Was wurde eigentlich aus Meinbild?

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Popkultur

Was wurde eigentlich aus Meinbild?

Meinbild war einst die erfolgreichste Social Media-Plattform der Schweiz. Ihren Gründer hat sie ans Existenzminimum getrieben.

Bis heute fällt es Jvo Maurer sichtlich schwer über die Zeit zu reden, als die von ihm gegründete Plattform Meinbild einbrach und seine Existenz gefährdet wurde. Für eine ganze Generation von Halbwüchsigen war Meinbild der erste Kontakt mit Social Media überhaupt und gilt als eines der ersten sozialen Netzwerke in der Schweiz. Zu ihren besten Zeiten hatte die Plattform 120.000 registrierte Nutzer und über eine Million Fotos online, noch bevor Facebook und Konsorten überhaupt das Licht der Welt erblickten.

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1999 programmierte Jvo Maurer im Alter von 19 Jahren Meinbild innerhalb von nur zwei Tagen. Zuvor fiel ihm bei Programmier-Workshops mit Jugendlichen auf, dass seine Teilnehmer am liebsten Fotos von sich selbst in Internet hochladen, um sie der noch ziemlich jungfräulichen Internetöffentlichkeit zu präsentieren. Nach vielen erfolgreichen Jahren folgte 2006 der leise Abstieg, der schliesslich zum schnellen Ende der Plattform führte – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Online ist Meinbild heute immer noch. Die Homepage zeigt heute noch einen einfachen Login-Bereich und die Profilsektion die letzten Registrierungen. In den ersten drei Januarwochen sind es fünf. Viele der Profile scheinen Fake zu sein, irgendwie verloren wirken fast alle. Der Plattform den Stecker zu ziehen hat Jvo aber bis heute nicht übers Herz gebracht.

Nach drei Jahren als kleine Randerscheinung im noch überschaubaren Schweizer Internet lernte Jvo 2002 einen Freund kennen, der ihm bei search.ch, damals ein bekanntes Schweizer Online-Verzeichnis, neue Server zur Verfügung stellte und half, die Webseite zu optimieren. "Anfang der Nullerjahre war Performance das wichtigste. Erst als die Page schnell genug war, schossen die Userzahlen nach oben", erklärt Jvo. Werbung für die Plattform selbst machte Jvo keine, ausser einmal, als er Joint-Filter mit dem Meinbild-Logo bedrucken liess. "Obwohl da plötzlich von überall Leute auf mich zukamen und fragten, wo man diese herkriegt, mussten wir die Aktion bald einstellen – sie kam bei manchen nicht so gut an, weil wir eine Jugendplattform waren", erzählt Jvo.

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Damaliges Meinbild-Team mit Jvo in der Mitte | Alle Fotos zur Verfügung gestellt von Jvo Maurer

Als die Popularität von Meinbild weiter zunahm, begann search.ch die Plattform zu vermarkten und holte mit Swisscom, UBS und Credit Suisse grosse Werbekunden auf die Plattform. Jvo kündigte seinen bisherigen Job, bezog ein Büro in Zürich und stellte einen Buchhalter ein. Als die Plattform dann ein Firmengefäss benötigte und dieses einen Namen brauchte, traf sich Jvo mit einem Freund auf der Chinawiese in Zürich. Als ein paar Jugendliche bemerkten, dass er der Typ von Meinbild ist, bildete sich innert kurzer Zeit eine grosse Traube um Jvo und seinen Kumpel. "Obwohl wir an dem Tag keinen Firmennamen fanden, feierten wir diese Nacht mit den anderen Jugendlichen durch, bis ich irgendwann auf der Wiese erwachte. Da merkte ich das erste Mal, dass wir wirklich bekannt sind", erzählt Jvo.

Als Meinbild in der Schweiz zum wichtigsten sozialen Netzwerk wurde, interessierten sich immer mehr Werbekunden für das Projekt. Ein Fotodienst wollte die Möglichkeit anbieten, die Userfotos direkt über die Plattform ausdrucken zu können und auch die SBB wollte mit ihrem Gleis 7-Projekt einsteigen. "Ohne echtes Micro-Payment hat das alles nicht wirklich geklappt – heute wäre das gar kein Problem mehr. Trotzdem war Meinbild für seine Zeit schon sehr Innovativ", erzählt Jvo. Bereits 2006 wurden 30 Prozent der Bilder auf Meinbild via MMS hochgeladen – wohlgemerkt in der Zeit vor Smartphones und Datenvolumen, als ein MMS-Upload noch einen Franken kostete.

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Joint-Filter waren die einzige Werbung, die Meinbild in seinen Anfangstagen machte

Sowohl für User, wie auch für Betreiber war der Umgang mit sozialen Netzwerken Neuland. Ein Team von rund 30 Jugendlichen auf freiwilliger Basis überprüfte jedes einzelne Bild innert sieben Tagen nach dem Upload auf dessen Vereinbarkeit mit den internen Richtlinien. Meinbild ging dabei soweit, dass auch Bilder bei denen das Gesicht nicht gezeigt wurde, per Richtlinie gelöscht wurden. Auch wenn es selten zu Konstruktivem führte, liess Jvo nach seinen Meetings mit Werbekunden und Teilhabern sein Freiwilligenteam bewusst mitreden, um sie mit Partizipationsmöglichkeiten und flachen Hierarchien bei Stange zu halten. Der jungfräuliche Umgang mit dem Internet der meist 14- bis 24-jährigen Usern führt dazu, dass die Hälfte der Inhalte wieder gelöscht werden musste.

Um eine Art digitale Ghettobildung zu verhindern, verbannte Jvo später Landesflaggen und politische Inhalte komplett von der Plattform. Auch die Polizei rief regelmässig im Meinbild-Büro an. Jvo musste so manch übereifrigem Polizisten klarmachen, dass sie ohne richterlichen Beschluss keine Daten freigeben. Bis heute wurde Jvo von keinem Richter dazu gezwungen. Einzig als ein Schüler wegen einem verzerrten Bild seines Lehrers auf seinem Profil von der Schule flog, versuchte Jvo die Schulleitung zu überreden, den Entscheid zu überdenken, scheiterte jedoch. "Für mich war das ein Versagen der Schule, die es verpasst hat, ihre Schüler über den Umgang mit dem Internet aufzuklären und stattdessen ein Exempel statuiert hat", sagt Jvo. 2004 kaufte die Post search.ch und somit auch ein Drittel der Anteile von Meinbild. Weil die Post keine Beteiligungen bei Privatpersonen eingeht, bot sie ihm an, die Plattform abzukaufen und ihn anzustellen. Obwohl ihm die Post ein Angebot im hohen sechsstelligen Bereich macht, lehnte Jvo ab. "Als 24-Jähriger wirst du in einem starren Betrieb wie der Post nicht ernst genommen. Ich wollte mein Baby nicht verkaufen und bin einfach aus dem Sitzungszimmer gerannt. Im Nachhinein ist man klüger: Ich hätte das Geld nehmen sollen und ein neues Projekt damit starten", erzählt Jvo. Später verkauft die Post search.ch an die tamedia, die wiederum kein Interesse an den Meinbild-Anteilen hat und diese an Jvo abgibt.

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Jvo wird in einem Artikel als Geschäftsführer der "Partnersuch-Seite" Meinbild.ch zitiert

Als Jvo mir vom langsamen Abstieg von Meinbild zu erzählen beginnt, muss er erstmal innehalten. Mehrmals muss er seine Erzählungen korrigieren, weil er die Erlebnisse aus dieser Zeit noch immer nicht verarbeitet hat. Anstatt sich um die Weiterentwicklung der Seite zu kümmern, ging Jvos Zeit zunehmend für administrative Aufgaben drauf. Als um 2006 herum internationale Player wie Facebook und Netlog den Schweizer Markt betraten und Meinbild schon länger kein Update mehr gesehen hatte, stagnierten die Userzahlen. "Ich hatte zwar viele Ideen, kam aber einfach nicht dazu, sie umzusetzen. Meistens hat die Konkurrenz dann einige Monate später diese Features selbst implementiert", erzählt Jvo. Bis Ende 2007 konnte sich Meinbild noch über Wasser halten, dann ging es schnell.

Die Werbeagentur rief an und erklärte, dass die Plattform dringend ein Update benötige, andererseits fänden sie keine Werbekunden mehr. Der Buchhalter wanderte aus und innert drei Monaten brach der Umsatz von Normalniveau auf Null ein, bevor Jvo überhaupt reagieren konnte. "Du kannst es dir vorstellen wie ein 200 km/h schnelles Auto auf der Autobahn, dem das Benzin ausgeht: Du rollst zwar noch weiter, aber der Prozess an sich ist schon lange unaufhaltbar", erklärt Jvo.

Meinbild, wie du es wahrscheinlich kennst

Um Meinbild irgendwie noch zu retten, gab Jvo seine Wohnung auf und zog in ein winziges Büro in Zürich. Eine der Wände hatte ein Loch, durch das im Winter kalte Luft hineinzog. Zum Duschen ging er ins City-Hallenbad und bis er sich eine kleine Herdplatte kaufte, brachte ihm seine Mutter ab und zu was zum Essen vorbei. Neun Monate waren es schlussendlich, die Jvo so verbringt. "Die kommenden zwei Jahre waren für mich die schlimmste Zeit meines Lebens", erzählt Jvo, der bis heute noch nicht mit vielen Leuten über diese Zeit gesprochen hat. Ein halbes Jahr später trat Jvo wieder eine Stelle bei einer Softwarefirma an. Von da an fehlte ihm die Zeit für Maintenance, Verkauf und Adminbetreuung, was sich sofort auf Meinbild auswirkte und die Userzahlen in den Keller fallen liess.

"Das Schlimmste für mich war, dass sich einerseits bei meinen Bewerbungen kein Schwein dafür interessierte, was ich die letzten Jahre mit dem Projekt Meinbild geschafft habe und andererseits, dass ich mich in starren Hierarchien in grossen Betrieben einordnen musste. Das kannte ich von meinem bisherigen Leben gar nicht", erzählt Jvo. 2011 zog Jvo mehrmals um und vergass dabei einmal, der Steuerbehörde seinen Adresswechsel bekanntzugeben. Nach einigen unbeantworteten Briefen ging seine Firma um Meinbild automatisch in den Konkurs und liess ihn letzten Endes mit 20.000 Franken Schulden zurück. Im gleichen Jahr verpasste Jvo der schon längst ausgebluteten Plattform nochmal ein Redesign, das bis heute Bestand hat. Heute arbeitet Jvo selbstständig als Programmierer für grosse Unternehmen und baut sich gerade eine eigene Agentur für Individualreisen nach Indien auf. Auf Meinbild geht er meistens nur noch, wenn ihm jemand schreibt, der sein Profil löschen möchte. Den Schalter auf Aus zu legen hat Jvo bis jetzt noch nicht übers Herz gebracht. Kamil auf Twitter.
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