Psychedelische Illustration, Blätter, Dschungel, Baby, Frau
Illustration von Seba Cestaro

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Drogen

Ayahuasca hat mir gezeigt: Ich bin nicht allein

Ihre Hand ruht auf meiner Stirn, ihre Finger umschließen meinen Kopf, und dann bin ich in meinem Kopf, und spreche mit meinem höheren Ich.

Aus der Burnout and Escapism Issue. Du willst das VICE Magazine abonnieren? Hier entlang.

Ein Gemeindezentrum in der tiefsten englischen Provinz. Ich stehe kurz davor, das Amazonas-Gebräu Ayahuasca zu trinken – meine erste Erfahrung mit Psychedelika. Ich bin 33 und arbeite als Zahnärztin in London. Als Teenager rauchte ich oft Gras, in meinen 20ern nahm ich ein paarmal Koks. Ansonsten habe ich mit Drogen nichts am Hut.

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Vorher habe ich drei Frauen zu ihren Ayahuasca-Erfahrungen befragt. Und mich gewundert: Obwohl alle drei intelligent und wortgewandt sind, konnte keine von ihnen den Trip richtig beschreiben. Sie sagten Dinge wie: "Ayahuasca ist krass", "Es zeigt dir dein wahres Ich" und "Ein Trip ist wie zehn Jahre Therapie – wenn man sich richtig damit auseinandersetzt". Rückblickend verstehe ich, warum sie nicht in Worte fassen konnten, was der Ayahuasca-Wirkstoff Dimethyltryptamin (DMT) mit einem macht.

Um Spaß geht es mir bei dem Trip nicht. Vor allem bin ich neugierig, weil Freundinnen mir erzählt haben, dass sie auf Ayahuasca tiefe spirituelle Erkenntnisse hatten. Spiritualität interessiert mich sehr – was ist der Sinn unseres Lebens, was verbindet uns alle? Vielleicht, so denke ich, ist mir DMT nicht grundlos untergekommen.


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Wir sind etwa 20 Personen verschiedener Altersgruppen, Ethnien und sozialer Herkunft. Entlang der Wände eines Saals, in dem sonst Seniorengeburtstage und Backwettbewerbe stattfinden, richten wir uns Nester mit Decken und Kissen her. Shaun*, ein Psychotherapeut, zieht die Vorhänge zu und verschließt die Türen. DMT und damit Ayahuasca sind illegal. Die Organisatoren wollen nicht riskieren, dass jemand aus dem Dorf mitbekommt, um was es sich bei diesem "Meditations-Retreat" wirklich handelt.

Wir ziehen uns um – alle komplett in Weiß – und setzen uns zusammen, um unsere Absichten für den Trip zu teilen. Ich habe einfach vor, mich auf die Erfahrung einzulassen und daraus zu lernen. Die Zeremonie beginnt: Jede Person holt sich von Shaun ein kleines Glas mit dem Gebräu, das aussieht wie Kaffee. Es schmeckt süß und etwas bitter. Ich kehre zurück zu meinem Kuschelnest und schlafe bald ein. Als ich aufwache, passieren Dinge mit mir. Schlechte Dinge. Ich kriege Angst. Was zur Hölle tue ich hier eigentlich?

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Ich rufe um Hilfe und Kay, eine von Shauns Assistentinnen, eilt zu mir. Sie legt mich auf den Rücken und drückt mir fest auf den Brustkorb. "Hey, das ist unangenehm", sage ich. "Ich weiß", antwortet sie. "Ich lege deine Rüstung ab. Entspann dich." Dann bricht der Damm, meine Tränen fließen. Die Gesetze der Zeit sind aufgehoben. Ich liege in Embryonalstellung und bin traurig, weil ich allein bin. Ich bin ein Baby, und ich bin allein. "Das hier ist deine Heilung", sagt Kay. "Genieße es." Macht sie Witze?

Obwohl meine Eltern sehr liebevoll sind, kenne ich diese Einsamkeit nur zu gut. Diese Distanz von allen anderen. Ich bin eigentlich kein einsamer Mensch, aber oft fühle ich mich so. Unverstanden. Anders.

Ich öffne die Augen. Der Arm, der mich von hinten umschlingt, fühlt sich an, als würde ich gelöffelt. Meine Finger sind mit anderen Fingern verschränkt, diese Verbundenheit ist wunderschön. Ich sehe zu, wie die Hände sich sanft umeinander ranken. Doch da ist kein lüsterner Fremder, der sich an mich ranmacht, während ich hilflos daliege. Das bin alles ich.

Beide Hände gehören mir. Aber sie sind verschiedene Aspekte von mir. Mein rechter Arm, meine rechte Seite, auf der ich liege, ist mein körperliches, irdisches Ich. Meine Linke ist mein höheres Ich. Ich weiß das instinktiv. Mein höheres Ich zieht mich in ihre Sphäre.

Samstagmorgen bei dem Ayahuasca-Retreat: Eigentlich dauert das Programm zwei Tage, am Abend steht eine weitere Zeremonie an. Aber ich will nur noch zu Morgan.

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Ihre Hand ruht auf meiner Stirn, ihre Finger umschließen meinen Kopf, und dann bin ich in meinem Kopf, und spreche mit meinem höheren Ich. "Du bist weiterhin du", sagt sie. "Mach die Augen auf, sieh dich um." Ich tue, was sie sagt. Ich sehe, dass ich immer noch daliege, doch inzwischen bin ich ruhig. Dann schließe ich die Augen erneut und bin wieder bei ihr. Es ist nicht erschreckend, sondern schön. Magisch und unwirklich. Bizarr und trotzdem völlig logisch. Und ich bin nicht allein. Ich werde nie mehr allein sein. Das ist die erste Erkenntnis meines Trips.

Ich spüre eine zweite Präsenz: Morgan, mein drei Wochen alter Neffe. Nur heißt er jetzt nicht Morgan, sondern Nathaniel. Er nennt mich Anya; auch ich heiße anders. Ich empfange klare Botschaften über Nathaniel: Er werde im Leben die gleichen Herausforderungen haben wie ich. Es sei meine Aufgabe, ihm dabei zu helfen, ihm eine Abkürzung durch das Leid zu zeigen. Das ist die zweite Erkenntnis. Später google ich die Namen Nathaniel und Anya: Beide sind hebräischen Ursprungs, Anya ist außerdem ein ungarisches Wort für "Mutter".

Schon vor Morgans Geburt fühlte ich mich ihm sehr verbunden. Als er geboren wurde, hatte ich vor, nach Ibiza zu fliegen. Ich fuhr zum Flughafen, doch jede Faser in mir schrie, ich solle nicht in den Flieger steigen. Also kehrte ich um. Am Abend bekam meine Schwester unverhofft Geburtswehen, 20 Stunden später war Morgan da.

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Samstagmorgen bei dem Ayahuasca-Retreat: Eigentlich dauert das Programm zwei Tage, am Abend steht eine weitere Zeremonie an. Aber ich will nur noch zu Morgan. Ich tue so, als wolle ich aufs Klo, lasse Yogamatte und Bettzeug in meinem Zimmer, springe ins Auto und fahre davon.

Nach zwei Stunden erreiche ich das verschlafene Dorf in den hügeligen Cotswolds, in dem meine Schwester lebt. Ich stehe über der Wiege und betrachte das süße Baby. "Nathaniel, ich bin’s, Anya", flüstere ich. Aber er schläft und versteht mich sowieso noch nicht. Und er heißt Morgan. Augenblicke später spreche ich mit meiner Schwester übers Stillen und spiele mein Ayahuasca-Erlebnis runter.

Ich weiß nicht, ob ich noch mal einen DMT-Rausch erleben möchte. Ausschließen kann ich es nicht. Aber ich brauche Zeit, um diesen Trip zu verarbeiten. Ich schätze, die Frage wird sein: Wie tief will ich in den Kaninchenbau vordringen?

*Manche Namen wurden geändert, um Personen anonym zu halten.

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