Wie ich einen Koksfixer dazu brachte, meinen Urin zu injizieren
Collage: Rebecca Rütten

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Drogen

Wie ich einen Koksfixer dazu brachte, meinen Urin zu injizieren

Anekdoten aus dem Leben eines Heroin- und Kokainsüchtigen – Teil 1.

Klar, dass Drogen süchtig machen können, wisst ihr. Was heißt das aber konkret für das Leben von Süchtigen, wie tief sind die Abgründe? Darüber schreibt Gaston.

Zugegeben, das Leben ist kein Ponyhof – aber das Junkieleben ist nicht nur kein Ponyhof, sondern geradezu ein siffiger Schweinestall. Um zu zeigen wie siffig, habe ich drei Anekdoten aus meinem Dasein als Abhängiger aufgeschrieben. Drogensucht bringt Menschen dazu, Dinge zu tun, an die sie sonst nicht im Traum gedacht hätten. Wenn ich von dieser Zeit meines Lebens erzähle, will ich nichts weglassen und nichts beschönigen. Ich will Drogenkonsum weder glorifizieren, noch euch belehren. Aber ich hoffe, ihr seid vernünftig genug, das nicht nachzumachen.

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Ich hatte meine Würde, meine Selbstachtung komplett verloren. Ich war einer dieser Abhängigen, die Außenstehende höchstens mal sehen, wenn sie in der U-Bahn die Obdachlosenzeitung Motz verkaufen. Aber wir sind viele und wir werden gerade wieder mehr: Der Drogenbericht der Bundesregierung verzeichnete für das Jahr 2015 erstmals wieder einen höheren Anstieg bei erstauffälligen Konsumenten von Heroin. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Zahl mit 1.888 registrierten Erstkonsumenten um 14,6 Prozent nach oben, bei Kokain waren es 6,5 Prozent und 3.149 neue Konsumenten. Alleine im letzten Jahr starben 1.333 Menschen in Deutschland an ihrem Drogenkonsum.


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Seit den 60er Jahren diskutieren Progressive und Konservative, ob Sucht Willensschwäche oder Krankheit ist. Ich denke, dass das am Thema völlig vorbeigeht. Das ist einfach nicht die Frage. Denn ja, Sucht ist Willensschwäche (und ich als Süchtiger darf das sagen). Und ja, Sucht ist auch eine Krankheit. Die Willensschwäche, die Süchtige immer wieder die falschen Entscheidungen treffen lässt, wider besseren Wissens, ist ein Symptom der Abhängigkeitserkrankung und eines der entwürdigendsten.

Sicher ist es äußerst unangenehm, schmutzig, schwitzend und heruntergekommen den Blicken der "normalen" Menschen in der U-Bahn ausgesetzt zu sein. Es kann durchaus am Selbstbewusstsein nagen, wenn man darauf angewiesen ist, Tag für Tag fremde Personen um Geld anzubetteln. Aber das sind eher die Probleme der "Extremfälle". Weitaus zerstörerischer für das Selbstwertgefühl ist die Erfahrung, die wirklich jeder Abhängige früher oder später machen muss: sich selber nicht mehr trauen zu können.

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Andere Menschen nehmen sich etwas vor und wissen, dass sie es auch tun werden, falls nicht die höhere Gewalt oder der ÖPNV dazwischenfunkt. Ich kann das nicht. Wenn ich mir etwas vornehme oder mich verabrede, habe ich immer im Hinterkopf: "Ich werde das machen, falls ich nicht mit einer Spritze im Arm in meinem eigenen Blut auf irgendeinem City Klo liege."
Nicht zuverlässig zu sein, ist entwürdigend. Sich nicht auf sich verlassen zu können, ist es auch.

Also, viel Spaß bei der ersten Geschichte aus meinem Junkie-Leben.

Sucht macht erfinderisch

Wir kannten uns schon aus irgendeiner Entgiftung, am Berliner Kotti trafen wir uns wieder. So ist das meistens: Eine bloße Entgiftung ohne anschließende Therapie hilft so gut wie nie, und die Leute, die man auf den Entgiftungsstationen verabschiedet, voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft, sieht man oft wenige Tage später an irgendeinem Szenetreffpunkt, so fertig wie eh und je oder schlimmer.

Nun, ebenso verlief 2013 das Wiedersehen zwischen mir und diesem Koksfreak, einem unscheinbaren Typ Mitte 30, den man auf den ersten Blick nie für einen Fixer halten würde. Aber er war genauso geil aufs Koksdrücken wie ich, und er hatte welches dabei. So gingen wir erst einmal gemeinsam auf die nächste City Toilette, um unser Wiedersehen gebührend zu feiern. Da sein Material ziemlich gut war, geriet dieses Wiedersehen auch genau nach meinem damaligen Geschmack: Nachdem wir beide unseren Druck gemacht hatten, liefen wir erstmal für eine Stunde oder länger ziellos durch die Straßen und frönten unserem Laberflash, indem wir versuchten, dem anderen möglichst viel zu erzählen, ohne groß zuzuhören.

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Laut der Drogenpräventions-Organisation Drug Scouts ist es riskanter, Kokain zu spritzen, als es durch die Nase zu ziehen. Dabei erhöht sich nicht nur die Gefahr einer Überdosis, sondern auch das Risiko, sich mit Hepatitis, AIDS und anderen Krankheiten anzustecken. Wie es bei Kokain aber so ist, machte es uns Lust auf mehr. Wenn man das Zeug fixt, benötigt man die nächste Dosis umso schneller. Deshalb waren wir irgendwann so gierig darauf, uns den nächsten Schuss zu setzen, dass uns die Suche nach einem anderen City Klo zu aufwändig erschien. Also kletterten wir kurzerhand über die Mauer einer Schule, von der mein Kumpel wusste, dass sie auch abends offen war.

Um ungestört zu bleiben, gingen wir ganz nach oben in den vierten Stock und setzten uns in die hinterste Ecke. Wir begannen voller Erwartung mit den Vorbereitungen, packten unsere Spritzen und den Löffel aus – er hatte sein Koks schon aus einem gefalteten Papierchen genommen und drauf gekippt – da brach die Katastrophe über uns herein: Wir hatten kein Wasser!

Kokain fixen ohne Wasser

Das brauchten wir aber, um das Koks aufzulösen. Wir gewannen jedoch schnell unsere Fassung wieder, schließlich befanden wir uns in einem öffentlichen Gebäude. Da sollte es ja wohl eine Toilette und somit Wasser geben. Ich, als Eingeladener, ging also los, unsere beiden Spritzen in der Hand, um welches zu besorgen.

Als ich jedoch die Herrentoilette im zweiten Stockwerk gefunden hatte, war ich ziemlich schnell desillusioniert: Sie war abgesperrt, so wie alle Räume in dieser Schule. Mein Herz begann zu rasen beim Gedanken daran, was mir deshalb entgehen sollte und wie jubelte ich innerlich, als ich auf einem Fensterbrett eine kleine Gießkanne stehen sah. Selbst diese abgestandene Brühe erschien mir als köstliches Elixier und Erlösung. Jedoch: Die Kanne war leer. Meine Enttäuschung war nicht in Worte zu fassen. Sofort reifte in meinem verdorbenen Junkiehirn ein finsterer Plan, den ich auch sogleich in die Tat umsetzte: Ich pinkelte die Gießkanne etwa halbvoll.

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Da ich schon einige Biere intus hatte, war mein Urin glücklicherweise von Wasser kaum zu unterscheiden. Den Rest ließ ich einfach auf den Boden ab, dann kehrte ich zurück zu meinem Kumpel. Der freute sich natürlich enorm, dass ich Wasser gefunden hatte. Und dass es abgestandenes Blumenwasser war, interessierte ihn wenig, solange er damit sein Kokain injizieren konnte. Wir setzten uns beide einen Schuss. Was er wohl gesagt hätte, hätte er gewusst, dass er da gerade meine mit etwas zweitklassigem Koks veredelte Pisse in seine Vene drückte?

Trotzdem hatten wir damals noch Glück im Unglück. Auch, weil unser Koks so schlecht war. Erst kürzlich ist in England wieder extrem reines Kokain aufgetaucht. Was passiert wäre, wenn wir uns das in diesen Mengen verabreicht hätten, kann ich nur erahnen – egal ob wir es in Pisse oder Wasser aufgelöst hätten.

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Collage bestehend aus: Spritze: qimono | Pixabay | CC0 1.0 ; Injektion: PhotoLizM | Pixabay | CC0 1.0 ; Flüssigkeit: HG-Fotografie | Pixabay | CC0 1.0