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Kann man Rohani trauen oder nicht?

Ich habe mich mit dem israelischen Gesandten in Berlin unterhalten, um herauszufinden, warum genau sein Premier, Benjamin Netanjahu, etwas dagegen hat, dass der Iran und die USA sich wieder annähern.
Hassan Rohani

Der Gesandte Israels Emmanuel Nahshon

Kann man dem neuen iranischen Präsidenten trauen? Während Obama und die Weltöffentlichkeit seiner Charme-Offensive zu erliegen scheinen, wird der israelische Premier Netanjahu nicht müde, ihn als Heuchler und „Wolf im Schafspelz“ darzustellen. Ich habe ich mit dem israelischen Gesandten Emmanuel Nahshon und dem Iran-Experten Wolfgang Posch gesprochen, um zu verstehen, warum die Israelis dermaßen misstrauisch sind (und warum Nahshon meint, internationale Beziehungen seien „eben nicht Deutschland sucht den Superstar“). Zuerst zu den Fakten: Obama und der neugewählte iranische Präsident Hassan Rohani haben sich am Freitag vor einer Woche fünfzehn Minuten über's Telefon darüber unterhalten, wie man die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm schnellstmöglich fortsetzen könne. Das ist deshalb ziemlich bemerkenswert, weil es seit der Islamischen Revolution im Iran vor über dreißig Jahren keinen Kontakt zwischen dem amerikanischen und dem iranischen Präsidenten gegeben hatte (noch als Bill Clinton im Jahre 2000 versuchte, dem damaligen Präsidenten Mohammad Khatami die Hand zu geben, versteckte der sich solange auf dem Klo, bis Bill endlich aufgab).

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Das Telefongespräch war das Ergebnis einer diplomatischen Offensive der neuen iranischen Regierung, die mit Twitter-Segenswünschen zum jüdischen Neujahrsfest begann. Dann folgte eine Abkehr von den Holocaust-Provokationen Ahmadinejads, und schließlich die Ankündigung Rohanis vor der UN-Vollversammlung, man sei zu sofortigen Verhandlungen über das eigene Atomprogramm bereit. Eine derartige Charme-Barrage hatte noch kein iranischer Politiker je in New York abgefeuert. Noch entscheidender ist, dass selbst das Staatsoberhaupt Ayatollah Khameini den neuen Öffnungskurs mitzutragen scheint. In einer vielbeachteten Rede sprach er davon, dass Flexibilität nicht unbedingt als Schwäche ausgelegt werden müsse. Es scheint plötzlich fast so, als könnten sich der Knoten in den seit jeher vergifteten iranisch-amerikanischen Beziehungen demnächst in Wohlgefallen auflösen. Nur einer macht nicht mit beim fröhlichen Rohani-Reigen: der israelische Premier Netanjahu. Seine Rede vor der UN am Dienstag drehte sich fast ausschließlich darum, den Iraner als gefährlichen Heuchler darzustellen, dessen Avancen man keinen Schekel Glauben schenken dürfe. Beobachter empfanden das als deutliches Zeichen, dass die neue Nettigkeit der Iraner Netanjahu beunruhigt.

Emmanuel Nahshon wehrt sich jedoch gegen die Einschätzung, Netanjahu sei der einzige „Miesepeter“ in diesem Spiel: „Ich denke es ist ein bisschen unfair, nur Herrn Netanjahu als Miesepeter zu bezeichnen. Das ist ein gemeinsames Gefühl der internationalen Gemeinschaft“, sagt er. „Auf der einen Seite sehen wir eine neue iranische Rhetorik: Lächeln, Twitter und Facebook. Aber es ist nicht klar, ob hinter dieser Öffentlichkeitsoffensive wirklich eine strategische Änderung in der iranischen Politik steht.“ Nettigkeit reicht nicht aus, nur Taten zählen. „Es ist eben nicht Deutschland sucht den Superstar. Nur weil er sympathisch ist, heißt das nicht, dass sich wirklich etwas ändert.“ Was sich für die Israelis ändern muss, ist natürlich das iranische Atomprogramm. Die Iraner versichern immer wieder, dass sie Uran nur zum Zweck der zivilen Nutzung anreichern. „Nuklearwaffen hatten nie und werden nie einen Platz in unserer nationalen Sicherheitsdoktrin haben. Wir lehnen sie auch aus religiösen und moralischen Gründen ab“, tweetete Rohani letzte Woche erneut. Khameini selbst soll sogar eine Fatwa gegen Atomwaffen ausgesprochen haben—womit sie für den gläubigen Moselm genauso verboten wären wie Salman Rushdies Satanische Verse. Trotzdem spricht das Auswärtige Amt weiterhin von „massiven Fragen und Zweifel am Charakter des iranischen Nuklearprogramms“. Tatsächlich scheinen sich die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und die meisten westlichen Geheimdienste einig zu sein, dass die iranische Führung nicht mit offenen Karten spielt. Sie zielt darauf ab, ihre Nukleartechnologie auf den Stand zu bringen, auf dem sie jederzeit Nuklearwaffen produzieren könnte—ohne das jemals wirklich tun zu müssen. „Die Nuklearwaffenfähigkeit—und zwar sogar nur die theoretische—würde in Kombination mit einem Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen, wie ihn die internationale Gemeinschaft seit Jahrzehnten fordert, genügen, um Iran als Regionalmacht zu etablieren“, erklärt Walter Posch. Es sieht also so aus, als wollte der Iran zwar nicht unbedingt Atombomben haben, aber seine Gegner sollen trotzdem wissen, dass er sich im Fall des Falles problemlos welche zusammensetzen könnte. Weil der Westen sich damit nicht zufrieden geben will, hagelt es seit geraumer Zeit Sanktionen. Noch in diesem Jahr wurden die Daumenschrauben noch einmal heftig nachgezogen. Iranische Banken, inklusive der Landesbank, dürfen an internationalen Transfers nicht teilnehmen, was das iranische Finanzsystem praktisch komplett isoliert. Der Verfall der iranischen Währung und die Verkrüppelung ganzer Wirtschaftszweige haben dazu geführt, dass der Druck auf die iranische Führung gewachsen ist, die Sanktionen gelockert zu bekommen—eines der zentralen Wahlversprechen Rohanis. Der Knackpunkt an der Sache ist also, ob man glaubt, dass die iranische Führung durch die Sanktionen zähneknirschend an den Verhandlungstisch gezwungen wurde, um sich durch hohle Schmeicheleien ein bisschen Luft zum Atmen zu verschaffen, oder dass die Iraner ein echtes Interesse an Frieden haben. „Die Iraner sind unter Druck und haben große Probleme“, meint Emmanuel Nahshon. „Wir sehen eine direkte Verbindung zwischen harten Sanktionen und iranischer Flexibilität. Die Tatsache ist, dass nur nach neuen, harten Sanktionen ein neuer Präsident mit seiner Charme-Offensive kam.“ Dieser Logik folgend, hat Netanjahu dann auch wiederholt noch härtere Sanktionen gefordert. Israel ist der festen Überzeugung, dass die gewieften Iraner nur mit Sanktionen in Verbindung mit einer direkten militärischen Drohung zu beeinflussen sind–ähnlich wie Baschar al-Assad seine Chemiewaffen erst aufgab, als amerikanische Flugzeugträger sich vor Syrien aufbauten. Walter Posch sieht das anders: „Für einen Kompromiss reicht Druck (durch Sanktionen) allein nicht aus. Ausschlaggebend für die Iraner ist die Tatsache, dass der Westen Teheran überzeugen konnte an einer friedlichen Lösung interessiert zu sein.“ Der Experte glaubt deshalb, dass die Ouvertüren Rohanis aufrichtig sind–und zu einem Deal über das Atomprogramm mit den Iranern führen könnten. „Rohani versteht die Sorgen des Westens.“ Falls das stimmt, stünden Amerika und der Iran tatsächlich an einem historischen Scheideweg. Teheran hat in drei wichtigen Punkten Gesprächsbereitschaft signalisiert: im Atomstreit, bei der Annäherung an den regionalen Erzfeind Saudi-Arabien (die mit den Amerikanern verbündeten Saudis sind Sunniten, die Iraner Schiiten), und bei einer friedlichen Lösung des Bürgerkriegs in Syrien. Dort spielen die Iraner durch ihre Unterstützung für Assad und die Hisbollah eine wichtige Rolle, haben sich aber zuletzt vom syrischen Präsidenten distanziert. Sollte das auf eine echte Öffnung hindeuten, könnte dies die Möglichkeit für Obama sein, seine katastrophale Bilanz in Nahost auf einen Schlag in einen Triumph zu verwandeln. Zu dem Unwillen aus Israel wird er dabei aber auch mit erheblichem Widerstand der Hardliner zuhause rechnen müssen. Man kann nur hoffen, dass die Gegner dieser Annäherung nicht White House Down gesehen haben. In dem Film beginnt der Präsident ebenfalls Friedensverhandlungen mit dem Iran, woraufhin von der Rüstungsindustrie bezahlte Söldner das Weiße Haus angreifen und in seine Einzelteile zerlegen. Obama sollte sich jedenfalls auf einiges an Aufregung gefasst machen.

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