Wir haben einen der letzten linken Terroristen Deutschlands getroffen
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Linksradikalismus

Wir haben einen der letzten linken Terroristen Deutschlands getroffen

Wieso er Gewalt für legitim hält – und wie ihn die Polizei nach vielen Anschlägen am Ende doch erwischt hat.

Oliver Rast ist nicht die Sorte Linker, die sich beim Randalieren auf der Schanze beim G20 erwischen lässt. Rast hat zwar auch gegen den Kapitalismus gekämpft – aber aus dem Untergrund.

Geboren 1972 in West-Berlin wuchs Rast im Märkischen Viertel auf und engagierte sich früh in linken Gruppen. Irgendwann im Untergrund: 2006 trat er der klandestinen Organisation "militante gruppe" bei. Von 2001 bis 2009 verübte die "mg" eine Reihe von Brandanschlägen auf Konzerne, Sozialämter und Ausrüstung der Bundeswehr. Die Untergrundorganisation sorgte gleich mit ihrer ersten Aktion für einen Aufschrei: Rast und seine Komplizen hatten scharfe Munition an Politiker und Wirtschaftsgrößen verschickt, um deren Umgang bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern anzuprangern.

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2007 wurde Rast verhaftet, Minuten nachdem er und zwei Komplizen einen Brandanschlag auf geparkte Bundeswehr-LKWs verübt hatten. Rast kam für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Dort gründete er zusammen mit dem inhaftierten Anwalt Mehmet Aykol die erste Gewerkschaft für Gefangene. Dort engagiert sich Rast auch weiter, seit er wieder auf freiem Fuß ist. Im Oktober veröffentlichte Frank Brunner, Autor im Stern-Büro Baden-Württemberg, das Buch Mit aller Härte, eine detaillierte Rekonstruktion der Ermittlungen, die schließlich zur Verhaftung Rasts und seiner Komplizen führten. Wir haben Rast in Berlin getroffen.

VICE: Wie wird man zum linken Terroristen?
Oliver Rast: So nennen mich andere, verurteilt wurde ich als "militanter Linker". Bei vielen in der radikalen Linken endet die politische Hochphase mit Anfang, Mitte zwanzig. Ich bin dabeigeblieben, das war für mich logisch. Ich habe mich radikalisiert – und das ist für mich gar nichts Schlechtes.

Wie verlief deine Radikalisierung?
Ich habe als Jungsozialist angefangen, mich dann schnell über die Alternative Liste in Westberlin [Anm. d. Red.: die Vorgängerpartei der Grünen] weiterentwickelt. Bei denen gab es Verbindungen ins autonome Milieu. Was mich damals begeistert hat, waren die internationalistischen Befreiungskämpfe in Nicaragua und El Salvador. Prägend war aber auch das Aufkommen der rechtsextremen Republikaner Ende der 80er. Da habe ich an Demonstrationen teilgenommen, die oft in Ausschreitungen endeten.

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In dem Buch steht, dass dich ausgerechnet das RAF-Buch von Stefan Aust inspiriert hat.
Das ist schon ironisch, weil das Buch den bewaffneten Kampf ja verurteilt. Ich habe das im jugendlichen Leichtsinn mit 15 oder 16 aber anders gelesen. Für mich war das der erste literarische Zugang zu Menschen, die dann Anfang der 70er Jahre die bundesrepublikanische Stadtguerilla entwickelt haben.

Wieviel RAF steckt in dir?
Ich habe mal in einer Wohngemeinschaft mit Helmut Pohl, Eva Haule und Christian Klar [Anm. d. Red.: alles führende RAF-Terroristen der 2. und 3. Generation] gelebt, die RAF hatte sich da aber schon aufgelöst.

Von meiner Seite aus ist der bewaffnete Kampf weltweit ein wichtiger Teil von linker revolutionärer Politik. Aber wie viel linke Militanz steckt noch in mir? Ich war dreieinhalb Jahre inhaftiert, damit sollte man auch rechnen, wenn man linksradikal ist. Militante oder bewaffnete Aktionsformen halte ich nach wie vor für gerechtfertigt.

Gilt das auch für die Morde der RAF?
Also, zuerst einmal hat die RAF nicht zuerst geschossen, die erste Tote war Petra Schelm [Anm. d. Red.: die in einer Schießerei mit Polizisten ums Leben kam]. Ansonsten sind politische Attentate sicher das schärfste Mittel des bewaffneten Kampfes – und auch das werde ich nicht generell verurteilen.

Warum hältst Gewalt für möglicherweise nötig?
Weil die Situation gerade nach verdammt viel schreit: fast 13 Prozent AfD-Mitglieder im Parlament. Dann ersaufen tagein, tagaus Flüchtlinge im Mittelmeer. Und die enorme Armut. Dagegen können Bürgerinnen und Bürger Initativen gründen oder auf der Straße protestieren.

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Du willst demokratisch gewählte Parteien oder den Staat mit Gewalt bekämpfen?
Es geht ja nicht darum, den Staat herauszufordern, das ist ein ungleicher Kampf – sondern um kleinere Operationen. Anfang der 90er Jahre haben militante Gruppierungen zum Beispiel Anschläge auf Ausländerbehörden verübt und Akten vernichtet, sodass Abschiebungen nicht stattfinden konnten. Bei uns ging es eben darum, Nato-Kriegsgerät zu sabotieren – richtig ins Räderwerk einzugreifen.

Bei genau so einer Aktion wurdest du ja verhaftet. Wie lief das ab?
Im Rückblick hätte ich es eigentlich wissen müssen. Es gab verschiedene Hinweise, dass es eine ziemlich dichte Observation gegeben hat: In der Tatnacht waren beispielsweise permanent andere Scheinwerfer hinter uns. In dem Moment habe ich das aber nicht so realisiert. Plötzlich tauchten vor, seitlich und hinter uns Fahrzeuge auf, die uns ausgebremst haben. Da sprangen Beamte des Mobilen Einsatzkommandos raus, schlugen mit Schlagstöcken die Scheiben ein und zerrten den Fahrer aus dem Auto. Ich hatte eine Neun-Millimeter-Pistole direkt vor meinen Augen. Kurz darauf lagen wir alle mit dem Gesicht im märkischen Sand.

"In deutschen Gefängnissen geben Albaner den Ton an"

Wie hat das Gefängnis dich verändert?
Es hat mich weder geläutert oder desillusioniert. Aber ich habe das trotzdem unterschätzt. Ich kannte viele Leute, die im Gefängnis waren, aber du kannst Knast nunmal nicht üben. Was mich am meisten belastet hat, ist, wie mein soziales Umfeld da mit hineingezogen wurde. Für meine Familie hat sich der Alltag fast nur noch um mich gedreht – sie musste Anwälte besorgen und Kleidung.

Als du verhaftest wurdest, warst du verlobt. Hat das gehalten?
Nein. Liebesbeziehungen gehen bei sowas oft in die Brüche.

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Gab es für dich auch gefährliche Situationen im Gefängnis?
Im Knast muss man sich möglichst schnell Netzwerke schaffen, damit du einerseits Ruhe hast, aber auch soziale Kontakte. Man muss schauen, wie die Kräfteverhältnisse sind. Drinnen gibt es Hierarchien und Gruppen, die meistens ethnisch organisiert sind. In deutschen Gefängnissen geben Albaner den Ton an, und die waren dann auch meine "Schutzmacht". Mit deren Anführer kam ich in Kontakt, weil ich die Schriften von Enver Hoxha [Anm. d. Red.: der frühere kommunistische Diktator Albaniens] kannte. So simpel ist das in der Haft manchmal. Seitdem musste ich tagaus, tagein mit ihm Kaffee mit Milchpulver trinken, das hat mir komplett den Magen verdorben. Aber ich hatte Ruhe.

Du hast eine Gefangenengewerkschaft ins Leben gerufen. Gehört das auch zu deinem Kampf?
Nein, da geht es nur darum, die soziale Frage hinter Gittern zu stellen – Mindestlohn, Sozialversicherung, Gewerkschaftsfreiheit.

"Bei G20 in haben wir keine echte Militanz gesehen, das war eine rein mediale Inszenierung."

Mit der Gewerkschaft hast du letztendlich viel mehr bewegt als mit den Brandanschlägen. Gibt dir das zu denken?
Ich würde sagen, ich habe eben verschiedene Pfade beschritten. Was jetzt wirklich effektiver oder weniger effektiv ist, habe ich noch nicht endgültig entschieden.

Hast du die militanten Aktionen nicht auch einfach für den Kick gemacht?
Das ist viel zu kurz gegriffen. Es geht bei militanten Aktionen absolut nicht um den "Kick". Den kann man sich auch viel einfacher holen.

Willst du Deutschland immer noch abschaffen?
Ich bin Kommunist, deshalb glaube ich, dass die Bundesrepublik noch nicht das Ende der Geschichte ist. Aber aktuell ist der linksradikale Flügel eher schwächer geworden. Auch beim G20 in Hamburg haben wir keine echte Militanz gesehen, das war eine rein mediale Inszenierung. Vor zehn Jahren gab es noch ein militantes Netzwerk und viel potentere militante Aktivitäten als heute. Manchmal habe ich deshalb auch melancholische Momente, wo ich fürchte: Vielleicht ist es wirklich schon verloren.

Wenn sie dich damals nicht erwischt hätten – wie wäre deine Geschichte weitergegangen?
Ich wäre vermutlich irgendwann erschossen worden [lacht]. Wenn man sich einmal für eine militante Politikform entschieden hat, diskutiert man auch, ob man nicht noch weiter gehen soll. Denn: Sprühen gehen, Türschlösser verkleben, Brandanschläge oder kleinere Sprengstoffanschläge – das ist noch kein bewaffneter Kampf. Der setzt nochmal eine andere Entscheidungskraft voraus. Aber: Jetzt hier klar zu sagen, dass ich Aktivist in einer bewaffneten Struktur geworden wäre, würde mir mein Rechtsanwalt wohl nicht empfehlen.

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