Wovon träumen eigentlich Bauarbeiter?
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Traume

Wovon träumen eigentlich Bauarbeiter?

"Als Kind wollte ich Frauenarzt werden. Jetzt träume ich von Schuldenfreiheit – und Melonen."

Während einige von uns mit Herbstmelancholie zu kämpfen haben, gibt es auch Menschen, die heilfroh sind, dass die heissen Tage endlich vorbei sind. Wie die meisten Leute gehe ich täglich an zahllosen Baustellen vorbei, ohne die arbeitenden Menschen richtig wahrzunehmen. Das Baugewerbe in der Schweiz floriert, was laut der Gewerkschaft Unia dazu führt, dass immer weniger Bauarbeiter unter Stress und Termindruck immer mehr Arbeit leisten müssen. Rund ein Fünftel aller Berufsunfälle geschehen im Baugewerbe – im vergangenen Jahr waren es insgesamt 53.488.

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Als ich in Zürich von Baustelle zu Baustelle tingelte, um herauszufinden, welche Träume hinter diesen Zahlen stecken, erntete ich oft ein erstauntes Lächeln – oder Unverständnis. Rund zwei Drittel der Menschen auf dem Bau kommen aus dem Ausland, viele von ihnen sprechen nicht gut Deutsch. Dennoch habe ich einige gefunden, die mir mit Freude von ihrer missglückten Kochausbildung, vom Lohn, von ihrer Heimat und von Freiheit erzählt haben.

José, 58, Strassenbauer

"Tut mir leid, mein Deutsch ist nicht gut. Das ist aber egal, da ich in zwei Jahren pensioniert bin. Dann gehe ich zurück nach Portugal. Dort ist das Klima besser, man kann gut spazieren gehen und die Menschen sind anders. In der Schweiz sind sie viel patriotischer, während man in Portugal mit allen Leuten redet, egal woher sie sind. Die Schweizer sind zwar anständig, ich erlebe hier keinen Rassismus, aber die Mentalität ist anders."

Guido, 54, Strassenbauer

"Als Kind wollte ich Frauenarzt werden. Jetzt träume ich von Schuldenfreiheit und Melonen. Es ist ja meistens so, dass solche Träume am Ende nicht wahr werden. Ich verdiene 3.000 Franken brutto. Wenn ich vergleiche, was andere Menschen arbeiten und was wir hier tun, ist das nicht gerecht, finde ich.

Ich bin aus der deutschen Eiffel in die Schweiz gekommen, um eine andere Mentalität kennenzulernen. Hier in der Schweiz wird nämlich ganz anders gearbeitet. In Deutschland drehen alle Däumchen, so nach dem Motto 'Kommst du heute nicht, kommst du morgen'. Hier ist es effektiv – hier bleibe ich."

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Nick, 18, Lehrling

"Mein Traum ist die zeitliche Freiheit. Ich will selber bestimmen können, wann ich arbeite. Zurzeit bin ich von Montag bis Freitag von 7 bis 16:15 Uhr auf der Baustelle. Irgendwann möchte ich aber Büro und Baustelle kombinieren. Wenn du etwas dafür machst, kannst du später sogar ein eigenes Unternehmen haben. Ich stehe aber noch ganz am Anfang, bin jetzt bald mit der Lehre fertig.

Bisher gefällt es mir auf dem Bau. Aber natürlich gibt es Dinge, die ich nicht gerne tue – zum Beispiel, wenn ich komplett im Dreck arbeiten muss."

Rudani, 33, Strassenbauer

"Es ist jetzt 16:30 Uhr, wir können nicht ewig reden. In der Stadt darfst du nicht länger als bis 17 Uhr arbeiten und bis dahin müssen wir noch einige Aufgaben abschliessen. Weil hier so viel zu tun ist, habe ich im Moment keine Ahnung, wovon ich träumen soll. Wenn du sprachlich etwas drauf hast und gut schreibst, ist es leicht, einen guten Job zu finden. Meine Frau kommt aber wie ich aus Kosovo-Albanien und ich habe hier in der Schweiz fünf Jahre lang nur mit Albanern zusammengearbeitet. Deshalb habe ich nicht gut Deutsch gelernt. Aber du wirst in der Schweiz gut bezahlt. Meine Frau arbeitet nur 30%, weil sie auf die Kinder aufpassen muss – und trotzdem reicht es."

Michi, 36, Polier

"Bauarbeiter zu werden war kein Kindheitstraum. Ich habe Koch gelernt. In der Küche hat es mir aber nicht gefallen. Erstens verdienst du weniger, zweitens bist du immer in derselben Ecke – egal ob Sommer oder Winter. Ausserdem musst du bis in die Nacht hinein und am Wochenende arbeiten.

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Mein Vater hat einen Bauernbetrieb. Ich wohne zusammen mit ihm, meinem Bruder und meiner Freundin beim Zürcher Albispass. Ich bin immer gerne mit dem Traktor rumgefahren und habe so Interesse an Baumaschinen bekommen. Auf dem Bau hast du viel mehr Kontakt zu Menschen als in der Küche: Sie kommen zu dir, fragen dich nach dem Weg.

Ich leite hier eine Gruppe, obwohl ich der Drittjüngste bin. Sie sind froh, dass ich für sie in die Sitzung gehe, denn die meisten hier sind aus Mazedonien oder Portugal und fürchten, sie würden zu wenig verstehen. Mittlerweile spreche ich auch so baustellenmässig Portugiesisch und Serbisch."

Peter, 59, Materiallieferant

"Vor 40 Jahren habe ich auf einem Bauernhof gelebt und gearbeitet. Heute wohne ich noch immer in einem Dorf in der Schweiz. Was soll ich auch in der Stadt? Mein Traktor steht noch bei mir zuhause. Jetzt träume ich davon, das Fahrzeug zu restaurieren. Nach der Pensionierung habe ich Zeit dafür. Der eine fährt gerne Motorrad und ich mache sowas – es ist halt mein Hobby. Manchmal gibt es auch Ausstellungen von alten Landmaschinen. Dort würde ich meinen gerne einmal hinfahren. Wenn du eine solche Ausstellung gesehen hast, dann weisst du, wovon man träumen kann. Dann siehst du auch, wie früher Nahrungsmittel produziert worden sind – nicht wie heute, wo du sie nur aus dem Regal nehmen musst."

Christiano, 30, Baggerfahrer

"Mein Lebenstraum war es, in der Schweiz bei der Suva zu arbeiten. Dazu habe ich vor zehn Jahren eine Ausbildung bei einer Unfallversicherungsanstalt in Portugal gemacht. Mit 18 bin ich mit meinen Eltern in die Schweiz gekommen. Hier habe ich auch meine Frau kennengelernt. Aber ich habe schnell herausgefunden, dass ich keine Chance habe bei der Suva. Deswegen bin ich jetzt auf der Baustelle. Und nein, wir pfeifen hier keinen Frauen nach, wir arbeiten – von mittags bis 22 Uhr."

Gian Franco, 36, Strassenbauer

"Ich träume von Sizilien. Dort ist alles schöner. Jetzt hat es 40 Grad, während es hier in der Schweiz regnet. Nur Arbeit gibt es keine. Deswegen bin ich vor sieben Jahren hierher gekommen. Meine Frau ist Schweizerin. Sie arbeitet nicht, sondern ist für unsere drei Kinder da. Wir würden die Kinder gerne in die Krippe bringen, aber unser Geld reicht dafür nicht aus."

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