Festival

Polizei auf der Fusion? Wir haben Besucher gefragt, was sie davon halten

"Für mich bedeutet Fusion: Vertrauen statt Angst!"
Besucherinnen der Fusion über eine Station der Polizei dort
Alle Fotos privat, außer Kevin (l.): Jonas Hafke

Seit 22 Jahren gibt es die Fusion, seit 22 Jahren kommt das Festival fast ausnahmslos ohne Polizei auf dem Gelände aus. Das soll sich jetzt ändern. "Eine Beteiligung politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen" gebe es bei der Fusion, sagt die Polizei Neubrandenburg. Bundesweite Sicherheitsstandards würden zudem nicht eingehalten werden. Deswegen soll nun das erste Mal in der Geschichte des Festivals in Mecklenburg-Vorpommern die Polizei dauerhaft aufs Gelände geschickt werden. Sogar eine mobile Polizeiwache ist im Gespräch. "Aus Sicht der Polizei darf das Fusion Festival nicht stattfinden", schreiben die Veranstaltenden auf ihrer Internetseite und wehren sich dagegen. Geplant ist das Festival für Ende Juni, ob das auch umgesetzt wird, ist bisher unklar. Eine große Pressekonferenz des Betreiberkollektivs ist für den 8. Mai angekündigt.

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Die meisten Fusionbesucher und -besucherinnen schätzen vor allem die Freiheit auf dem Festival. Ohne uniformierte, bewaffnete Beamte, die die Party crashen. Wir haben sie gefragt, was sich für sie verändern würde, wenn die Polizei sich in diesem Jahr wirklich auf dem Gelände herumtreiben würde.

Elli, 26: "Jeder passt auf jeden auf"

Elli

VICE: Warum bist du zur Fusion gefahren?
Elli: Ich war letztes Jahr zum ersten Mal da, weil ich mit der Gesinnung der Fusion übereinstimme. Außerdem wegen der Musik und wegen den vielen Künstlerinnen und Künstlern, die dort ausstellen. Es ist ein Festival für Freiheit und Kultur. Darum wollte ich dahin.

Wie fühlt die Fusion sich an?
Alle Leute ziehen am gleichen Strang, jeder passt auf jeden auf. Es ist wie eine große Familie. Alle feiern, aber friedlich. Marken spielen keine Rolle. Man kann dort ein Stück weit Mensch sein, ohne sich einer kapitalistische Verwertungslogik unterordnen zu müssen.


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Die Polizei sagt es gebe "hoch gewaltbereite Personen" auf dem Gelände. Hast du dich unwohl gefühlt?
Nein. Ich hatte weder Angst während des Festivals noch habe ich Gewalt erlebt. Es gibt eine ganz liebe Fusion-Crew, an die man sich immer wenden kann. In Extremfällen könnte man im zweiten Schritt natürlich die Polizei rufen. Aber dafür muss sie nicht die ganze Zeit über auf dem Gelände sein.

Was würde sich mit Polizei auf dem Gelände ändern?
Der Charakter der Fusion würde komplett verloren gehen. Es geht um Freiheit, um Kultur, ums Beisammensein. Der Staat sollte da nicht präsent sein, überwachen oder eingreifen.

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Würdest du das Festival trotz Polizeipräsenz besuchen?
Nein, auf keinen Fall. Ich würde mich dadurch eingeschränkt fühlen, wenn ich sehe, dass da Leute kontrollieren, was ich mache, und dass es Konsequenzen haben könnte.

Alex, 24: "Ich hoffe, dass das Fusion-Kollektiv das Festival dann absagt"

Alex

VICE: Hast du auf der Fusion jemals Gewalt erlebt?
Alex: In meiner Wahrnehmung hat es das Festival geschafft, sich selbst zu organisieren und selbst zu regulieren, ohne dass es zu großartigen Auseinandersetzungen gekommen ist. Am Rande gab es wie bei jedem anderen Festival auch kleinere Scharmützel, wenn Gäste Stunk gemacht haben. Aber das ist kein Indiz dafür, dass bei der Fusion viele gewaltbereite Menschen unterwegs sind.

Was verbindest du mit der Fusion?
Ich habe dort in den letzten Jahren in verschiedenen Kontexten gearbeitet. Die Fusion ist schon das Who is Who-Zeckenhappening in Deutschland. Ich habe mich immer darüber gewundert, wozu die deutsche Linke organisatorisch am Ende doch im Stande ist. Das Festival ist schon krass.

Findest du, das bei der Fusion politische Inhalte im Vordergrund stehen?
Im Laufe der Jahre zunehmend weniger, weil das Festival stark gewachsen ist. Inzwischen ist es zu einem der größten Technofestivals Deutschlands geworden. Ich glaube aber schon, dass das Betreiberkollektiv politische Inhalte ins Programm einfließen lassen möchte. Parallel zu den Technofloors spielen da ja auch Punkbands und Liedermacher, es gibt Lesungen, Diskussionsrunden und Filme. Auch die Organisation des Festivals basiert auf Politstrukturen.

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Was ändert sich, wenn die Polizei aufs Fusion-Gelände darf?
Ich hoffe, dass das Fusion-Kollektiv das Festival dann absagt. Eine integrierte Polizeistation widerspricht den Grundsätzen der Fusion. Du zerstörst damit ja jegliche Selbstregulation. Die funktioniert dann nicht mehr. Und auch wenn mich das nicht betrifft: Die Entscheidung darüber, zu konsumieren, was immer man konsumieren möchte, erübrigt sich durch die Polizeipräsenz.

Debbie, 24: "Purzelbäume schlagen oder so, das würde ich mich dann weniger trauen"

Debbi

VICE: Warum bist du im letzten Jahr zur Fusion gefahren?
Debbie: Ich wollte dahin, weil viele Freunde von mir extrem begeistert von dort zurückgekommen sind. Das hat oft Wochen nachgewirkt. Alle waren happier als sonst, hatten neue Energie. Das Miteinander ist bei der Fusion sehr wichtig. Menschlicher Kontakt ist ehrlicher als sonst. Man fühlt sich behütet. Es gibt immer was zu entdecken, das ist eine Art "Alice im Wunderland"-Gefühl. Das haben meine Freunde mit sich getragen.

Wie war es für dich?
Ich habe es ähnlich wahrgenommen. Aber es gab eine Situation, in der es mir nicht so gut ging. Aber viele Leute haben sich um mich gekümmert. Auch Leute, die ich nicht kannte. Alle waren sehr hilfsbereit – das war schön. Wenn man in Berlin weinend durch die Straße läuft, dann spricht dich keiner an. Ich hatte bei der Fusion immer das Gefühl, das man sich jederzeit an jemanden wenden kann. Gestresst hat mich nur die Masse an Menschen.

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Was würde sich ändern, wenn die Polizei auf dem Gelände wäre?
Ich glaube, man würde sich überwachter fühlen. Das merkwürdige Verhalten, das ich dort ausleben konnte, Sachen, die ich in der Stadt nicht machen würde, Purzelbäume schlagen oder so, das würde ich mich dann weniger trauen. Ich will ja nicht bedrohlich wirken. Aber der Raum wurde dafür geschaffen, um so sein zu können, wie man will. Niemand fühlt sich besonders wohl, wenn die Polizei immer anwesend ist.

Hattest du bei deinem Fusion-Besuch mal das Gefühl, dass die Polizei gefehlt hat?
Nein. Aggressives Verhalten habe ich nicht wahrgenommen. Weder in Form von sexualisierter Gewalt noch anders geartet. Ich weiß also nicht, was die Polizei da zu suchen hat.

Jamila, 29: "Ich glaube, dass die Freiheit dadurch einen Knacks bekommt"

Jamila

VICE: Was machst du auf der Fusion?
Jamila: Ich habe in den letzten Jahren auf der Fusion mit meinem Kollektiv "Arab* Underground" versucht, Perspektiven aus dem Nahen Osten, Nordafrika und dem globalen Süden erfahrbar zu machen. Wir laden Kulturschaffende und Aktivistinnen ein und versuchen so, orientalistische Stereotype aufzubrechen.

Was bedeutet die Fusion für dich?
Die Fusion ist für mich ein Ort an dem fünf Tage lang neue und alternative Gesellschaftsentwürfe erprobt werden, die dann auch abseits vom Festival Einzug in den Alltag finden. Für mich bedeutet Fusion: Vertrauen statt Angst!

Was passiert, wenn die Polizei in das Festival eingreift?
Ich glaube, dass die Freiheit dadurch einen Knacks bekommt. Wir brauchen keinen externen Aufpasser. Wir wollen da keine Menschen in Uniform und mit Waffen sehen, genauso wenig wie Sponsoring und Branding. Dieser Ort ist so besonders, weil er keine dogmatischen Kontrollstrukturen braucht. Bei der Fusion ist ein friedliches, kreatives Publikum. Alle passen aufeinander auf. Sollte wirklich eine Polizeistation auf dem Gelände sein, wird es einen fantasievollen Umgang damit geben.

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Wie könnte ein fantasievoller Umgang mit der Polizei aussehen?
Wer weiß, vielleicht werden dann zehntausende Fälle von gestohlenem Leergut und Sonnenbrillen zur Anzeige gebracht.

Hast du jemals Gewalt bei der Fusion erlebt?
Nein, noch nie. Ich arbeite auf vielen Festivals, auch international, und im Vergleich zu denen ist die Fusion für mich das friedlichste. Es gibt eine sehr gute Sicherheitsstruktur auf dem Festival, die getragen wird von den vielen tausend Menschen, die in den Kollektiven mitarbeiten.

Was halten die internationalen Künstlerinnen und Künstler, die ihr einladet, von der Fusion?
Menschen aus Syrien, Ägypten, Palästina oder Saudi-Arabien, die zu Besuch waren, haben sich unglaublich wohl gefühlt. Die Fusion ist für sie ein Freiraum, den sie in ihren Heimatländern, eingeschränkt von autoritären Polizisten, so nicht kennen. Es wäre bedauerlich, wenn diese oftmals von Polizeigewalt traumatisierten Menschen in diesem Freiraum mit Polizistinnen und Polizisten konfrontiert wären.

Kevin, 27: "Das Testosteronlevel, das ich bei Jugendlichen auf anderen Festivals beobachte, gibt es hier nicht"

Kevin

Foto: Jonas Hafke

VICE: Wie oft warst du bei der Fusion?
Kevin: Ich war die letzen vier Male dabei. Ich bin über Freunde hingekommen und dann immer mit der gleichen Clique von zehn bis zwanzig Personen hingereist.

Was ist der Unterschied zwischen der Fusion und den anderen Festivals, auf denen ihr wart?
Das Publikum auf der Fusion ist sehr friedlich. Ich habe nie beobachtet, dass es Stress gab. Und obwohl man Glasflaschen mit aufs Gelände nehmen kann, habe ich nie großartig Scherben oder Verletzungen gesehen. Wenn ich mir vorstelle, dass Glasflaschen beim Splash oder bei anderen Festivals erlaubt wären, glaube ich nicht, dass das ohne Verletzungen vonstatten ginge. Das Publikum wirkt älter und entspannter als auf anderen Festivals. Das Testosteronlevel, das ich bei Jugendlichen auf anderen Festivals beobachte, gibt es hier nicht.

Gibt es auf anderen Festivals mehr Gewalt?
Es herrscht eine aggressivere Grundstimmung. Auch gegenüber Frauen. Das Festivalspiel, Frauen auf einer Skala zu bewerten, gibt es auf der Fusion nicht. Ich habe nicht den Eindruck, dass Leute da sind, um auf Mallorcalevel zu feiern. Rumgrölen und sich kaputtsaufen findet da nicht statt.

Was würde sich ändern, wenn die Polizei auf der Fusion präsent wäre?
Ich glaube, allein durch die Präsenz der Polizei würde die Stimmung aggressiver werden. Ich denke auch, das die Leute misstrauischer wären. Die Polizei könnte der friedlichen Stimmung auf dem Festival schaden.

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