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Kultur

Ist die Flüchtlingsproblematik ein Versagen der Bilder?

Die IS hat mit Schuld, dass im Westen Flüchlinge nicht mit offenen Armen empfangen werden.

Foto von Robert King aus der VICE Syrien-Ausgabe

Der Medienlogik des 21. Jahrhunderts folgend wird der Kampf um die Meinungshoheit in Sachen Flüchtlinge hauptsächlich online und dort dann mit Bildern ausgetragen. Während sich beim Ausspiel-Kanal in den letzten Jahren einiges verändert hat, bleibt die Art, wie kommuniziert wird relativ gleich. Schon im Stürmer wurden Juden wahlweise als blutrünstige Monster oder geldgierige Kreaturen gezeichnet. Aber erst die dazugehörige Headline „Die Weltverschwörer" machte die Hetze perfekt.

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Heute heißt das ganze Meme, ist aber nicht weniger radikal. Im Gegenteil. Während früher Propaganda recht eindeutig als solche zu erkennen war, muss man bei der 2015er-Version oft genauer schauen. Meistens werden Fotos verwendet und so mit unserem Medienverständnis aus dem letzten Jahrhundert automatisch als Abbild der Realität erkannt. Dass die auch lügen können, wissen wir zwar, aber trotzdem hinterfragen wir Fotos kaum. Was dabei rauskommt, kann man an der

Geschichte rund um eine vorschnell verurteilte „Sozialschmarotzerin"

sehen. Das

Foto vom Saustall im Flüchtlingslager

, das von diversen Facebook-Accounts immer als das jeweils lokale Flüchtlingslager verkauft wird, ist ein weiteres Beispiel.

Trotzdem sind das Internet und die Titelseiten der Boulevardzeitungen voll mit diesen Geschichten. Es ist eine Art Teufelskreis: Menschen sharen diese Art der Negativberichterstattung, weil sie sich dadurch in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen—und bestätigen damit andere Menschen in deren Vorurteilen. Revolverblätter reproduzieren diese Bilder, weil ihr Aufgabe die Quote und nicht Aufklärung ist. So entsteht das Bild des dreckigen und faulen Flüchtlings, der undankbar ist und nur nach Österreich kommt, weil er es sich hier gemütlich machen kann.

Die meisten Asylwerber, so der Vorwurf, seien Wirtschaftsflüchtlinge. Foto von Hanna Herbst.

In der Theorie gibt es zwar auch den guten Flüchtling, der alles verloren hat (ganz wichtig: das Handy) und der völlig ausgemergelt, traumatisiert und in seiner Heimat im besten Fall auch noch mit dem Tod bedroht ist. Diese Sorte von Bittstellern ist selbst die FPÖ in ihrer grenzenlosen Güte bereit aufzunehmen, wie auch Strache im Sommergespräch betont hat, aber in der Realität der Rechten fällt kaum jemand in diese Kategorie. Der überwiegende Großteil der Asylwerber sind in den Augen eines breiten Teils der Bevölkerung Wirtschaftsflüchtlinge, die sich von Europa einen höheren Lebensstandard erhoffen und dementsprechend keine Berechtigung besitzen, hier ihr Glück zu versuchen. Dass die Logik dahinter ziemlich kaputt ist und wir genau diese arbeitswilligen Zuwanderer dringend bräuchten, ist eine andere Geschichte. Der Knackpunkt der aktuellen Debatte besteht vielmehr in der Überzeugung, es handle sich bei den Menschen in Traiskirchen um „Asylbetrüger"—was auch immer daran Betrug sein soll, einen Antrag zu stellen, der entweder abgelehnt oder bewilligt wird. Der Punkt ist: Wenn wir keine Ahnung von der Situation im Heimatland der Flüchtlinge haben, fehlt uns nicht nur die Leidensgeschichte, sondern auch die Empathie mit den Betroffenen. Ohne Bilder von der Katastrophe kann in den Augen der heimischen Bevölkerung alles nicht so schlimm sein. Ein bisschen muss hier selbst der klassische Ausländerfeind in Schutz genommen werden, denn dieses Verhalten ist auch erlernt. Bei jeder größeren Katastrophe wurden uns bisher die Bilder der Tragödie quasi live mitgeliefert. Vom Jahrhunderthochwasser über den Tsunami, der Thailand verwüstet hat—überall waren die globalen Medien-Outlets sofort zur Stelle und haben dem Erregungszirkel folgend draufgehalten, bis niemand in der westlichen Welt die Bilder mehr sehen konnte. Dasselbe gilt für die großen Kriege der letzten 100 Jahre. Die Fotos der befreiten KZs werden wir genauso wenig vergessen wie die Bilder des Vietnamkriegs.

Das klingt sehr zynisch, aber es hat noch nie seine Wirkung verfehlt: Menschen in Not rühren uns und bringen die westliche Welt dazu aktiv zu werden. Aktionen wir Nachbar in Not basieren einzig und allein darauf, Mitgefühl in uns zu erwecken. Mit den passenden Bildern wird hier die Bibel oder Kant bemüht: Hilf Menschen, weil du ja auch willst, dass dir jemand hilft, wenn es dir scheisse geht. Dazu kommt, dass mit dem Wort Nachbar klar wird: Der Horror ist nicht weit weg, es hat die nächste Nähe getroffen. Das heißt im nächsten Gedankenschritt: Es kann dir auch leicht passieren. Beim Krieg in Syrien und im Irak fehlt aber das alles. Zuerst ist der Nahe Osten nur dem Namen her nahe. Dann ist unserem alten Denkmuster folgend dort nicht einmal im eigentlichen Sinne Krieg. In Syrien herrscht zwar Bürgerkrieg, weshalb Syrer auch derzeit diejenigen sind, denen tatsächlich der Asylstatus gewährt wird. Aber weil der Irak laut George W. Bush befriedet ist und selbst Obama die Truppen abzieht, herrscht dort der landläufigen Meinung nach Frieden—zumindest, soweit es uns betrifft. Den Rest sollen sich die Syrer bitteschön mit sich selbst ausmachen, ist der Unterton, der bei diesem Gedanken immer mitschwingt.

„Die Terrormiliz IS macht den Landstrich zu einem zweiten Nordkorea—aber mit einer deutlich besseren PR-Abteilung."

Dazu kommt, dass sich kaum mehr Journalisten in das riesige IS-Gebiet trauen. Die Terrormiliz setzt alle bisher geltenden Konventionen außer Kraft und macht den Landstrich so informationstechnisch zu einem zweiten Nordkorea—aber mit einer deutlich besseren PR-Abteilung. Außer der eigenen Propaganda dringen kaum Nachrichten an die Außenwelt. Die Schreckensvideos von Enthauptungen sind zwar unendlich grausam, aber sie vermitteln doch nur das Bild von drakonischen, aber—so absurd es auch klingen mag—fairen Strafen. Und die Werbung der Terrororganisation beginnt schon beim Namen. Die IS tut so, als sei sie keine Terrororganisation, sondern tatsächlich ein Staat. Weil wir keine Ahnung davon haben, wie schlimm es in den Regionen der islamischen Terroristen ist, entwickeln wir nur wenig Verständnis für die tragische Situation der Flüchtlinge. Natürlich ist das keine Ausrede für mangelnde Hilfsbereitschaft, sondern maximal eine Erklärung für die aktuell erschreckende Stimmungslage. Aber solange es die Medien nicht schaffen, ein Bild der tatsächlichen Lage zu produzieren, das uns als Menschen anspricht, wird sich die weitläufige Meinung vom Asylanten als Wirtschaftsflüchtling auch nicht ändern.