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Waffengewalt

Wir haben Menschen gefragt, ob sie gerade Waffen tragen

"Jemanden wegen eines Taschendiebstahls abzustechen, wäre doch auch räudig."
Alle Fotos: VICE Media

Glaubt man der aktuellen Berichterstattung der Bild zur "Messer-Angst in Deutschland", müsste man auf unseren Straßen aufpassen, nicht versehentlich in eine Klinge zu laufen. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, fordert nun, das Waffenrecht zu verschärfen. Weil es keine bundesweiten Zahlen zu Messerattacken gibt und die Debatte oft unsachlich geführt wird, ist seine Forderung umstritten. Bei manchen Menschen bleibt offenbar dennoch der Eindruck, ständig bedroht zu sein.

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Feststeht: Seit der Kölner Silvesternacht 2015/2016 stieg bundesweit die Nachfrage nach Pfeffersprays. Alleine von Januar 2016 bis Ende 2017 wurden über 250.000 kleine Waffenscheine ausgestellt, die Erwachsene berechtigen, Schreckschuss-, Gas- oder Signalwaffen mit sich zu führen. Deutschland scheint sich zu bewaffnen.

Also haben wir in Berlin – Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte – Passanten gefragt, wie sie sich verteidigen. Statt blanker Klingen sahen wir auch nach mehreren Stunden und etwa 40 Interviews nur blanke Gesichter, niemand hatte eine Waffe dabei – oder wollte sie uns zumindest nicht zeigen. Natürlich ist unsere Stichprobe nicht repräsentativer als die Daten, auf die sich die GdP stützt. Dafür hatten die Leute umso bessere Erklärungen, warum sie lieber unbewaffnet durch die Gegend laufen.

Jacky, 30

VICE: Hast du irgendetwas dabei, um dich zu verteidigen?
Jacky: Nee, ich habe auch keine Angst, hier rumzulaufen. Vielleicht klingt das zu pauschal oder naiv, aber ich habe wirklich keine Angst. Ich schau auch immer hinter mich, wer mit mir aussteigt, wenn ich nachts die Bahn verlasse und alleine unterwegs bin, aber ansonsten fühle ich mich nicht unsicher.

Hattest du schon einmal eine Situation, in der eine Waffe hilfreich gewesen wäre?
Ja, es wär gelogen, wenn ich Nein sagen würde, aber ich weiß nicht … Nee, hatte ich nicht.

Hattest du noch nie Angst, sodass es dir in dem Moment geholfen hätte, dich sicherer zu fühlen?
Ich hatte das Thema schon öfters, nee, in so einer Situation war ich noch nicht direkt.

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Und was denkst du generell über die Debatte, dass Frauen Pfefferspray dabei haben sollten?
Vielleicht ist es doch hilfreich. Aber nur, wenn es richtig in der Tasche platziert ist und man den Finger schon drauf hat. Wenn man es erst in der Tasche suchen muss, macht es keinen Sinn.

Fabian, 28

VICE: Warum trägst du keine Waffe bei dir?
Fabian: Ich glaube, dass das nichts bringt. Wenn ich eine Waffe dabei habe und die bei einem Angriff verwende, trifft es mich wahrscheinlich noch schlimmer. Über Pfefferspray könnte man nachdenken, aber alles andere halte ich für kontraproduktiv.

Warst du schon einmal in einen Angriff verwickelt?
Mit 13, ja. Zwei 18-Jährige wollten mich abziehen. Aber selbst dann hätte eine Waffe nichts gebracht, was soll ich denn gegen zwei ältere Jungs machen? Ich bin dann weggerannt und davongekommen.

Triffst du sonst irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen, um brenzlige Situationen zu vermeiden?
Selten. Es ist nicht so, als würde ich irgendwelche Orte meiden. Das macht nur Stress und Angst und ist halt kacke. Außerdem bringt das auch nicht viel. Wenn man etwas sieht, was unangenehm werden könnte, wechselt man halt die Straßenseite. Aber auch das habe ich in Berlin schon lange nicht mehr gemacht.

Jens, 44 und Thomas, 37

VICE: Habt ihr irgendwelche Waffen dabei, um euch zu verteidigen?
Jens: Nee, ich wohne schon seit 18 Jahren am Görlitzer Park. Natürlich hat der sich mit der Zeit verändert, aber das Gefühl, mich jetzt bewaffnen zu müssen, habe ich nicht.
Thomas: Ich bin eh nur zu Besuch hier, aber in all den Jahren, in denen ich hier herkomme, hatte ich nie das Gefühl, dass ich eine Waffe bräuchte. Ich kann mich schon frei und unbeschwert bewegen, auch nachts.

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Wart ihr schon einmal in einer Situation, in der euch eine Waffe geholfen hätte?
Jens: Nö, da komme ich immer ganz gut drum rum. Also klar, wenn irgendwo ein Tumult auf der Straße ist und man das Gefühl hat, da ist jemand hilflos, frage ich auch nach. Aber ich wurde noch nie direkt angegriffen.
Thomas: Ich glaube, dass es eher kontraproduktiv ist, Pfefferspray oder ein Messer dabei zu haben. Wenn dich jemand überwältigt und es dir entreißt, ist die Chance, dass es gegen dich verwendet wird, viel größer, als dass du es selber sinnvoll einsetzen kannst.

Gibt es irgendwelche Situationen oder Plätze, die ihr meidet?
Jens: Nö, nicht bewusst.

Lisa, 26

VICE: Hast du etwas dabei, um dich zu schützen?
Lisa: Gerade habe ich nichts dabei, aber ich besitze ein Pfefferspray und das nehme ich manchmal mit. Nicht zum Feiern oder so, aber manchmal, wenn ich nachts unterwegs bin.

Musstest du es schon mal benutzen?
Nee, noch nie. Aber ich scheue mich auch davor, es wirklich einzusetzen. Ich glaube, es geht mir eher um ein grundsätzliches Sicherheitsgefühl, das ich dann habe.

Welche Ängste hast du ansonsten?
Ich weiß gar nicht, ob ich die Ängste so richtig krass habe. Ich glaube, das wurde mir eher so eingebläut, dass man auf jeden Fall was dabei haben sollte. Dann fühle ich mich einfach sicherer.

Angelika, 63

VICE: Hast du etwas zur Selbstverteidigung bei dir?
Angelika: Nein.

Wieso nicht?
Ich denke, das ist für mich keine Notwendigkeit. Wenn ich später am Abend alleine unterwegs bin eventuell, aber tagsüber nicht.

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Hast du abends etwas Waffenähnliches dabei?
Auch nicht. Aber ich bin auch spät abends selten unterwegs. In einigen Kiezen würde ich es mir überlegen, aber eigentlich bin ich da angstfrei.

Bist du in Berlin schon mal in eine brenzlige Situation geraten?
Eigentlich nicht, nein.

Anika, 31

VICE: Trägst du Waffen zur Verteidigung bei dir?
Anika: Nein, ich habe jetzt nichts dabei. Vor 20 Jahren habe ich einmal einen Selbstverteidigungskurs gemacht. Außerdem glaube ich an so eine Opfertheorie: Wenn man schon als Opfer herumläuft, dann zieht das gefährliche Situationen an. Alles, was passieren sollte, passiert sowieso.

Warst du schon einmal in einer gefährlichen Situation?
Nee, gar nicht. Ich lebe seit elf Jahren in Berlin und habe noch nie etwas Gefährliches erlebt. Einem Kumpel von mir sind mal seine teuren Kopfhörer von 14-Jährigen abgezogen worden. Der ist aber auch ein ängstlicher Typ. Hätte der laut gesagt "Alter, verpiss dich!", dann wäre das wohl nicht passiert. Und das ganze gefährliche Gangzeug passiert ja auch eher untereinander. Wirklich gefährdet sind alte Menschen, wegen Trickbetrügern und so. Aber jemanden wegen eines Taschendiebstahls abzustechen, wäre doch auch räudig. Ich sehe eigentlich wenig Aggression hier.

Vincent, 31

VICE: Hast du Waffen dabei?
Vincent: Nein.

Warum nicht?
Ich fühle mich in Berlin sicher.

Warst du schon einmal in einer brenzligen Situation?
Nein. Vielleicht, nicht wirklich.

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Hamudi, 18 und Nikolai, 18

VICE: Habt ihr Waffen zur Selbstverteidigung dabei?
Hamudi: Ich habe zwei Fäuste. Für die brauche ich Waffenscheine [lacht]. Aber ernsthaft, wir beide gehen ins Fitnessstudio und trainieren immer. Deswegen kriegen die Jungs da draußen Respekt vor uns.
Nikolai: Wir brauchen keine Waffen. Wir sind sehr liberale Leute. Außerdem ist es für uns hier nicht gefährlich. Wir fühlen uns sicher. Was soll uns hier passieren?

Wart ihr schonmal in einer gefährlichen Situation?
Nikolai: Ich nicht, weil ich nie alleine herumlaufe. Ich hab immer meinen Security-Typen hier neben mir [lacht].
Hamudi: Also ich sorge immer nur für solche Situationen [lacht].

Bringt ihr denn andere Leute in Gefahr?
Nikolai: Nein. Wir sind ganz nett. Und so sehen wir, glaube ich, auch aus.

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