FYI.

This story is over 5 years old.

News

Zu Besuch beim Chefredakteur der ersten arabischsprachigen Zeitung für Flüchtlinge in Deutschland

Wie kann man für drei Euro mit deutschen Zutaten kochen? Bei welcher Behörde muss der nächste Antrag gestellt werden? Was bewegt die Leute in den Flüchtlingscommunitys?

Foto von Anna Neifer

„Ich bin einfach staatenlos", sagt Ramy und zuckt mit den Schultern. Er dreht seine leeren Handflächen zur Decke seiner Einzimmerwohnung. Seine Hände sagen, er kann nichts dafür, aber auch nichts daran ändern. Er kommt eigentlich aus Palästina, musste später vor dem syrischen Regime fliehen, tauchte in Jordanien unter und kam mit einem Stipendium nach Deutschland. Hier treffen sich unsere Wege, in Köln, an einem grauen verregneten Tag. Wir trinken Tee und seine wilden Locken wippen, wenn seine Hände erzählen. „Ich bin in Deutschland weder Palästinenser, Israeli, Syrer noch Deutscher. Ich bin einfach nichts."

Anzeige

Ramy Al-Asheq versucht das Beste aus dieser Situation zu machen. In dem Fall: Chefredakteur der ersten arabischsprachigen Zeitung für Migranten und Flüchtlinge in Deutschland zu sein. Das knallt. Schon jetzt hat der 26-jährige Flüchtlingsgeschichte geschrieben. „Weißt du was? Ich habe 3.000 E-Mails in meinem Postfach", sagt Ramy und legt sich kopfschüttelnd eine Hand vor die Augen. Eine schäumende Welle aus Interesse und Sympathie hat ihn überrollt. Organisationen, Verbände, Journalisten, Freunde, Kollegen und Behörden sind begeistert von der kostenlosen Zeitung.

Die Redaktion ist sein zu Hause, in einem Hochhaus, fast außerhalb von Köln. Zusammengewürfelte Möbel, Bett, ein paar Sofas und ein Schreibtisch. Darüber hängen gelbe Zettel mit arabischen Notizen. Etwa 40 Autoren schreiben für die Zeitung, sie sitzen überall verstreut in Deutschland und im Ausland, bei Ramy laufen die Artikel für Abwab zusammen.

„Das heißt ‚Türen' auf Arabisch", erklärt Ramy den Namen der Zeitung. „Kommt von meiner ersten Gastmutter. Ich hab mich bei ihr bedankt, für all die Unterstützung, die ich in den ersten drei Monaten in Deutschland bekommen habe. Sie meinte nur: Ramy, ich habe nur Türen geöffnet." Das will Ramy weitergeben, den neu in Deutschland Ankommenden eine Tür aufhalten, in das fremde Land. Die große Mehrheit der arabischsprachigen Flüchtlinge spricht kein deutsch, wenn sie bei uns stranden. Während die Politik über die Zukunft dieser Menschen streitet, verstehen die Betroffenen kein Wort.

Anzeige

In Syrien hat Ramy Worte zu Gedichten geflochten. Jetzt enträtselt der Dichter den Flüchtlingen dieses komische trübe Land, das Menschen einfach aufnimmt, auch ohne Papiere und ohne Plan. Er und seine Kollegen schreiben Artikel über Deutschland auf Arabisch. Wie kann man für drei Euro mit deutschen Zutaten kochen? Bei welcher Behörde muss der nächste Antrag gestellt werden? Was bewegt die Leute in den Flüchtlingscommunitys? Und was passiert gerade in der Heimat? Nächsten Monat erscheint die dritte Ausgabe. Freunde und Kontakte helfen mit, die 45.000 Zeitungen deutschlandweit auszutragen, in Flüchtlingsheimen und auf der Straße. Auch das Rote Kreuz und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge tragen Zeitungen aus.

„Es gibt viele Vorurteile, auf beiden Seiten. Sowohl bei den Deutschen als auch bei den Flüchtlingen. Einige haben Angst vor den Rechten und Pegida, aber so sind auch nicht alle Deutschen." Ramy erzählt, dass ihn sein deutsches Netzwerk in Köln warnt, wenn Pegida demonstriert. „Sie sagen dann, hier ist wieder eine Demo, halt dich da besser fern, geh nicht in den und den Stadtteil. Sie kümmern sich, das ist toll. Dabei vergessen sie aber, dass ich aus einem Kriegsgebiet geflohen bin."

Ramy hat keine Angst vor Pegida, er hat Schlimmeres gesehen. Vor kurzem hat er bei einer Diskussion eine Pegida-Anhängerin getroffen. „Sie war gar nicht aggressiv, eigentlich sogar ganz nett. Ich war etwas geschockt. Sie hatte einfach viel Angst um ihre Kultur. Vielleicht können wir da eine Brücke sein."

In jeder Ausgabe erscheinen auch zwei Artikel auf Deutsch. Einer über Interessantes aus der arabischsprachigen Welt. Der zweite zu Themen, bei denen Ramy und sein Team finden, dass es unglaublich wichtig ist, dass die deutschen Leser darüber Bescheid wissen. Auch zu den Übergriffen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof haben sie auf Deutsch veröffentlicht. Ein Artikel über das Verbrechen an sich, dem man nur mit schärferen Gesetzen beikommen kann.

Ramy lehnt die Übergriffe ab. Bislang sei noch viel unklar und er kritisiert die Berichte in einigen deutschen Medien. „Die Medien haben versucht, es als kulturelles Problem hinzustellen, das ist nicht so. Ein kulturelles Problem wäre es, wenn mein Vater mir in meinem Land sowas beibringt: ‚Wenn du aus dem Haus gehst, kannst du dich an Frauen vergreifen, das ist erlaubt.' Aber das ist natürlich nicht so. Auch in meinem Land ist das Tabu."

Bis jetzt ist die Finanzierung der Zeitung für sechs Monate sicher. Hinter dem Projekt steht ein Verlag in London, mitfinanziert wird Abwab auch von zwei großen Anzeigenkunden. Wie es danach weiter geht, ist ungewiss. Ramy hofft, dass sie es hinkriegen. Vor dem Fenster hängt eine weiße Wolkenwand, der Tee ist ausgetrunken, ich verabschiede mich. Als ich die Tür öffnen will, ist sie abgeschlossen. „Die Tür ist kaputt", erklärt Ramy. Er grinst. „Ist eine Flüchtlingstür."