mental health

Liebe SVA, meine psychischen Probleme verdecken mein wahres Gesicht nicht

Ich bin auch mit meinen Depressionen ich selbst.
SVA Kampagne psychische Krankheiten verdecken das wahre Gesicht
Foto: Kampagnenbild SVA

Kürzlich sprach ich mit einer Freundin bei einem gemeinsamen Abendessen über psychische Gesundheit. Sie zückt ihr Handy und meint: "Kennst du diese Kampagne? Die finde ich für Menschen mit psychischen Problemen recht verletzend", und zeigt auf die Bilder auf ihrem Display. Seit diesem Moment sehe ich die Plakate überall.

Auch auf meinem Weg zur Arbeit. Dieser Tage hat es mir nun, wie man mit einer meiner liebsten schweizerdeutschen Redewendungen sagt, den Nuggi rausgehauen.

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Seit rund einem Jahr läuft die Kampagne der Sozialversicherungsanstalt (SVA) Zürich. Sie zeigt Menschen, deren Gesichter zu Fratzen geschminkt wurden. Daneben steht: "Psychische Probleme verdecken das wahre Gesicht".

SVA Kampagne psychische Probleme Mann mit Fratze schaut böse

Vor etwa zwei Jahren sass ich selbst einem Psychiater gegenüber, der nach einigen Sitzungen meinte: "Ja, Frau Senn. Aus meiner Sicht stecken sie gerade in einer mittelschweren bis schweren Depression." Es war Sommer und ich konnte mich kaum aufraffen, aus dem Bett zu klettern, geschweige denn zu arbeiten. Ich begann schon zu weinen, weil es mich überforderte Kleider anzuziehen. Ich sah keinen Sinn darin, überhaupt das Haus zu verlassen. Ich war einfach nur traurig, fühlte mich leer und wertlos und schämte mich dafür, dass ich mich traurig, leer und wertlos fühlte. Denn objektiv gesehen hatte ich keinen Grund dazu.

Ein grosser Teil dessen, dass ich mich wegen meiner depressiven Episoden schämte, war für mich, DASS es mir – scheinbar grundlos – schlecht ging. Ich wollte zur Norm gehören. Zu den Menschen, die ihr Leben lang von keiner Depression betroffen sind. Es dauerte lange, bis ich den Satz: "Es ist okay, sich nicht okay zu fühlen" für mich angenommen hatte. Die Kampagne der SVA vermittelt mir als Betroffene zwischen den Zeilen: Du bist nur dann du selbst, wenn deine psychischen Probleme verschwunden sind.

Dabei ist die Kampagne grundsätzlich eine gute Sache. Sie soll Arbeitgebern dabei helfen, die psychischen Probleme ihrer Angestellten zu erkennen, anzusprechen und Betroffene zu unterstützen, damit es nicht zu einer Kündigung kommt.

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Ich bin dafür, psychische Probleme zu entstigmatisieren und fände es super, wenn es irgendwann normal wäre, so offen über eine depressive Episode zu sprechen wie über einen gebrochenen Arm.

Nur: Sieht man die Plakate, hängen da diese Fratzen und eben der Slogan: "Psychische Probleme überdecken das wahre Gesicht." Es geht mir viel besser, als in dem Sommer vor zwei Jahren. Aber es kann sein, dass ich, solange ich lebe, damit umgehen muss, dass ich mich ab und zu innerlich grau fühle. Und damit bin ich heute okay.

Deswegen würde ich aber nie denken, dass ich ein anderer Mensch bin, oder mein wahres Gesicht verstecke. Ich habe unter Depressionen gelitten - jetzt gehören sie zu mir.

Und was sollen diese Fratzen? Die sehen teilweise so schrecklich aus, dass sie mich gruseln. Wenn ich mir vorstelle, dass ich in einer schlechten Phase an einem solchen Plakat vorbeigehe, stelle ich mir das nicht gerade aufmunternd vor: wenn ich mich eh schon ungut fühle und mir nicht vorstellen kann, dass mich irgendjemand so lieben kann, wie ich bin, möchte ich nicht von einer Fratze angestarrt werden, die mir suggeriert: "Hey, das bist jetzt imfall du."

Liebe SVA, diese Message wäre mir lieber: Ja, du magst ein psychisches Problem haben, aber das macht dich nicht zu einem weniger liebenswerten, wertvollen und wichtigen Menschen. Wie die SVA in einer Medienmitteilung schreibt, hat die Plakatkampagne zum Ziel, "zum Hinschauen zu zwingen". Sie räumen darin selbst ein: "Die Werbekampagne der SVA Zürich ist natürlich überzeichnet, zeigt jedoch das Problem gut." Die SVA will damit an Vorgesetzte, Betroffene "und speziell auch an behandelnde Ärzte" appellieren: "Frühzeitig mit den IV-Spezialisten Kontakt aufnehmen, denn die effektivste Form der Eingliederung ist die Prävention." Im Grunde eine gute Sache, nur die Umsetzung wäre besser gegangen.

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Auf Anfrage von VICE sagt die SVA: "Eine Sensibilisierungskampagne ist immer ein Abwägen. Wir möchten die Aufmerksamkeit von Arbeitgebern und ihren Führungskräften, im Wissen, dass es auch Nachfragen gibt."

Auf der Seite der Agentur, die die Kampagne für die SVA umgesetzt hat heisst es: "Psychische Probleme verändern das Verhalten so stark, dass man selbst nahestehende Personen nicht mehr wiedererkennt. Der kreative Konzeptsatz lautet folglich: "Psychische Probleme überdecken das wahre Gesicht."

Kampagne SVA psychische Probleme

"Die Kampagne geschah sicher aus den besten Absichten. Aber es zeigt eben, dass eine Kreativagentur nicht dafür gewappnet ist, so ein schwieriges Thema zu vermitteln", sagt Angel Schmocker, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Fachrichtung Trends und Identity der ZhdK. Angel Schmocker setzte sich im Rahmen ihrer Masterarbeit damit auseinander, wie psychische Probleme von jungen Menschen inszeniert werden. "Das Fazit ist bei dieser Kampagne unter anderem auch, dass sich Personen betroffen und nicht adressiert fühlen." So drehe sich der Präventionsgedanke um und werde zu etwas negativem." Wie wäre es besser gegangen?

Ein Beispiel, das besser funktioniert ist etwa die Suizidpräventionskampagne 2018. Das Thema ist zwar ein anderes, aber die Videos lassen Angehörige von Betroffenen zu Wort kommen. Die jungen Menschen in den Videos sprechen einfühlsam über die Suizidgedanken ihrer Freunde. "Gute und schlechte Zeiten gehören dazu", so etwa das Fazit einer jungen Frau. Das schafft Verständnis und entstigmatisiert psychische Probleme effektiv. Ein junger Mann trifft es besser auf den Punkt als jede Präventionskampagne: "Ich finde es wichtig, dass man etwas unternimmt, es direkt anspricht und auch Hilfe holt. Wenn es einem Freund schlecht geht, soll man ihm zeigen, dass man für ihn da ist und man ihn so gerne hat, wie er ist."

Du leidest an Depressionen oder sorgst dich um einen nahestehenden Menschen? Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist 0800 111 0 111. In dieser Liste sind bundesweite Anlaufstellen für Menschen mit Depressionen aufgeführt. Die Nummer der Telefonseelsorge in der Schweiz ist 143. Die Nummer der Telefonseelsorge in Österreich ist 142. Den Notfallpsychologischen Dienst erreichst du hier unter 0699 18 85 54 00. Hast du schon einmal an Suizid gedacht oder sorgst dich um einen nahestehenden Menschen? In Deutschland erhältst du Hilfe unter der Nummer 0800 111 0 111 oder im Chat. Trauernde Angehörige finden bei Organisationen wie Agus Hilfe. Menschen aus der Schweiz erhalten Hilfe unter 143 oder im Seelsorgechat. Die Nummer der Telefonseelsorge in Österreich ist 142. Auch hier gibt es einen Seelsorgechat. Trauernde Angehörige finden in Österreich bei Organisationen wie SUPRA Hilfe.