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Diese Griechen befürchten, dass ein Nein alles ruiniert

„Wir sind wie ein Tampon. Wir befinden uns am besten Ort, aber zur denkbar ungünstigsten Zeit."

In den letzten beiden Wochen wurden zwei Ansichten in Griechenland zu Genüge gehört. Die erste lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Was auch immer passiert, es ist mir egal. Ich habe nichts zu verlieren. Das hört man meistens von denjenigen Menschen, die diesen Sonntag für Nein stimmen werden. Die andere Position lautet: Wenn jetzt auch noch das Nein kommt, verlieren wir alles.

Thanos und Theodoris werden beide diesen Sonntag mit Ja stimmen, weil sie denken, dass ein Nein in Griechenland eine unvorhersehbare Entwicklung auslösen wird und sich dadurch ihr eigenes Leben und das ihrer Landsleute dramatisch verändern würde.

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Theodoris, 29, Digital Marketer

Fotos: Dimitris Michalakis

VICE: Was glaubst du, wie es nach Montag weitergehen wird?
Theodoris: Ich glaube, egal ob Ja oder Nein, es wird unglaublich schwierig werden. Das Schlimmste an diesem Referendum ist aber eigentlich, dass die Art, wie es zustande gekommen ist, die griechische Bevölkerung gespalten hat. Ich hoffe, dass das Ergebnis, egal wie es am Ende lautet, von beiden Seiten respektiert wird, und wir uns dann zusammensetzen und gemeinsam einen Ausweg aus dieser Sackgasse finden, in der wir gerade stecken.

Welche der beiden Optionen des Referendums hältst du für richtiger?
Ich werde für Ja stimmen, aber nicht weil ich mit den Maßnahmen der Gläubiger und der generellen Einstellung unserer europäischer Partner übereinstimme, sondern weil ich nicht sehe, wie unsere Regierung die Folgen—sozial und finanziell—eines Neins überhaupt managen könnte. Der Zeitpunkt und die Art, wie das Referendum angesetzt wurde, war undemokratisch. Wir müssen jetzt nämlich eine Frage beantworten, die unklar ist. Die Bevölkerung hatte nicht genügend Zeit, um sich angemessen damit auseinandersetzen zu können, was das eine oder andere Ergebnis am Ende wirklich bedeuten wird. Dementsprechend interpretiert auch jeder die Ja- und die Nein-Antwort anders. Bei einem Ja wird das politische System allerdings unter noch mehr Druck stehen, die nötigen Reformen durchzuführen. Die sind auch unbedingt notwendig, um die ganzen Krankheiten unseres öffentlichen Sektors auszumerzen.

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Was hast du zu verlieren, wenn am Sonntag das Nein überwiegt?
Ich mache mir mehr sorgen um die schwächeren Teile der Bevölkerung—die Alten mit gesundheitlichen Problemen und die Kinder. Sie alle werden gezwungen sein, für einige Monate unter unvorstellbaren Umständen zu leben—es wird an notwendigen Gütern fehlen wie zum Beispiel Medikamenten. Ich persönlich habe Angst, meinen Job zu verlieren, da ich nicht weiß, ob die Firma, für die ich arbeite, danach noch weiter operieren kann. Ich habe keine Angst vor einem möglichen „Haarschnitt" bei den Einlagen, da es sich bei meinem Ersparten auf der Bank sowieso nur um Minimalbeträge handelt.

Was würde ein Nein für Griechenland bedeuten?
Die Wirtschaft hat diese Woche schon einen schweren Schlag abbekommen. Wir reden hier immerhin von einem abrupten Vertrauensverlust der Öffentlichkeit in das Bankensystem. Es kann Monate oder sogar Jahre dauern, bis das wieder hergestellt ist. Wir reden außerdem von einer verlorenen Tourismus-Saison, was verheerende Konsequenzen für die Einkommen vieler Griechen haben wird—vor allem derjenigen, die auf den Inseln leben. Der private Sektor, in dem ich arbeite, hat ebenfalls den finalen Schlag einstecken müssen. Ab Montag werden die meisten Firmen ihren Betrieb erst mal einstellen. Ich schätze, dass es bei einem Nein wahrscheinlich nur eine Frage weniger Tage ist, bis die Geldautomaten komplett leer sind und die Regierung gezwungen ist, den „Haarschnitt" zu machen.

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Ein Ja verbessert die Prognose also?
Versteh mich nicht falsch, ich glaube nicht, dass ein Ja die Perspektive von Griechenland verbessern wird. Man ist hier fast überall der Meinung, dass die Auflagen des Memorandums kein Potential für eine Entwicklung des Landes schaffen können. Das Positive daran wäre jedoch, dass es ein Signal an Europa sendet, dass Griechenland im Euro bleiben möchte. Vielleicht wird es die Erschaffung einer Regierungskoalition fördern, die versucht, die nötigen Reformen durchzubringen.

Würdest du in Erwägung ziehen, wieder ins Ausland zu gehen?
Nein. Ich liebe mein Land mit seinen schlechten und vielen guten Seiten. Ich möchte hierbleiben und selber dabei helfen, so gut ich kann, diese Krise zu überstehen. So schwer es auch ist, momentan in Griechenland zu leben und zu arbeiten, kann ich mir gerade nicht vorstellen, irgendwo anders zu sein. Ich hoffe, dass ich am Ende nicht gezwungen sein werde auszuwandern wie mein Vater in den 60er Jahren.

Thanos, 24, Praktikant in einer Kanzlei

VICE: Was meinst du, wie es nach Montag aussehen wird?
Thanos: Schlecht. Zuerst einmal sehe ich den „Haarschnitt" kommen. Es gibt einfach keinen anderen Ausweg. Die Banken haben kaum noch Rücklagen. Trotzdem würde ein Ja mehr Raum für Verhandlungen lassen und dementsprechend auch die Chance auf eine Einigung steigern. Es wird allerdings auf nationaler Ebene sehr schwer werden, da der Premierminister es irgendwie geschafft hat, die Bevölkerung zu spalten. Er hätte seine politische Verantwortung wahrnehmen und nicht einfach auf die Bevölkerung abwälzen dürfen. Als jemand in der Führung wäre es das Beste gewesen, die politischen Kosten zu akzeptieren. Ja, es wird als demokratischer Prozess durchgeführt, aber die Frage, über die abgestimmt wird, ist unklar—ich würde sogar sagen unzulässig. Man kann das Problem nicht mit einer solchen Frage lösen. Die Antwort darauf ist deswegen auch nicht so einfach.

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Wofür wirst du am Sonntag stimmen?
Definitiv für Ja. Das Land muss in der Eurozone bleiben, im Euro und in Europa. Innerhalb dieses Rahmens müssen wir verhandeln und die beste Lösung finden. Die Zukunft des Landes sollte nicht in nicht-europäischen, quasi unbekannten Gewässern, liegen. Am Ende sollte vielleicht jemand anderes die Verhandlungen für uns führen.

Was würde ein Nein für Griechenland bedeuten?
Dadurch könnten unsere grundlegenden Institutionen zusammenbrechen, wie zum Beispiel die Sicherheit—sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes. Eine weitere Gefahr ist die Rückkehr der Drachme, die automatisch auch höhere Inflationsraten mit sich bringen würde. Es ist eine entwertete Währung und würde dementsprechend die Importe—pharmazeutische Produkte, Benzin—und die Exporte verringern. Die allgemeine Liquidität befindet sich außerdem schon in großer Gefahr. Das sehen wir diese Tage ja deutlich. Das Bankensystem steht kurz vor dem Kollaps.

Was würde sich für dich im schlimmsten Fall durch ein Nein ändern?
Die Unsicherheit wird sich natürlich auch auf andere Bereiche auswirken, wie auch das Recht—darüber mache ich mir große Sorgen. Das Vertrauen der Menschen in das Rechtssystem wird wahrscheinlich ebenfalls verschwinden und Richter werden ihre Arbeit nicht mehr unbefangen durchführen können.

Sind denn mit einem Ja alle Probleme gelöst?
Definitiv nicht. Aber wir werden eine starke Position für Verhandlungen haben. Ein Ja wird Griechenlands Willen demonstrieren, in der Eurozone zu bleiben. Unsere europäischen Partner werden uns mit freundlicheren Augen betrachten.

Würdest du auswandern, wenn es richtig schlecht stehen sollte?
Ich beantworte diese Frage mal mit einem Zitat des griechischen Cartoonisten Arkas: „Wir sind wie ein Tampon. Wir befinden uns am besten Ort, aber zur denkbar ungünstigsten Zeit." Ich möchte überhaupt nicht an die Möglichkeit denken, hier wegzuziehen. Ich glaube an die Stärke, die Vorstellungskraft und die Innovationsfähigkeit des Griechen. Er kann zu jeder Zeit mit einer großartigen Geschäftsidee ankommen, die ihn im Land bleiben lässt und davon abhält, auszuwandern.