine Auswirkungen auf den Wahlkampf. Aber die Konsequenz, mit der Khol diese Krawatte im TV trägt, ist auf jeden Fall beeindruckend.

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Auch mit einem zweiten modischen Accessoire fiel Khol am gestrigen Abend auf. In seinem dritten Duell tauchte er plötzlich mit einem Button auf, den der Schriftzug „Keep Khol" zierte. Der Button war aber nicht nur spiegelnd, kaum erkennbar und irritierend, sondern auch inhaltlich nicht ganz nachvollziehbar. Die Anspielung auf Keep Cool ist klar, aber das impliziert doch, dass wir Khol irgendwo behalten wollen. Aber wo? Als Obmann des Pensionistenbundes?

Hundstorfer geht völlig unter

Rudolf Hundstorfer war gegen jeden Konkurrenten chancenlos. Zwar nicht immer inhaltlich, sehr wohl aber in Sachen Ausstrahlung. Eigentlich ist es fast schon übertrieben, das Wort Ausstrahlung überhaupt in Verbindung mit dem Spitzenkandidaten der SPÖ zu nennen. Er wirkte quer durch alle Duelle lustlos, unmotiviert und träge. Man bekommt den Eindruck, dass er wirklich keinen Bock auf den Posten hat. Er weiß um seine Position, er kennt die Umfragen—und er versteht vermutlich, dass er absolut chancenlos ist. Lediglich beim Duell gegen Norbert Hofer kam er stellenweise zur Geltung; dort blitzte sogar eine Spur von jener Leidenschaft auf, die in einem Vollblutsozialisten kocht, wenn er mit einer Person diskutiert, deren politische Position er abgrundtief verabscheut.

Mein heutiges Souveränitätsranking:
1. Griss
2. Van der Bellen
3. Hofer
4. Khol
5. Studio
6. Logo
7. Tisch
8. Hundstorfer
— Michael Hufnagl (@MHufnagl)14. April 2016

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Alexander Van der Bellen diskutiert gerne

Der ehemalige grüne Bundessprecher ist eine stille Person. Er ist nicht sonderlich outgoing und bei Einzelinterviews hat man zeitweise den Eindruck, dass er sich kurz zuvor Schlaftabletten eingeworfen hat, nun im Delirium vor sich her schwafelt und viel lieber gemütlich bei einem Gläschen Rotwein vor dem Kamin sitzen würde. Bei politischen Diskussionen kommt die Rhetorik Van der Bellens da schon deutlich besser zur Geltung. Sobald er eine Person gegenüber sitzen hat, die er von seiner Meinung überzeugen kann, spielt er seine langjährige Erfahrung als Politiker aus. Er hat Übung in solchen Diskussionen und fühlt sich merkbar wohler, als wenn er alleine im Rampenlicht sitzen muss. Da stellt sich nur die Frage, ob das für den wichtigsten Repräsentanten des Landes nicht eher von Nachteil ist.

Hofer kommuniziert wie jeder andere FPÖ-ler

„Sind Sie bereit, sich von Ihrer Burschenschaft zu distanzieren?", fragte Hundstorfer sein Gegenüber Norbert Hofer. Im ersten Moment war das dem FPÖ-Kandidaten lediglich ein Lachen wert. Statt einer inhaltlichen Antwort konterte er mit einem persönlichen Angriff: „Sie sind heute derartig verzweifelt und deprimiert. Als ich Sie vor sechs Wochen gesehen habe, waren Sie noch ein fröhlicher Mensch." Eine Antwort auf Hundstorfers Frage kam, selbst nach Tarek Leitners konkreter Nachfrage, nicht.

In den vergangenen Wochen hat sich Hofer laufend bemüht, sein Image als politischer Hardliner aufzuweichen. Mit Katzenfotos und gemäßigteren Ansichten versuchte er, sich der politischen Mitte anzunähern. Nachdem ihn Hundstorfer aber auf seine politische Gesinnung angesprochen hatte, verfiel Hofer wieder in bekanntere Muster. Ob ihm das bei seiner Wählerschaft mehr hilft oder schadet, bleibt abzuwarten.

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Griss wirkt unantastbar

Griss machte im Laufe des Abends den mit Abstand abgebrühtesten Eindruck. Sie wirkte aufgeschlossen, lässig und ließ sich von ihren Konkurrenten verbal kaum angreifen. Mit einem Dauerlächeln, das ihr auch tatsächlich kein einziges Mal verloren ging, schien sie den anderen Kandidaten stets überlegen, mit ihrer Position glücklich und wirkte zuversichtlich. Während ihre Konkurrenten mit fortschreitender Sendezeit immer müder und müder wurden, wurde Griss von Duell zu Duell frischer.

Erste Zwischenbilanz: — Euke Frank (@EukeFrank)14. April 2016

Lugner hat gefehlt

Schon im Vorfeld der Sendung wurde der ORF laut dafür kritisiert, den sechsten Präsidentschaftskandidaten Richard Lugner nicht zur Sendung eingeladen zu haben. Der Kandidat sei chancenlos, so das Argument des ORF. Bei diesem Argument muss man allerdings so ehrlich sein und die Frage stellen, was Hundstorfer in dieser Runde zu suchen hatte. In Wirklichkeit hat er auf den Einzug in die Hofburg kaum bessere Chancen als Lugner. Und schon in der Vergangenheit bat der ORF diversen Kleinparteien eine wichtige Bühne, zuletzt Frank Stronach bei den ORF Sommergesprächen.

ORF hat Lugner ausgeladen,weil er keine Chance auf Stichwahl habe. Frage: welcher Narr am Küniglberg glaubt an Hundstorfers Chance? — Rudi Fußi (@rudifussi)14. April 2016

Vielleicht hätte Lugner der Sendung gar nicht geschadet—im Gegenteil. Ein paar Interviews mehr, dafür deutlich kürzer, knackiger und abwechslungsreicher hätte dem Unterhaltungsfaktor der Sendung gut getan und wäre womöglich auch bei den Sehern besser angekommen.

Bence auf Twitter: @BenceJuennemann