FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

„Die Erweiterung der Anklage macht sie nicht richtiger.“

Während der Verhandlung gegen die Unsterblich-Truppe, die das EKH überfallen hatte, wurde die Anklage gegen die Antifaschisten ausgeweitet, die den Angriff der Nazis abwehren konnten.

Foto von Austria80.at

Während der Verhandlung gegen die braune Unsterblich-Truppe, die im Oktober 2013 das EKH in Wien überfallen hatte, wurde am dritten Prozesstag die Anklage gegen die Antifaschisten ausgeweitet, die den Angriff der Nazis auf den türkisch-kurdischen Kulturverein im Haus abwehren konnten.

Bereits die ersten Prozesstage hatten Erstaunliches zu Tage gebracht. Denn die Anklage blendete den politischen Hintergrund des Angriffs auf das EKH völlig aus. Zur Erinnerung: rund 30 bis 40 Kameraden der Nazi-Fußball-Gruppe Unsterblich Wien hatten am 27. Oktober 2013 das EKH angegriffen. Sie wollten zum großen Wiener Derby von Austria Wien gegen Rapid—am Weg dorthin griffen sie das linke Kulturzentrum in Wien-Favoriten an. Sie drangen laut Zeugenaussagen bewaffnet mit Flaschen und Stöcken in die Räume des Kulturvereins ATIGF ein, wo zu diesem Zeitpunkt die kommunistische Gewerkschaft KOMintern ein Treffen abhielt.

Anzeige

Die KOMintern-Leute konnten die Nazis abwehren, die daraufhin flüchteten. Nachdem die Antifaschisten die Polizei informiert hatten, nahmen sie die Verfolgung auf und stellten schließlich unter Mithilfe von Jugendlichen aus einem nahegelegenen Park neun der Nazis und hielten sie bis zum Eintreffen der Polizei fest. Im Prozess sind nun sieben Nazis angeklagt.

Erstaunlicherweise lautet die Anklage bei sechs der Angreifer gerade einmal auf Hausfriedensbruch. Der gemeinsame Angriff und die (versuchte) Körperverletzung, die aus dieser Gruppe heraus entstand, wird nicht verhandelt (es gilt die Unschuldsvermutung). Gerade einer der Angreifer, Claudio P.-W., ist wegen Körperverletzung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft geht trotz der eindeutigen Vorgeschichte nicht davon aus, dass die Nazis den Angriff geplant hätten—dann wäre nämlich automatisch eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung erfolgt.

Die Anklage gegen P.-W. wurde zwar im Laufe des Prozesses auf schwere Körperverletzung modifiziert, da die Verletzungen seines mutmaßlichen Opfers schwerer waren als davor bekannt. Dennoch lässt das Vorgehen von Staatsanwalt Kronawetter viele Fragen offen. Kronawetter hat in diesem Jahr bereits die Anklage in den Verfahren gegen die Antifaschisten Josef S. und Hüseyin C. vertreten und in diesen Prozessen—freundlich formuliert—nicht unbedingt Sympathien für die politischen Anliegen der Angeklagen erkennen lassen. Im Gegensatz zu Josef S. und zu Hüseyin C., die beide sofort nach der Verhaftung in U-Haft genommen wurde, mussten die Rechten übrigens auch nicht hinter Gitter.

Anzeige

Im aktuellen Prozess ist der politische Hintergrund der rechten Attacke kein Thema. Käthe Lichtner von der Offensive gegen Rechts kritisiert: „Staatsanwalt Kronawetter behandelt den Überfall wie eine Wirtshausschlägerei. Dazu passt auch, dass die Angreifer und die Antifaschisten gemeinsam vor Gericht stehen. Doch dieser Angriff war kein Zufall. Bewaffnete Männer haben bewusst das EKH und die Gewerkschafter angegriffen."

Unsterblich-Leute hissen die Nazi-Keltenkreuz-Fahne und den Reichsadler. Foto von: Austria80.at

Die politische Ausrichtung der—teilweise mehrfach vorbestraften—Unsterblich-Angeklagten spielt nun tatsächlich im Verfahren keine Rolle. Das ist sehr verwunderlich, hängt die rechtsextreme Ideologie der mutmaßlichen Angreifer doch augenscheinlich eng mit dem Angriff zusammen. Zeugen gaben etwa bei den Einvernahmen vor der Polizei an, dass von den Angreifern Nazi-Parolen und rassistische Rufe zu hören waren. Ein Zeuge sagte auch aus, dass er einen der Angeklagten gesehen habe, wie er einen Hitler-Gruß gezeigt hätte. Im Abschlussbericht der Polizei vom Februar 2014 ist dieser Vorwurf auch noch zu finden. Doch am Weg zum Prozess hat sich dieser Vorwurf offenbar in Luft aufgelöst, die Wiederbetätigung wurde nicht angeklagt. Selma Schacht, Arbeiterkammerrätin der KOMintern ist darüber empört: „Bei Unsterblich handelt sich es sich um eine organisierte, rechtsextreme Schlägerbande. Dass das vom Gericht nicht thematisiert wird, ist skandalös."

Anzeige

Demgegenüber sind zwei der Antifaschisten wegen Körperverletzung angeklagt, obwohl sie selbst die Polizei geholt hatten und die mutmaßlichen Angreifer festhielten. Die Anklage gegen diese beiden KOMintern-Gewerkschafter wurden nun sogar noch auf schwere Körperverletzung ausgeweitet. Die Begründung: es wären insgesamt mehr als drei Personen gewesen, die die die Nazis gestellt hätten. Laut Gesetz wird bei mehr als drei Beteiligten eine Körperverletzung automatisch „schwer". Dass zuvor rund 30 Nazis das EKH angegriffen hatten, wird von der Staatsanwalt demgegenüber erstaunlicherweise nicht als eine verabredete Tat angesehen und somit nicht als solche angeklagt. Es entsteht der Eindruck, dass in der Vorstellung der Staatsanwaltschaft die rechten Recken alle zufällig in der Gegend gewesen sind.

Interessanterweise entspricht das auch der Verteidigungsstrategie der Unsterblich-Leute. Der eine wollte nur seine Mutter besuchen, der andere war mit einem spanischen Freund unterwegs, der dritte ist überhaupt Rapid-Fan, während die UST-Kameraden sich rund um den Erzrivalen Austria Wien zusammengefunden haben (was übrigens reichlich absurd ist, da die Austria eine lange jüdisch geprägte Tradition hat). Gleichzeitig sind diese Aussagen allerdings bezeichnend. Denn der Angeklagte Mihaly K., der mit seinem spanischen Freund unterwegs gewesen sein will, gilt als Drahtzieher hinter dem österreichischen Ableger der Nazi-Fans von Ultras Sur Madrid. In der Kurve der Austria hissten die UST-Leute daher schon Transparente in Solidarität mit einem spanischen Nazi-Mörder. Und auch die Rapid-Connection hat eine gewisse Brisanz, da die Unsterblich-Leute über das Nazi-Bündnis „Eisern Wien" beste Verbindungen zu den rechten Kameraden von Rapid pflegen.

Anzeige

Eigentlich aber haben die Angreifer ohnehin alle gar nichts mit Unsterblich zu tun. Einschlägige T-Shirts haben ganz andere Hintergründe, UST-Logos, die auf Facebook gepostet wurden, gefielen offenbar einfach nur. Auch rechtsextreme Postings sind haufenweise zu finden. Auf dem—mittlerweile verborgenen—Profil von Hauptangeklagten Claudio P.-W. etwa fand sich ein Bild des NS-Kriegsverbrechers Rudolf Hess. P.-W. hat keine nachvollziehbare Erklärung dazu, das Bild muss sich quasi von selbst auf seine Facebook-Seite gepostet haben. Auch eine Textzeile aus dem SA Kampflied „Blut muss fließen" war auf demProfil von P.-W. zu finden: „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig. Lasst die Messer flutschen in den Judenleib"—wobei das Wort „Jude" ausgelassen wurde. Dass P.-W. sich wünscht, dass alle „Zecken verrecken" sollen, ist da nur folgerichtig. Warum der Staatsanwalt weiterhin einen Hausfriedensbruch anklagt und nicht einen geplanten rechtsextremen Angriff auf eine bekannte linke Struktur, muss wohl sein Geheimnis bleiben.

Foto von: Offensive gegen Rechts

Auch Rosa von der antifaschistischen Austria-Fan-Iniative „Ostkurve statt Ustkurve" ist sehr verwundert über die Anklage: „Wir kennen den Großteil der Angeklagten. Hier handelt es sich um Leute, die seit Jahren im Zusammenhang mit Unsterblich in der Kurve Ärger machen. Die meisten von ihnen haben mittlerweile deshalb Betretungsverbot im Austria-Stadion." Sie erzählt, dass viele der jetzigen Angeklagten auch auf der Facebook-Seite der Fan-Initiative gesperrt sind, weil sie pro Unsterblich gepostet haben. Zur Verteidigungsstrategie der Angeklagten sagt Rosa: „Dass diese Leute jetzt so tun, als hätten sie mit Unsterblich nichts zu tun, ist lächerlich und feig." Karl von „Ostkurve statt Ustkurve ergänzt: „Wir dürfen nicht vergessen: Bei Unsterblich handelt es sich nicht um ein paar Schläger-Hooligans. Das ist eine einschlägige und organisierte Struktur mit klaren Verbindungen zum neonazistischen Blood and Honour-Netzwerk, aber auch in führende Kreise der FPÖ."

Anzeige

Beim Prozess haben sich auf beiden Seiten manche Widersprüche aufgetan. Dass es allerdings nicht unbedingt einfach ist, in der Stresssituation eines Angriffs durch bewaffnete Neonazis alles ganz genau im Blick zu behalten, wird vor Gericht und vor allem von der Staatsanwaltschaft bisher nicht in Rechnung gestellt. Auch Zeugen, die die angeklagten Antifaschisten entlasten, werden von Staatsanwalt Kronawetter sehr forsch behandelt. Einer der Zeugen findet sich nun sogar selbst als Beschuldigter wieder, Kronawetter hat ein Verfahren wegen Falsch-Aussage gegen ihn eingeleitet.

 Austria-Kapitän Ortlechner stellt sich klar gegen rechte Umtriebe. Foto von Michael Bonvalot

Demgegenüber tritt Kronawetter einem Belastungszeugen gegen die Gewerkschafter ausnehmend höflich gegenüber und bedankt sich bei ihm sogar für seine „Zivilcourage". Dieser Mann will Übergriffe der KOMintern-Aktivisten auf die Nazis gesehen haben. Einer der beiden Gewerkschafter kündigt daraufhin an, den Belastungszeugen wegen Falsch-Aussage verklagen zu wollen. Warum allerdings Kronawetter dem Belastungszeugen mehr glaubt als dem Entlastungszeugen zuvor, bleibt sein Geheimnis. Pikant: später wird der Verteidiger der Gewerkschafter darauf hinweisen, dass genau dieser Belastungszeuge sich vor dem Gericht mit den Unsterblich-Leuten gut unterhielt.

Das Verfahren wird schließlich auf unbestimmte Zeit vertagt, da weitere Gutachten eingeholt werden sollen. Sechs der sieben Rechten sind weiterhin nur wegen Hausfriedensbruch angeklagt, doch beide Antifaschisten müssen sich nun wegen schwerer Körperverletzung verantworten. Nach einem rechtsextremen Angriff sind nun zwei der Opfer des Überfalls zu Haupttätern geworden. Das Signal ist fatal. Am Schluss des Prozesses wird einer der beiden Gewerkschafter vom Gericht gefragt, wie er sich zur Verschärfung der Anklage stellt. Seine trockene Antwort: „Die Erweiterung der Anklage macht sie nicht richtiger."