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Chinesische Fußballfans sind verrückt nach der deutschen Nationalmannschaft

Nicht nur hier drehen alle durch, weil wir Weltmeister sind. Auch die Chinesen sind dem Schland-Fieber verfallen.

Fotos von Darcy Holdorf

Deutschland ist das beliebteste internationale Fußballteam in China. Neben den Dingen, die einem sofort ins Auge stechen—ganze Gruppen von Anwohnern laufen in billig nachgemachten Shirts durch Shanghai—wissen wir das wegen einer Studie, die zu Beginn des Jahres veröffentlicht wurde, und weil chinesische Social-Media-Nutzer während der Weltmeisterschaft kein anderes Team mehr anfeuern.

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Die Studie, die vom Center for the International Business of Sport der Coventry Universität (CIBS) durchgeführt wurde, hat außerdem herausgefunden, dass Arsenal der beliebteste Club in China ist. Die ganzen Shirts, das Fanbild von einem stoischen Lukas Podolski auf einem Pferd, das überall in sozialen Netzwerken die Runde macht, und die Tatsache, dass Shanghai jedes Mal total ausrastet, wenn ein Spiel von Arsenal im Fernsehen läuft, sind da mehr eine Zugabe.

Letzten Freitag habe ich, bevor ich zum Deutschen Zentrum im Pudong-Viertel von Shanghai gefahren bin, um mir Jogi Löws Team im Viertelfinale gegen Frankreich anzugucken, von Professor Simon Chadwick, Direktor des CIBS, einen Einblick in diese Kontinenten übergreifende Unterstützung bekommen. Er sagte: „Der gemeinsame Nenner sind die drei Spieler Özil, Mertesacker und Podolski. Besonders Özil ist interessant, weil er unter bestimmten Fans in China eine richtige Ikone zu sein scheint.”

Er ist vielleicht eine Ikone, aber ich wusste immer noch nicht, warum. Wieso ziehen chinesische Fans den deutschen Mittelspieler, sagen wir mal, Zhao Xuri vom Guangzhou FC oder Andrea Pirlo aus Italien vor? Gibt es diese Solidarität, weil sowohl Deutschland als auch China in ihrer Region die größten Wirtschaftsmächte sind? Oder liegt es daran, dass Chinas Nationalteam durchgehend furchtbar ist und sich nur ein einziges Mal, 2002, für die Weltmeisterschaft qualifizieren konnte?

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„Weil ihr eigenes Team so erfolglos ist, suchen chinesische Fans woanders nach Ruhm und Erfolg,” so Professor Chadwick. „Auch in anderen Bereichen orientieren sich Chinesen oft an westlichen Marken, wenn es darum geht, was sie konsumieren. Fußballmannschaften sind in diesem Zusammenhang einfach eine anderes Produkt aus dem Westen.”

Wenn Deutschland eine Marke ist, ist der 34-jährige Feng Jiong Lin ein richtiggehender Anteilseigner, der sich alles von dem Team kauft, was überhaupt nur möglich ist. Als ich ihn beim Bus zum Spiel getroffen habe, sah er aus, als hätte man aus den Bestandteilen eines Deutschland-Fanartikelstands zusammengesetzt.

Er erklärte mir, dass er bereits seit 24 Jahren ein Fan des Teams ist, während er seine Flagge und die riesige Trommel beiseite legte, um mir die deutsche Flagge über die Wangen zu malen.

„Ich habe bei der Weltmeisterschaft 1990 angefangen, sie zu unterstützen; mein Vater hat mich dazu gebracht,” sagte er, bevor er mir seine eigene Theorie unterbreitete, warum Deutschland in seinem Land so beliebt ist: “Chinesische Mädchen finden insbesondere seit den letzten paar Jahren, dass Deutsche sehr gut aussehen.”

Fengs Frau Song Jie, eine 34-jährige Wirtschaftsjournalistin, zeigte mir stolz zwei Familienfotos, von denen eines aktuell war und das andere während der Weltmeisterschaft 2010 aufgenommen wurde. „Ich habe Angst, dass mein Mann nicht damit umgehen kann, wenn Deutschland verliert,” sagte sie mit gesenkter Stimme. „Aber ich liebe es mit jemanden zusammen zu sein, der so verrückt nach dem Team ist. Bei der Übertragung wirst du seine Liebe und Leidenschaft für sie mitkriegen. Wenn du das siehst, wirst du auch anfangen ihn zu lieben.”

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Wir gaben diesem Mann alle 150 Yuan (ungefähr 18 Euro), als wir am Deutschen Zentrum ankamen—er hatte einfach ein Gesicht, dem man vertrauen kann.

In der Gebühr inbegriffen war die Übertragung des Spiels, Snacks und Bier, das in diese extra angefertigten Krüge gefüllt wurde, während man diese extra angefertigten Deutschland-Blumenketten trug. Sagt was ihr wollt über ihre Comedians, die Bürokratie und Rapmusik, aber Deutschland weiß auf jeden Fall, wie man eine Nacht voller durchorganisiertem Spaß hat.

Das ist Yang Houging, eine 29-jährige Verkäuferin, die über 160 Kilometer aus Changzhou angereist ist, um sich das Spiel in Shanghai anzugucken. „Ich mag die Stärke, die sie ausstrahlen,” sagte sie. „Die chinesischen Fans sagen, dass sie ihre Nationalmannschaft unterstützen, aber die schlagen sich nicht so gut, deshalb suchen sich die Fans Entspannung, Freude und Befriedigung bei anderen Teams."

Sie fügte hinzu, dass ihr aktueller Lieblingsspieler Bastian Schweinsteiger ist, dessen Spitzname in China „kleines Schweinchen” ist. „Ich verfolge seine Spiele seit 2005—wir sind gleich alt,” erklärte sie. „Es ist so, als würden wir zusammen aufwachsen und älter werden—als würde er mir auf meinem Weg Gesellschaft leisten.”

Nachdem wir damit fertig waren, die theoretische Beziehung zu diskutieren, die Yang seit neun Jahren mit Bastian hat, war es an der Zeit, sich für die Nationalhymne aufzustellen. Fengs Leute legten ihre Arme übereinander, umklammerten stolz die Fahne und bewegten ihre Münder ein bisschen, als „Das Lied der Deutschen” aus den Lautsprechern dröhnte.

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Es war ziemlich bizarr, diese Gruppe bei einem Moment nationaler Ergriffenheit für ein Land zu beobachten, das sie noch nie besucht haben.

Ich musste nicht lange warten um zu begreifen, was Song Jie mit der Leidenschaft ihres Mannes für die deutsche Seite gemeint hat. Als der Kopfball von Mats Hummels sie mit einem Tor in Führung gehen ließ, löste er eine Welle aus Flaggen-Gewinke und manischem Getrommel aus, bei der Feng und die anderen Fans komplett die Kontrolle über sich verloren.

Trotz dem Vorlauf hätte ich nicht gedacht, so starke Emotionen zu sehen. Ich dachte, dass die Coventry Studie und die ganze Unterstützung auf den sozialen Netzwerken vielleicht einfach auf eine Marotte von 2014 hinwiesen—ein Land, dass ein solides, verlässliches Team unterstützt, weil ihre eigene Mannschaft nicht präsent ist. Aber so gut wie jeder, mit dem ich gesprochen habe, sagte mir, dass sie Deutschland bereits seit Jahren unterstützen, manchmal seit Jahrzehnten, während sie sich mit verschleierten Augen daran erinnerten, wie sie das erste Mal Kahn, Klinsmann, Brehme, Matthäus und die anderen im Fernsehen sahen. Die Meisten sagten, dass sie auch Mannschaften aus der Bundesliga unterstützen.

Dieser Typ, Jin Keng, ein 35-jähriger Beamter, hat mich während des Spiels beiseite genommen, um mir Bilder von dem Amateurteam zu zeigen, für das er spielt. Ihr Mannschaftsoutfit ist das komplette deutsche Trikot—mit Socken und allem drum und dran.

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„Die Meisten von uns mögen Bayern München,” sagte er. „Ich unterstütze sie und Deutschland seit 1990. Deutschland-Fans sind sehr loyal. Wenn sie heute Abend verlieren, werde ich weinen. Ja, richtige Tränen.”

Die letzten zwanzig Minuten waren angespannt, weil Frankreich kurz davor war, ein Tor zu machen und damit allen das Wochenende zu versauen. Aber Deutschland stand es durch und sicherte sich den Platz fürs Halbfinale, womit sie Rufe der Erleichterung auslösten.

Zuvor hatte mir Professor Chadwick erzählt: „Chinesische Fans sind bei ihrem Konsumverhalten anspruchsvoller, als wir es vielleicht denken würden. Sie haben sich Deutschland aus bestimmten Gründen ausgesucht.”

Als ich die Fans gefragt habe, was genau ihre Gründe waren, wurde mir ein allgemeiner Mix aus „Stärke”, „Disziplin” und „großartige Taktik” angeboten. Und es fiel mir schwer, dem zu widersprechen: Deutschland mag vielleicht nicht die Attitüde oder die Schönheit von dem haben, was Südamerika—und sogar ein paar europäische Teams—zu bieten haben, aber sie sind verlässlich und wenn du jede Menge Geld und Zeit in ein Land investierst, dass 8000 Kilometer weit entfernt liegt, willst du dich zumindest darauf verlassen können, dass sie es bis ins Halbfinale schaffen.

„Meine Aufgabe ist es, mit der Trommel für eine gute Atmosphäre zu sorgen, in der jeder zu uns stoßen und die Nationalmannschaft unterstützen kann,” sagte Feng, als uns der Shuttlebus vom Deutschen Zentrum wegbrachte. „Ich kann nicht nach Deutschland reisen, deswegen bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Lieblingsmannschaft von hier aus zu unterstützen. Ich bin stolz darauf, ein Deutschland-Fan zu sein, der andere anführen und für etwas begeistern kann.”

Jamie Fullerton ist freier Journalist und hat bereits für die Times, die Sunday Times, den Independent und andere Publikationen geschrieben.