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Dieses Kunstwerk in Pakistan wird kein Mitleid bei Drohnenpiloten erregen

Banksy trifft auf Kony 2012— #NotABugSplat ist pures, ungestrecktes Internet-Heroin.

(Foto via notabugsplat.com)

Gestern wurde auf vielen Kanälen über ein öffentliches Kunstwerk im Norden Pakistans berichtet. Auf Fotos sieht man ein Feld bzw. ein ländliches Gehöft, auf dem das riesige Porträt eines jungen Mädchens zur Schau gestellt wird. Die Installation ist Teil des Projekts #NotABugSplat. Saks Afridi, der PR-Verantwortliche des Projekts, gab bekannt: „Bisher sind wir ein Künstlerkollektiv aus Pakistan, den USA und Frankreich“. Vorläufig möchte er nicht spezifizieren, wer noch involviert ist. Bei dem französischen Beteiligten soll es sich Berichten zufolge um JR handeln, den du vielleicht durch seine rührend menschenfreundliche Kunst oder von seinem zuckersüßen TED-Talk kennst. The Verge schrieb treffend, dass #NotABugSplat letztlich Menschen zeigt, die zusammenkommen und sagen: „Wir existieren.“ Kurz gesagt: Es ist, als ob Bansky auf Kony 2012 trifft. Was wir hier vor uns haben, ist pures Internetheroin. Die Idee hinter dem Ganzen ist, durch Kunst die Perspektive der Drohnenpiloten zu verändern. In das Gesicht eines Kindes statt auf das gewöhnliche Google-Earth-Bild zu blicken, soll Menschen wachrütteln. Wahrscheinlich wird der Pilot am entlegenen Endgerät von Empathie überwältigt aufstehen und ein für alle Mal aus dem Drohnenprogramm aussteigen. Das erscheint dir zu optimistisch? Vielleicht soll das Bild auch nur bewirken, dass der Drohnenoperateur zu abgelenkt ist, um auf das kleine Kind zu zielen, das er gerade abschießen wollte. Oder dass er dazu ermuntert wird, sich ganz besonders viel Mühe zu geben, diesmal keine kleinen Kinder zu erschießen.

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Aber im Ernst: In Wirklichkeit richtet sich das Bild nicht an Drohnenpiloten, sondern an uns, das Internet. Afridi schrieb mir in einer E-Mail, dass das Kunstwerk „vor ungefähr zwei Wochen von Dorfbewohnern in der KPK-Provinz ausgelegt worden war“, inzwischen aber mit höchstwahrscheinlich wieder entfernt wurde. „Das Kunstwerk wurde liegen gelassen, bis [die Dorfbewohner] beschlossen, das Material für Dächer und andere nützliche Zwecke zu verwenden“, schrieb Afridi. Das Bild wurde—und das ist kein Vorwurf—auf Material gedruckt, das die Dorfbewohner ohnehin brauchten. „Das Kunstwerk sollte weiterverwendet werden und nicht einfach weggeworfen werden, nachdem es fotografiert wurde“, schrieb er weiter. Aber auch während sich das Bild auf dem Feld befand, hat es wahrscheinlich nicht viele Piloten davon abgehalten, über Khyber Pakhtunkhwa, wo das Kunstwerk ausgestellt war, zu patrouillieren. Uns erzählte der Drohnenexperte Jack Serle, dass Drohnen normalerweise andere Gegenden in Pakistan ins Visier nehmen, zum Beispiel den Norden und Süden von Waziristan, Gegenden, in die Außenstehende nicht einfach hineinkommen und ein Kunstwerk ausrollen können. Es gibt durchaus Drohnenangriffe in Khyber Pakhtunkhwa, und das Mädchen auf dem Bild ist durch einen solchen Angriff angeblich zum Waisenkind geworden. Da die meisten Angriffe hunderte Meilen entfernt stattfinden, scheint es sich bei der Aktion allerdings eher um eine symbolische Geste als um einen ernsthaften Versuch zu handeln, Drohnenoperateure zum Umdenken zu bewegen.

Außerdem ist da die Sache mit der Bezeichnung „Bug Splats“, die im Hinblick auf die getöteten Menschen verwendet wird. Man hat sich bereits an den unglücklichen Ausdruck gewöhnt, der sich eigentlich auf die anvisierte Fläche bezieht und eingeführt wurde, um die Ungenauigkeit der Fernangriffe zu kritisieren. Auf Notabugsplat.com heißt es: „Operateure von Kampfdrohnen bezeichnen Vernichtungen oft als ,Bug Splats‘, da der Leichnam auf einem körnigen Videobild an einen zerdrückten Käfer erinnert.“ Was falsch ist. Es liegt mir fern, unsere moralische Empörung angesichts des Einsatzes von Kampfdrohnen in Frage zu stellen. Gleichzeitig hoffe ich aber, dass wir die Soldaten, die als Drohnenpiloten arbeiten, nicht zu Feindbildern erklären. Es stimmt, dass Drohnen Waffen sind, die dem Angreifer noch mehr Sicherheit als ein Gewehr oder ein Schwert gewährleisten. Und in der Tat werden durch Drohnen weit mehr Zivilisten getötet als durch Gewehre.

Dennoch sind die Piloten mit den Joysticks in der Hand Menschen mit Namen und Gesichtern. Auch wenn ich lieber in der Rolle des Piloten wäre als in der des Dorfbewohners, der dem Kugelregen ausweichen muss, ist es nicht so, dass Drohnenpiloten einfach Space Invaders spielen. Sie müssen das Kommen und Gehen an einem Ort stunden- oder gar tagelang beobachten, den Menschen, auf die sie letztendlich zielen, dabei zusehen, wie sie Zigarettenpausen machen, herumstehen und sich unterhalten. Nancy Cooke, Professorin für Kognitionswissenschaften am College für Technologie und Innovation der Arizona State University, äußerte vor ein paar Monaten gegenüber Livescience.com, dass die emotionale Belastung von Drohnenpiloten auf diese eingehenden Beobachtungen zurückzuführen sei. Die Air Force berichtet, dass Drohnenpiloten im Vergleich zu Soldaten, die Kämpfe vor Ort erleben, zu zwei Dritteln weniger unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Dennoch sind sie ebenfalls von PTBS betroffen, was wahrscheinlich daran liegt, dass sie keine Psychopathen sind. Wir können stolz darauf sein, dass wir in der Lage sind, die Opfer von Drohnenangriffen als Menschen zu identifizieren. Vielleicht bringt es etwas, Piloten durch Kunst zu ermahnen, keine Kinder zu töten. Dennoch sollten wir uns nicht allzu überlegen fühlen. Das Narrativ von emotional abgestumpften und unmenschlichen Drohnenpiloten, die tote Menschen als zerfetzte Käfer wahrnehmen, ist für ein überzeugendes Kunstprojekt nicht notwendig. „Wir hoffen, noch ein Dutzend weitere Installationen auf die Beine zu stellen“, schrieb Saks. Ich hoffe sehr, dass der Plan in die Tat umgesetzt wird und etwas Gutes bewirkt.