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wm-2018

Wieso haben so viele Spieler im Schweizer Team Migrationshintergrund?

Vor dem Achtelfinale haben wir einem Spieleragenten, zwei Politikern und kickenden Kindern die Frage gestellt, die die Menschen in der Schweiz selbst mehr zu beschäftigen scheint als die Aufstellung gegen Schweden.
Die Schweizer Nationalmannschaft mit Granit Xhaka (10) und Xherdan Shaqiri (23): imago | Sven Simon

Die Doppeladler-Debatte hat wieder einmal gezeigt, dass es vielen Schweizern doch nicht egal ist, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem WM-Team spielen – egal, welchen Pass diese haben. Von insgesamt 23 Nationalspielern sind laut Angaben einer Transferplattform sieben Secondos und acht sogar im Ausland geboren. Besonders bei diesen 15 Spielern schaut das Publikum mit Argusaugen, wie sie sich auf dem Platz verhalten. In einem Video etwa, das auf Facebook kursierte, untersucht ein Mann minutiös, wer von der Mannschaft die Nationalhymne wie mitsingt. Das Filmchen zählt bisher über 100.000 Views.

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Die Schweizer Nationalmannschaft gehört dabei zu den Teams mit dem höchsten Anteil an Spielern mit Migrationshintergrund. Das war bei der WM 2014 so und ist es es auch bei der WM 2018. Ähnlich wie sich die Artikel wiederholen, die den Migrationshintergrund der Spieler aufzeigen, wiederholen sich auch die Debatten, die sich aus dem hohen Anteil ergeben. Auch wenn es für diese Debatten kaum eine Rolle zu spielen scheint, ob der Migrationsanteil wie bei der Nationalmannschaft bei 65 oder wie in der Bevölkerung bei 37 Prozent liegt. Ein Haar in der Suppe scheint jeder zu finden, der nur lange genug danach sucht.

Trotzdem bleibt die Frage: Woher kommt eigentlich der Unterschied beim Migrationsanteil zwischen der Nationalmannschaft und der gesamten Bevölkerung? Und was sagt das über die Schweiz aus? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir mit einem Spieleragenten, zwei Politikern und einigen Kindern auf dem Fussballplatz gesprochen.

Mihael Stankovic, Spieler-Agent

"Ich bin seit 1997 als Spieleragent tätig und habe die Durchmischung der Nationalitäten sowohl als Spieler als auch als Agent/Berater mit Spielern wie zum Beispiel Mladen Petrić und Boris Smiljanic miterlebt. Ich kann mich daran erinnern, als Flüchtlinge nach dem Balkankrieg in die Schweiz gekommen sind. Selbst mein Vater als serbisch stämmiger aus dem heutigen Kroatien, der damals flüchten musste und meine Mutter aus Serbien kennen diese Problem ganz genau. Ich selbst bin zwar in der Schweiz geboren, dennoch glaube ich, dass die Schweizer keine Vorstellung davon haben können, wie es ist, hierher zu kommen ohne die Sprache zu sprechen, sich finanziell am Limit zu bewegen und keine sozialen Kontakte zu haben.

"Viele Secondos wissen schon mit zwölf Jahren: 'Ich will Profi werden.' Dafür stecken sie dann auch die schulische Ausbildung zurück – mit Konsequenzen."

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Meiner Erfahrung nach unterstützen die Eltern von Migranten und Secondos ihre Kinder für den Traum Fussball-Profi zu werden zu hundert Prozent mit allen Risiken. Natürlich auch mit dem Hintergedanken, dass sich das irgendwann auszahlt. Im Gegensatz dazu merke ich, dass der Fussball für die Schweizer ein Hobby ist und es Zuhause heisst: 'Mach zuerst deine Ausbildung', was für mich als Berater von zentraler Bedeutung ist. Viele Secondos wissen schon mit zwölf Jahren: 'Ich will Profi werden.' Dafür stecken sie dann auch die schulische Ausbildung zurück – mit Konsequenzen. In meinen 20 Jahren habe ich zahlreiche 14,15-jährige Secondos betreut, die das so gemacht haben. Die aktuellen Nationalspieler Ricardo Rodriguez und Josip Drmic waren zwei davon, die heute ihren Traum leben können. Bei diesem Willen, alles für dieses Ziel in den Hintergrund zu stellen, sehe ich teilweise Unterschiede. Aktuell haben wir viele Kosovaren im Nationalteam. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass in zehn Jahren andere Nationalitäten überwiegen."


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Kinder auf dem Fussballplatz

Namen der Kinder auf deren Wunsch geändert

"Die Schweiz ist ein kleines Land und darum kommen weniger Schweizer in die Nati. Wenn es ein grosses Land wäre, hätten sie mehr Chancen und mehr Spieler." - Jemal, 10, Ägypten

"Als Ausländer hat man aber auch bessere Chancen zu spielen, weil es weniger Schweizer hat, die gut sind. Darum kommt man einfacher in die Nationalmannschaft. In Brasilien hat man zum Beispiel weniger Chancen." Semere, 10, Eritrea

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"Ich glaube, dass sie nicht so viele Schweizer Spieler haben, weil die Schweizer zu viel in die Schule gehen und die anderen in der Freizeit viel mehr trainieren."

"Die ganz guten Spieler kommen oft aus ärmeren Ländern, wo sie vielleicht auch die Schule nicht bezahlen können. Dafür gehen sie dann halt Fussball spielen, während wir hier in die Schule gehen. Wenn es dann in einem solchen Land zum Krieg kommt, müssen sie in die Schweiz flüchten und können schon viel besser Fussball spielen und bewerben sich dann als Fussballer." Jonas, 11, Schweiz

"Ich denke, weil es nicht so viele Schweizer gibt, die sich für Fussball interessieren. Viele Albaner wollen das und haben den Willen und fangen schon als Kinder richtig an, Fussball zu spielen. Es gibt viele andere Sportarten, die Schweizer vielleicht spannender finden als Fussball." Samuel, 10, Eritrea

"Ich glaube, dass sie nicht so viele Schweizer Spieler haben, weil die Schweizer zu viel in die Schule gehen und die anderen in der Freizeit viel mehr trainieren. Die Schweizer sind nur in der Schule." Leon, 10, Schweiz

Cédric Wermuth, SP-Nationalrat

"Ich kann mir gut vorstellen, dass der Fussball für viele Secondos eine Flucht aus der räumlichen Enge, wie z.B. Sozialwohnungen aber auch aus bedrückenden Erlebnissen ist. Das ist aber meiner Meinung nach ein Ausdruck von Perspektivlosigkeit, der sie auch auf dem Schweizer Arbeitsmarkt begegnen. Dort sind Migranten aus Ex-Jugoslawien nach wie vor nicht gut integriert. Das zeigte auch der Bericht des Bundesrats von 2010 zur wirtschaftlichen Integration der kosovarischen Bevölkerung. Der Einstieg in das Berufsleben fällt nicht nur Kosovaren aber auch Albanern in der Schweiz auffallend schwerer, als anderen Nationalitäten, was die Folge einer Diskriminierung ist. Das macht Sport als Ort des Erfolgs dann zum Beispiel für Secondos aus diesen Ländern attraktiv.

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Ich kann mich an meine Volksschulzeit erinnern. Da gab es mehrere Fälle von Flüchtlingen aus dem Balkan, die in der Schule keine Chance hatten aber sehr gut Fussball spielen konnten. Das war ein Weg, Freundschaften zu schliessen und Anerkennung zu finden. Wenn Secondos dann im Fussball erfolgreich sind, geht es oft auch um ihre Migrationsgeschichte, die man dann als erfolgreich darstellt. Das darf man als Integrationserfolg aber nicht überbewerten, denn es ist vielmehr eine Kehrseite von gescheiterter Integration."

Markus Hausammann, SVP-Nationalrat

"Dadurch, dass die Anzahl an Secondos in Fussballvereinen grösser ist, als zum Beispiel in Turnvereinen, ergibt sich logischerweise auch eine andere Selektion. Was aber nicht heisst, dass ein Schweizer Talent den Sprung in die Fussballelite nicht auch schaffen müsste.

Ich bin daher überzeugt, dass Secondos, die im Fussball erfolgreich sind, auch von der Perspektive getrieben sind. Dass sie also im Sport die grösseren Chancen sehen, weiterzukommen als zum Beispiel im Beruf und daher den nötigen Biss haben, das durchzuziehen. Dass junge Secondos ihre Chancen anders wahrnehmen als junge Schweizer ist ein Symptom einer noch nicht optimalen Integration. Dazu braucht es wahrscheinlich noch eine nächste Generation."

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