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Interview

So ist es, seinen besten Freund in einem Schulmassaker zu verlieren – und Trump die Meinung zu sagen

Sam Zeif ist einer der Überlebenden der jüngsten Massenschießerei in Florida. Im Interview erzählt er, wie er seitdem für strengere Waffengesetze und gegen Verschwörungstheorien kämpft.
Links: Sam Zeif | Foto: Chip Somodevilla | Getty Images || Rechts: Donald Trump | Foto: Xinhua | Ting Shen via Getty Images 

Sam Zeif hatte gerade eine Matheprüfung geschrieben, als die ersten Schüsse fielen. Es war Valentinstag, der 17-jährige Schüler der Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida, freute sich auf ein Picknick mit seiner Freundin. Erst hätten seine Mitschüler den Lärm für eine Art Übung gehalten, sagt er. Aber er habe sofort gewusst, was los war. Er versteckte sich mit den anderen und schickte seinem kleinen Bruder, der nur ein Stockwerk über ihm Unterricht hatte, eine Nachricht.

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Zeif und sein Bruder haben überlebt. Doch der folgende Tag war nicht nur Zeifs 18. Geburtstag – sondern auch der Tag, an dem er vom Tod seines besten Freundes Joaquin Oliver erfuhr.

Die USA erleben eine Massenschießerei nach der anderen. Dennoch weigern sich weiterhin viele Politiker, etwas an den Waffengesetzen zu ändern. Zu mächtig ist die Waffenlobby, zu unantastbar der zweite Verfassungszusatz. Doch seit Nikolas Cruz am 14. Februar mutmaßlich 17 Menschen an der Stoneman Douglas High School erschoss, fachen die jungen Überlebenden die festgefahrene Debatte mit ihrer Wut und Verzweiflung neu an. Die Teenager treten im Fernsehen auf, twittern, organisieren Protestveranstaltungen und setzen Abgeordnete unter Druck. Ihre Botschaft schlägt ein, gerade weil sie so einfach ist: So kann es nicht weitergehen. Sie fordern Gesetze, die es gefährlichen Personen erschweren, an tödliche Waffen zu kommen.

Das scheint anzukommen: Laut einer CNN-Umfrage sind 70 Prozent der US-Bevölkerung für strengere Waffengesetze. So hoch war der Anteil seit Jahrzehnten nicht.

Emma González ist eine Parkland-Überlebende, deren leidenschaftliche Stimme inzwischen um die Welt gegangen ist. Neben ihr ist Zeif zu einem der sichtbarsten Mitglieder der Bewegung geworden. Am 21. Februar traf er sogar Präsident Trump, nachdem das Weiße Haus Überlebende von Massenschießereien zu einem Treffen eingeladen hatte.

Im Gespräch mit VICE erzählt er von der Schießerei und wie es war, als er Trump bei einem Treffen danach persönlich die Meinung gesagt hat.

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VICE: Wie war es, als dir klarwurde, dass es sich um ein Schulmassaker handelt?
Sam Zeif: Ich schaute gerade eine Serie auf Netflix. Ich hörte – eigentlich fühlte ich sie vielmehr – sieben oder acht Schüsse. Ich wusste sofort, was los war. Es hatte vorher wochenlang Gerüchte gegeben, Nachbarn und Schüler hatten immer wieder vor Cruz gewarnt. Wir hatten gerade erst ein "Code Red"-Training gemacht, bei dem wir üben mussten, wie wir uns in so einem Fall verhalten. Zum Glück. Hätten wir das nicht gemacht, hätte es vermutlich dreimal so viele Opfer gegeben.

Dann löste der Rauch den Feueralarm aus und man sagte uns, wir sollten uns nicht vom Fleck rühren. Mein Lehrer half allen, die Ruhe zu bewahren. Wir haben unsere Handys dunkel gestellt, damit das Licht nicht aus dem Zimmer leuchtet. Und wir haben das Fenster blockiert, damit niemand hineinsehen kann.

Kanntest du den Schützen?
Ich hatte nie mit ihm geredet, aber ich kannte sein Gesicht und hatte Geschichten über ihn gehört. Wir waren zusammen auf denselben Schulen, seit wir 12 waren.

Viele sagen, das System habe versagt, weil niemand auf die Warnzeichen reagiert hat, die es bei Cruz gab.
Dieser Mensch hat eindeutig ausgestrahlt, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Ich verstehe nicht, wie man ihm eine Waffe verkaufen kann, ohne das zu bemerken – und nicht irgendeine Waffe, sondern eine AR-15. Wir haben das alle in ihm gesehen, aber die Verantwortlichen nicht.

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Es gab Berichte darüber, dass ein bewaffneter Deputy des Sheriffs auf dem Schulgelände war, aber draußen blieb, statt einzuschreiten.
Er hätte allem ein Ende setzen können. Es war nicht vorgesehen, dass er in so einer Lage auf Verstärkung wartet. Er sah zu, wie unbewaffnete Sicherheitsleute reinrannten, um Leben zu retten, und versteckte sich derweil hinter einer Mauer. [Anm. d. Red.: Inzwischen ist bekannt , dass drei weitere Deputys des Sheriffs von Broward County vor der Schule stehenblieben, während das Massaker noch im Gange war.]

Du hast deinen besten Freund verloren. Wie hat dich das beeinflusst?
Wir waren zusammen im Basketballteam und Joaquins Dad war unser Trainer, also gab es einen Gruppenchat, in dem auch sein Vater war. Als es passierte, verfolgte ich all meine Freunde mit Find My Friends. Sein Vater schrieb: "Hat jemand von Joaquin gehört?" Ich konnte auf der App sehen, dass er auf der anderen Seite der Schule war. Das hat mich beruhigt. Aber ich schätze, der Empfang hat gesponnen. Als ich ihn später noch einmal suchte, war sein Handy im Gebäude. Am nächsten Morgen erfuhren wir es dann in den Nachrichten.

Alles, was ich hier mache, mache ich für ihn. Die Leute sagen, ich hätte einen großen Einfluss. Ich stelle mir vor, wie viel Einfluss er nehmen könnte, wenn er noch sprechen könnte. Er ist bei mir, da bin ich mir sicher.

Warst du früher politisch aktiv?
Nie. Wenn ich etwas in den sozialen Medien gesehen habe, dann habe ich vielleicht mal eine Meinung dazu abgegeben. Aber ich war einfach wie alle anderen. Dass ich mal was mit Politik zu tun haben würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.

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Hattest du vorher viel über Waffengewalt in Parkland gehört?
Nur über andere Gegenden. Parkland ist – war – in den Top Ten der sichersten Gemeinden des Landes. Deshalb zogen Joaquins Eltern mit ihm aus Venezuela hierher. Weil es hier sicherer ist. Aber jetzt fühle ich mich nirgends sicher.

Florida hat ein "Stand your ground"-Gesetz , Bürger dürfen sich mit tödlicher Gewalt etwa gegen Einbrecher verteidigen, selbst wenn von ihnen keine Lebensgefahr ausgeht. Welche Rolle haben Waffen bisher in deinem Leben gespielt?
In meiner Gegend gab es keine wirkliche Waffenkultur. Mein Vater hatte vor 20 Jahren noch eine Schusswaffe. Er hatte vorgehabt, meinen Bruder Jacob und mich mal mit zum Schießstand zu nehmen – daraus wurde nie was, er hat es uns erst neulich erzählt. Meine Mutter ging mal mit ihm hin und konnte nach einem Schuss nicht mehr, weil sie es zu erschreckend fand, was so eine Kugel mit einem Menschen anrichten kann.

Vor Kurzem hattest du Gelegenheit, direkt zum Präsidenten zu sprechen. Wie war das?
Ich wollte unbedingt das Richtige sagen. Aber ich hatte mir auch nichts notiert, sondern habe einfach mein Herz sprechen lassen. Ich war extrem nervös und hatte keine Ahnung, dass alles gefilmt werden wird – und auch noch live übertragen.

Wie hat der Präsident reagiert?
Er saß da wie ein kleines Kind mit verschränkten Armen, nickte immer wieder und sagte: "Ich verstehe dich." Als er dann von "psychischer Krankheit" und "Hintergrundüberprüfungen" redete – das wollte ich gar nicht hören, denn um all das hätte man sich schon längst kümmern sollen. Und zwar schon seit Columbine, oder noch früher. Ich will vernünftige Waffengesetze. Ich will mich überall sicher fühlen können. Trump bewegt sich mit dem Versuch, Bump Stocks zu verbieten, in die richtige Richtung, aber das ist nicht genug.

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Wie findest du verhält sich Trump seit der Schießerei?
Ich verstehe seinen Standpunkt als Geschäftsmann – er will kein Geld ablehnen. Die National Rifle Association ist eine Organisation und hat natürlich das Recht, Lobby-Arbeit zu betreiben. Aber Trumps Aufgabe als Anführer der Nation ist, unabhängig vom Geld die richtigen Entscheidungen zu treffen. Er ist ohnehin schon einer der erfolgreichsten Menschen der Welt. Ich verstehe nicht, warum er noch mehr Geld von der NRA braucht. Er hätte seine gesamte Kampagne aus eigener Tasche bezahlen können. Ich verstehe es einfach nicht. [Anm. d. Red.: Im Wahlkampfjahr 2016 spendete die NRA 11 Millionen Dollar an Trump und gab 20 Millionen Dollar aus, um Kampagne gegen Hillary Clinton zu machen.]

Gehören alle Schusswaffen verboten?
Ich finde, die Menschen haben ein Recht auf eine kleine Handfeuerwaffe zur Selbstverteidigung. Aber im Staat Maryland hat sich gezeigt, dass der zweite Verfassungszusatz solche halbautomatischen Gewehre nicht abdeckt. Sie haben dort mehr als 45 Feuerwaffen komplett verboten, darunter die AR-15.

Wir haben viel Arbeit vor uns. Das Mindestalter für den Kauf einer Waffe ist meiner Meinung nach nicht der Knackpunkt. Teenager dürfen bei uns auch noch keinen Alkohol trinken, aber das hält sie nicht davon ab, ständig Partys mit Alkohol zu feiern.

Was denkst du über die Verschwörungstheorie, laut der die Überlebenden der Schießerei – oder zumindest einige von euch – in Wirklichkeit Schauspieler seien?
Ich verstehe das einfach nicht. Emma González kenne ich, seit ich sechs Jahre alt bin. David Hogg habe ich jahrelang täglich in der Schule gesehen. Die Leute versuchen, uns mundtot zu machen, weil wir ihnen das Handwerk legen werden. Ich habe schon vieles gehört, aber das ist die widerlichste Lüge von allen.

Warum wird sich nach dieser Schießerei hoffentlich etwas ändern?
Die Kinder von Sandy Hook hatten keine Stimme. Sie waren erst Kinder. Ihre Freunde waren alle noch Kinder. Bestimmt sind sie bis heute traumatisiert. Die Schüler von Columbine – das war eine andere Ära. Es ist heute leichter, eine Botschaft zu verbreiten.

Was sagst du jungen Menschen, die sich auch gegen Gewalt einsetzen wollen?
Bleibt laut, bleibt stark. Wir leben alle weit voneinander entfernt, aber wer so etwas durchgemacht hat, wird Teil einer Familie. Und wir werden nicht aufgeben, bis wir uns sicher fühlen können.

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