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Livio: Momentan arbeite ich nur fünf Prozent an der Hochschule. Das heisst, ich mache dieses Semester einen einwöchigen Blockkurs mit den Studenten. Dabei verdiene ich ca. 400 Franken. Da ich noch Erspartes habe, kann ich noch etwa einen Monat davon leben. Demnächst arbeite ich wieder 45 Prozent, um über die Runden zu kommen. Es steht ein Projekt in Kooperation mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) an. Wir entwickeln ein Sensibilisierungsspiel zum Thema Grundwasser für chinesische Bauern.
Mein WG-Zimmer in Zürich kostet mich 400 Franken. Für die Krankenkasse bezahle ich etwa 80 Franken. Ein Handy habe ich nicht und mein Laptop gehört der Hochschule. Wenn ich es mir leisten kann, gönne ich mir teure Bio-Lebensmittel. Insgesamt brauche ich um die 700 Franken im Monat.
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Wie wohnst du?
Momentan lebe ich in einer WG zusammen mit einem Paar. Davor habe ich eineinhalb Jahre auf der Strasse gelebt. Nicht, weil ich mir kein WG-Zimmer leisten konnte, sondern für ein Selbstexperiment.Was war das Ziel dieses Experiments?
Ich wollte mich in einen anderen Zustand versetzen und herausfinden, wie es ist, ohne den gewohnten Komfort zu leben. Ich habe unter Brücken oder in Wäldern geschlafen. Das Ziel dieses Experiments war, meinen Lebensstandard so weit wie möglich runterzuschrauben und mich dadurch besser kennenzulernen.
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Luxus bedeutet für mich, dass ich mich gut ernähren, genügend schlafen und viel Zeit mit meinen Mitmenschen verbringen kann. Auch meine innere Ruhe schätze ich extrem. Ich habe ein tiefes Vertrauen in mich. Das hatte ich sogar, als ich auf der Strasse gelebt habe. Dieses Gefühl der Sicherheit bedeutet Luxus für mich.Was ist das Wertvollste, das du besitzt?
Zwischenmenschliche Beziehungen besitze ich zwar nicht, aber sie sind für mich das Wertvollste in meinem Leben. Bei materiellen Dingen ist es der Laptop, aber der gehört der Hochschule. Vieles, was ich habe, kommt und geht. Ich bekomme Dinge geschenkt und gebe sie wieder weg, wenn ich sie nicht mehr brauche.
Nein, im Gegenteil: ich möchte in Zukunft möglichst wenig Lohnarbeit machen. Mir ist es wichtiger, mehr Zeit direkt mit meinen Mitmenschen zu verbringen. Deshalb konzentriere ich mich immer mehr auf Projekte, bei denen kein Geld involviert ist.Du bist also kein Freund von Geld?
Geld ist ein absoluter Wert. Stell dir vor, wir hätten einen Kuchen und müssten drei Tage davon leben. Hätten wir keine Währung, müssten wir gemeinsam eine Lösung finden, wie wir den Kuchen aufteilen. Mit einer Währung hingegen ist klar, dass derjenige, der sich das grössere Stück leisten kann, am längeren Hebel sitzt. Wir müssen also gar nicht mehr miteinander diskutieren und uns mit unseren Bedürfnissen auseinandersetzen. Das ist ein Beispiel, wie Geld zwischenmenschliche Beziehungen zerstört.
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Man sollte Geld ganz abschaffen. Geld prägt, wie wir miteinander umgehen. Da wir in einem System aufwachsen, welches einen absoluten Wert hat, denken wir auch mit diesem Wert. Der absolute Wert muss weg, wenn man den Menschen auf Augenhöhe begegnen möchte.Wie finden deine Freunde diesen Ansatz?
Mir ist eine authentische Verbindung zu den Menschen wichtiger als mein Idealismus. Falls es mein Gegenüber interessiert, diskutiere ich gerne über Geld. Aber bei meinen meisten Freundschaften spielt meine Einstellung zu Geld keine Rolle.