Was Heteros von uns Homos lernen können – Eine unvollständige Liste

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Sex

Was Heteros von uns Homos lernen können – Eine unvollständige Liste

Über Sexdates, Slutshaming und das Ende der Monogamie.

Foto: Flickr | MandoBarista | CC BY-SA 2.0

Jeder Mensch ist lernfähig, auch Heterosexuelle! Und es gibt noch viel zu tun. Vor Kurzem veröffentlichte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Umfrage über die Einstellungen der Deutschen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen. Das Ergebnis: Deutschland ist zwar für die Ehe für Alle, hat aber immer noch ein Problem damit, wenn sich homosexuelle Paare in der Öffentlichkeit küssen. Anders als viele unserer Mitbürger sind wir aber tolerant und geben den Heterosexuellen trotzdem eine Chance. Wir zeigen euch, was ihr von uns lernen könnt.

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1. Sexdates können auch unkompliziert sein

Wenn mir langweilig ist, dann habe ich Sex. In der schwulen Welt nichts Ungewöhnliches. Einen Fick auszumachen, ist ohnehin nicht (mehr) besonders schwierig: Handy raus, App an, ein paar Leute anschreiben, die nötigsten Informationen (aktiv, passiv, dies, das) austauschen, Fotos mitschicken – zack, fertig: Sexdate. Langwierige und verkrampfte Gespräche, ein erstes Kennenlernen in einer Bar? Viel zu umständlich! Warum so viel Zeit verschwenden, wenn es auch einfacher geht? Tür auf, Hose runter und los! Macht euch locker, liebe Heteros: Er will Sex, sie will Sex, wo ist das Problem? Anstatt Interesse für die andere Person vorzuheucheln, könnt ihr auch direkt miteinander ins Bett. Und den Frauen sei gesagt: Lasst euch nicht einreden, dass einmaliger Sex nichts für euch ist. Von niemandem! Experimentiert! Probiert euch aus! Lernt, was ihr mögt und was nicht. Macht euch frei von gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen! Sex braucht nicht immer Gefühle, es reicht, wenn ihr Lust dazu habt.

Schwule Apps waren schon lange vor den Hetero-Apps auf dem Markt. Grindr kam 2009 heraus, Scruff 2010. Erst zwei Jahre später folgte Tinder für Heteros. Im Grunde funktionieren Grindr und Scruff ziemlich ähnlich: Per GPS kannst du bis auf den Meter genau sehen, wer sich gerade in deiner Umgebung befindet und Kontakt aufnehmen. In Sachen (Sex-)Date kann es also ziemlich schnell gehen. Aber es gibt auch Schattenseiten – vor allem, wenn du in einem Land wohnst, in dem homosexuelle Handlungen verfolgt und bestraft werden. Human Rights Watch berichtete vor einiger Zeit von homophoben und gewalttätigen Übergriffen in Russland: Schlägertrupps machten per App Jagd auf Homosexuelle, indem sie per Fake-Profil gezielt nach schwulen Jungs in ihrer Nähe Ausschau hielten, diese dann verfolgten und erniedrigten und misshandelten. Wegen dieser Taten schaltete Grindr in Ländern wie Russland, Ägypten, Saudi-Arabien, Nigeria, Liberia, Sudan und Zimbabwe die Entfernungsanzeige in den User-Profilen ab.

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2. Slutshaming ist nicht schwul

Ein ausschweifendes Sexleben ist in der Homo-Welt vollkommen OK. In der Hetero-Welt gilt das jedoch nicht uneingeschränkt: Männer, die viel Sex haben, sind Frauenhelden; Frauen, die sich ähnlich sexuell ausleben wollen, Schlampen. "Slutshaming" ist in unserer Gesellschaft überall spürbar. Melania Trump kann ein Lied davon singen: Nach dem Wahlsieg ihres Mannes gingen Fotos von ihr um die Welt. Sie hatte es als Model gewagt, sehr freizügig vor einer Kamera zu posieren. So eine soll First Lady des mächtigsten Landes der Welt werden? Unglaublich! Unerhört! Welch eine Schande! Haha, Amerika.

Eine 24-jährige Freundin erzählte mir allen Ernstes, wie geschockt ihr letzter Freund, mit dem sie immerhin zwei Jahre zusammen war, reagierte, als er erfuhr, dass sie in ihrem Leben mit mehr als 20 Männern geschlafen hatte. (Randnotiz: Er selbst hatte mit über 50 verschiedenen Frauen Sex.) Und Männer sind dabei nicht die einzigen, die sie verurteilen: Sie erzählt auch, dass gleichaltrigen Frauen sie als "Schlampe" bezeichnen. Die Frage, ob und wie viel Sex du haben darfst, hängt ganz offensichtlich damit zusammen, ob du einen Penis hast oder nicht: Männer dürfen Sex haben, Frauen nicht. So einfach ist das! Eine Frau muss enthaltsam sein und darf ihre Lust nicht offen zeigen. Das müsst ihr ändern: Es ist vollkommen egal, mit wie vielen Leuten ihr Sex habt, solange es Spaß macht (hier erfahrt ihr, wie ihr damit auf der sicheren Seite bleibt).

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3. Monogamie kann, muss aber nicht

Machen wir uns nichts vor: Die traditionelle, monogame Beziehung ist ein Auslaufmodell. Auch die Ehe verliert immer mehr an Bedeutung: 2015 haben in Deutschland gut 400.000 Menschen geheiratet, in den 1950ern waren es noch doppelt so viele. Im Osten Deutschlands planen 41% der Männer, nie zu heiraten. Und: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 170.000 Ehen geschieden (Im Jahr 1970 waren es nur rund 76.000). Jede dritte Ehe, so die Schätzungen, geht irgendwann kaputt. Der wichtigste Trennungsgrund: Untreue. Experten sprechen gar davon, dass 90 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal fremdgehen. Wäre es in diesem Kontext nicht endlich an der Zeit, das Konzept einer monogamen Partnerschaft zu überdenken? Die experimentierfreudige, schillernde Homo-Welt zeigt euch doch, dass es auch anders geht: Drei meiner Freunde, alle zwischen 19 und 23, führen seit einigen Monaten eine Dreierbeziehung. Zwei der beiden leben zusammen und obwohl man denken könnte, der Dritte fühle sich ausgeschlossen, ist das nicht der Fall. Ihre Urlaube verbringen die Drei gemeinsam. Anfangs habe auch ich nicht verstanden, wie das gehen soll (Wer hat wann mit wem Sex? Gibt es da einen Wochenplan? Oder immer nur Sex zu dritt?). Aber es klappt, auch bei den Dreien spielt Eifersucht keine Rolle mehr. Sie sind glücklich – das ist alles, was am Ende zählt. Und wo bitte ist festgelegt, dass Liebe nur zwischen zwei Menschen existieren kann? Eben, nirgends.

Timo und Leon sind 35 und 36 und führen seit Jahren eine offene Beziehung. Sie gestehen sich gegenseitig Freiheiten und sexuelle Abenteuer zu. Sie haben Sex miteinander, aber eben auch mit anderen Partnern. Die beiden sind keine Partyhengste, sondern führen ein relativ ruhiges Leben mit Barbesuchen und Kinoabenden. Aber sie nutzen weiterhin Grindr und lernen getrennt voneinander neue Typen kennen. Mit ihren jeweiligen Lovern (die in der Regel deutlich jünger sind) und Dates verbringen die beiden auch getrennt voneinander viel Zeit. Leon war mit einem seiner Lover sogar eine Woche zusammen im Urlaub auf den Kanaren. Eifersucht spielt in ihrem Leben schon lange keine Rolle mehr. Ihre Beziehung findet auf einer anderen, sehr viel tieferen, stabileren und vielleicht auch wahrhaftigeren Ebene statt. Gerade weil sie sich persönliche und sexuelle Freiräume zugestehen, scheinen sie in ihrer Beziehung besser zurechtzukommen als andere, monogam lebende Paare. Nächstes Jahr feiern sie ihren 10. Jahrestag. Keine Frage, monogame Zweierbeziehungen sind natürlich nicht grundsätzlich schlecht. Aber: Wir sollten uns stets bewusst machen, dass es noch andere, gleichwertige Möglichkeiten des Zusammenseins gibt.

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4. Schwule Partys sind nicht nur für Schwule

Lieber Hetero-Mann: Warst du schon mal auf einer Gay-Party? Keine Sorge, ich kann dich beruhigen: Kein Homo wird dort über dich herfallen (es sei denn, du siehst aus wie Nick Jonas, dann garantiere ich für nichts). Und selbst wenn du von anderen Männern angemacht werden solltest, ist das kein Problem: Nimm es als Kompliment!

Eine Gay-Party ist letztlich wie jede andere Party auch – nur lockerer und ohne Diskriminierung: Tanzen neben Drag-Queens? Sex im Darkroom? Alles kein Problem. Eine LGBTQ-Party ist ein safe space, in dem du so sein kannst, wie du willst, ohne dass du befürchten musst, von anderen dumm angemacht zu werden. Es ist ganz egal, wer du bist, wie du aussiehst oder woher du kommst – niemand wird ausgegrenzt! Und Protipp: Viele Schwule werden von ihren besten Freundinnen (die in der Regel hetero sind) auf die Party begleitet.

5. Versuch doch mal was Anderes

85 Prozent aller Modeschöpfer sind homosexuell. Ihr könnt noch so hetero sein. Eure Kleidung war es nie. Stefano Gabbana, Jean-Paul Gaultier, Yves Sant Laurent, Wolfgang Joop (zumindest bisexuell), Tom Ford, Giorgio Armani – sie alle haben eine Gemeinsamkeit: Sie stehen auf Männer. Und auch wenn der Letztgenannte ein merkwürdiges Verhältnis zu seiner eigenen Sexualität aufweist – ohne uns gäbe es keine Modeindustrie! Und ich will mir gar nicht erst ausmalen, wie eine Welt aussähe, in der heterosexuelle Männer alleine Mode entwerfen müssten.

Der Grund dafür, warum es vor allem LGBTQ-Menschen sind, die neue Trends setzen, liegt auf der Hand: Wer sich sowieso schon von der Masse abhebt, ist es gewohnt, sich offen und ungezwungen mit Neuem und bisher Unbekanntem auseinanderzusetzen. Und: In einer Welt, in der Homosexualität lange Zeit tabuisiert wurde, erforderte es von jedem Einzelnen jede Menge Kreativität, um zurechtzukommen. Mode ist da nur ein Beispiel von vielen. Überall hinterließen Homos Spuren: Musik, Schauspiel, Literatur, neue Medien – die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

6. Lass dir nichts vorschreiben

Wir leben im 21. Jahrhundert, wir leben in einer vermeintlich freien und toleranten Gesellschaft – aber du kannst jeden Homosexuellen in deinem Bekanntenkreis fragen: Alle werden dir von Ausgrenzung und Alltagsdiskriminierung erzählen können. Seien es die dummen Sprüche von pubertierenden Heranwachsenden auf dem Pausenhof, die nervigen Fragen – "Naaa, hast du ein Mädchen kennengelernt?"– von den nervigen Verwandten auf den noch nervigeren Familienfesten oder das jahrelange Schweigen, Verstecken und Verdrängen – all das ist für LGBTQ-Menschen immer noch Realität. Und trotzdem: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir lassen uns nicht vorschreiben, wie wir zu leben und wen wir zu lieben haben. Lasst ihr euch auch nicht unterkriegen! Es ist euer (einziges) Leben! Warum also Rücksicht nehmen auf das, was andere sagen oder denken? Es gibt überhaupt keinen Grund, kleinbeizugeben. Wir Homos sind erfolgreich. Sehr sogar. Studien bestätigen das: Schwule haben viel mehr und besseren Sex als Heteros; sie sind überdurchschnittlich gebildet und können sich mehr im Leben leisten. Es muss nicht immer von Nachteil sein, den gesellschaftlichen Erwartungen nicht zu entsprechen.

Und vielleicht ist das, was Heteros von Homos schlussendlich lernen können, vor allem dies: Im Leben das zu tun, was man tun möchte, und eben nicht das tun zu müssen, was von einem erwartet wird.

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