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Dieser Neurowissenschaftler will sein Gehirn auf einen Computer laden

Randal Koene beschäftigt sich intensiv damit, das menschliche Gehirn vollständig auf einen Computer zu übertragen. Dadurch würden wir quasi dem Tod ein Schnippchen schlagen.

Eine Darstellung aus Thomas Henry Huxleys „Evidence as to man's place in nature". Bild: Wellcome Trust | Wikimedia Commons | CC BY 4.0

Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, die Menschheit hat aufgehört, sich weiterzuentwickeln. Schon David Attenborough hat angemerkt, dass unsere Spezies die erste ist, die sich aus freien Stücken der natürlichen Auslese widersetzt und damit die Evolution links liegen lässt. Zusammen mit Steven Hawkings und Elon Musks Theorien über künstliche Intelligenz, die uns schon bald überlegen ist und zur größten Bedrohung wird, macht diese Tatsache nicht gerade Lust auf die Zukunft.

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Der Neurowissenschaftler Randal Koene hat jedoch die passende Antwort. Wieso werden wir nicht einfach selbst zu halben Robotern, anstatt Maschinen kalte und leblose Herrscher über uns werden zu lassen? Koene arbeitet gerade an einer kompletten Gehirnemulation. Er versucht, das Innere unseres Kopfes auf einen Computer zu übertragen. Durch ein Hirnabbild, das Begreifen der Mechanismen und das Umwandeln dieser Mechanismen in Code-Sprache könnten Menschen theoretisch ewig weiterleben.

Vor Kurzem habe ich mit Randal telefoniert und versucht, seine Ideen und Vorstellungen zu verstehen.

Randal Koene

VICE: Hi Randal. Wann kam dir zum ersten Mal der Gedanke, dein Gehirn auf einen Computer zu übertragen?
Randal Koene: Mit 13 habe ich Arthur C. Clarkes Buch Die sieben Sonnen gelesen. Die Handlung spielt in der fernen Zukunft und die Bevölkerung ist unsterblich. Ein riesiger Zentralrechner hält die Stadt am Laufen und ist in der Lage, Menschen zu erschaffen und zu zerstören, weil sie in Datenbänken gespeichert sind. Das war meine erste wundervolle Begegnung mit der Vorstellung, dass Informationen genau das sind, was uns, unsere Kreationen und unsere Gedanken von der Entropie im Universum unterscheidet.

Die Geschichte war damals besonders relevant für mich, weil ich mich wahnsinnig gerne mit allen Arten von kreativem Schaffen auseinander gesetzt habe. Das Frustrierendste war, keine Zeit mehr zu haben. Das war natürlich meinen eigenen begrenzten Fähigkeiten geschuldet—die beschränkte Geschwindigkeit der Gedanken und der Kreation und die eingeschränkten kognitiven und körperlichen Möglichkeiten.

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Wenn wir uns als Prozesse ansehen, die mit Informationen interagieren, dann ermöglichen wir es uns, diese Grenzen zu überschreiten. Wenn du dich quasi beliebig verbessern kannst, dann sprengt das alle Fesseln. Für die ausreichende Aufarbeitung solcher Gedanken und Wünsche habe ich ein paar Jahre gebraucht. Am Ende sind mir aber realisierbare Methoden eingefallen, die uns dieses Ziel erreichen lassen. Der Schlüssel ist ein sogenanntes „Substrate-Independent Mind" (SIM).

Was genau ist das?
Ein SIM ist nicht bloß eine künstliche Intelligenz, sondern eine Instanziierung eines bestimmten menschlichen Gehirns, das auf einen Computer geladen wurde. Neurowissenschaftler sind zu 99,9 Prozent davon überzeugt, dass das Gehirn ein Mechanismus ist. Es ist etwas, das Dinge berechnet und gewisse Funktionen hat. Wenn du weißt, wie es funktioniert, dann kannst du dafür auch einen Ersatz bauen. Die Vorstellung davon, dass man für einen kleinen Teil des Gehirns einen Ersatz bauen kann, ist nichts Neues und schon weit erforscht. Warum sollte das denn nicht auch mit dem kompletten Hirn funktionieren? Und warum sollten wir das Ganze dann nicht auf einen Computer übertragen, damit wir mehr Daten verarbeiten und besser speichern können? Wir organisieren unsere Gedanken in Ordnern und können so auf sie zugreifen, wann immer wir wollen.

Wenn wir in Zukunft unsere Gehirne runterladen können, werden dann hirnlose Körper für uns erschaffen? Oder pflanzt man uns dann in einem eher computerartigen Umfeld ein, zum Beispiel ein Roboter oder ein Android?
Es wäre schon spannend, einen virtuelleren Körper zu steuern, oder einen, der nicht für die Gegebenheiten auf der Erde, sondern für die Gegebenheiten im Weltall geschaffen ist. Ein Leben auf der Erde mit Sauerstoff wäre dann nicht länger nötig.

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Es geht hier nicht nur darum, wo wir leben, sondern auch, dass die biologischen Gründe für unsere Sterblichkeit verschwinden. Man könnte also Kunstprojekte oder Wissenschaftsprojekte starten, die die Lebenserwartung eines normalen Menschen eigentlich überschreiten würden.

Wie bildet man den Kern unseres Wesens ab? Wie übertragt man seine Identität in die Code-Sprache?
Das hat alles mit dem Konnektom zu tun, also der Art, wie sich Neuronen mit anderen Neuronen verbinden. Wenn du versuchst, eine Entscheidung zu treffen, dann verlagert sich deine Hirnaktivität von einem Bereich in einen anderen. Die Funktionsweise dieser synaptischen Verbindungen und ihre bestimmte Lage erschaffen bei dir eine gewisse Art der Erinnerung.

Die weit verbreitete Definition einer Erinnerung unterscheidet sich zu der wissenschaftlichen, die folgendermaßen lautet: „Eine vorhergegangene Handlung, die eine zukünftige Handlung beeinflusst." Das ist viel mehr als die Erinnerung an das Gesicht deiner Großmutter oder an deine vor zwei Minuten getätigten Aussagen.

Das alles beeinflusst, wieso ein Konzertpianist auf eine bestimmte Weise spielt oder warum eine Führungskraft eine bestimmte Entscheidung trifft. Dahinter stecken bereits gemachte Erfahrungen und ein angeborener, grundlegender Aufbau, der durch die DNA verursacht wird. Davon sind wirklich alle Aspekte deiner Persönlichkeit betroffen, also auch Charakteristiken, die dich definieren.

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Wird ein übertragenes Gehirn seiner selbst bewusst sein bzw. überhaupt ein Bewusstsein haben?
Ich glaube, dass alles, was sich bei uns manifestiert—also unsere ganze Gehirnaktivität und unsere Erfahrungen—, durch die Funktionsweise des Gehirns beeinflusst wird. Das beinhaltet auch die Eigenwahrnehmung. Wenn du deine Umgebung, deinen Charakter und deinen Körper wahrnimmst, dann ist das eine Erfahrung. Eine Erfahrung ist ein Mechanismus—eine Verarbeitung in deinem Gehirn. Wenn man nun also eine Kopie dieser Verarbeitung anfertigt, dann wird da meiner Meinung nach auch die Eigenwahrnehmung enthalten sein.

Ein humanoider Roboter. Foto: Jiuguang Wang | Wikicommons | CC BY-SA 3.0

Wie steht es um Dinge wie Humor oder Mitgefühl?
Wenn man eine exakte Kopie des gesamten Gehirns anfertigt und dabei auch die Bereiche berücksichtigt, die mit Emotionen zu tun haben, dann sollten da doch auch Sachen wie eben Humor oder Mitgefühl enthalten sein, oder? Dein SIM würde genau die gleichen Dinge lustig finden wie dein reales Ich. Ein Sinn für Humor ist nur eine bestimmte Art und Weise, die Aktivitäten in deinem Gehirn zu verarbeiten. Genau das Gleiche ist auch bei einem Konzertpianisten der Fall, der Beethoven auf eine gewisse Art und Weise spielt.

Wenn ich mein Gehirn auf einen Computer ziehe, könnten dieser Computer und ich dann Gedanken austauschen?
In der Zukunft könnte das schon möglich sein. Man bräuchte auf beiden Seiten ausreichend Zugang zu den Gehirnen, um einen Kanal zu schaffen—eine Art Funkverbindung zwischen einzelnen Neuronen-Gruppen. So schafft man es, dass das, was jemand anderes sieht, von den Neuronen des anderen Gehirns automatisch als Aktivität aufgefasst wird. Mit genügend Zugang ist so etwas möglich, und darum geht es in meinem Projekt im Grunde auch—Zugang erhalten.

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Was steckt hauptsächlich hinter deinem Wunsch, dein Gehirn abzuspeichern?
Hauptsächlich ist das mein Glaube daran, dass eine bessere Anpassungsfähigkeit für die Menschen individuell und im Kollektiv von großem Nutzen ist. Unsere Informationstechnologie entwickelt sich in eine Richtung, in der riesige Datenmengen verarbeitet werden, die zwar von Maschinen verstanden werden können, von uns aber nicht.

Irgendwann werden wir uns mit einer anderen Lebensform messen müssen—das kann eine künstliche Intelligenz, irgendeine Alien-Spezies oder eine von uns schlauer gemachte Tierart sein. Wenn es mal eine andere Lebensform geben sollte, die selbstständig denkt, sich Ziele setzt und ihre Umgebung dementsprechend verändert, dann beeinflusst das auch unsere Umwelt. Wenn wir darauf mit einer Anpassung reagieren können, dann kann das nur positive Folgen haben.

Ein humanoider Roboter beim Tischtennis spielen. Foto: Humanrobo | Wikicommons | CC BY-SA 3.0

Wie würde sich die Existenz außerhalb eines menschlichen Körpers auf das Sexleben und die Fortpflanzung auswirken?
Ich denke, dass wir immer noch Nachwuchs haben und neues Leben erschaffen wollen, das in irgendeiner Weise von uns abstammt. Manchmal ist dafür die sexuelle Fortpflanzung der richtige Weg, aber es gibt vielleicht auch andere interessante Methoden, um auf kreative Art und Weise mit anderen Menschen zusammen ein neues Wesen mit neuen Eigenschaften und neuen körperlichen Formen zu kreieren. Ich schätze mal, dass uns da viel Forschung und viele neue Entdeckungen bevorstehen.

Ich denke auch, dass wir immer noch die zwischenmenschlichen Verbindungen erleben wollen, zum Beispiel Verbundenheit, intime Gefühle oder geteilte Freude—einfach mehr als unsere normalen Gedanken und Empfindungen. Durch unsere Forschung werden wir wahrscheinlich noch viel mehr Wege finden, das zu erreichen. Normaler Sex wird so nur noch eine von vielen Optionen sein. Meiner Meinung nach passiert das in gewisser Weise schon jetzt.

Ich bezweifle, dass Sex und Fortpflanzung im allgemeinen Sinne wegfallen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass eine dynamische und anpassungsfähige Spezies einfach nur weitere Varianten dieser beiden Dinge entdecken wird.

Wie lange wird es noch dauern, bis das erste Gehirn auf einen Computer übertragen wird?
Mit einem Wurm-Hirn ist das bereits geschehen, aber die arbeiten auch ganz anders als die Gehirne von Säugetieren. Ich glaube, dass es in zehn Jahren möglich sein wird, das Wesen einer Fruchtfliege auf einen PC zu übertragen. Für das menschliche Gehirn kann man da nur schwer eine Prognose abgeben, aber ich hoffe, dass das noch zu meiner Lebzeit passiert.

Vielen Dank für das Gespräch, Randal.