Was eine linke Splittergruppe aus Wien mit Islamisten zu tun hat
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Was eine linke Splittergruppe aus Wien mit Islamisten zu tun hat

"Nur mit der Beseitigung Israels können Araber und Juden in Frieden leben", so die These der 'Revolutionär-Kommunistischen Organisation Befreiung', die im Kampf gegen den Imperialismus auch Allianzen mit radikalen Islamisten eingeht.

Eigentlich hätte die "Let Them Stay"-Demonstration Ende November in Wien Abschiebungen von Geflüchteten thematisieren und kritisieren sollen. Tatsächlich war die Berichterstattung am nächsten Tag allerdings von einem Vorfall geprägt, der auf den ersten Blick etwas seltsam anmutet: Vermummte Demo-Teilnehmer aus dem sogenannten "Antinationalen Block", der von der Autonomen Antifa [W] organisiert wurde, fordern andere Teilnehmer—teilweise mit Migrationshintergrund—auf, die Demo zu verlassen.

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So, oder so ähnlich wurde es zumindest von den meisten Medien und der Wiener Polizei kolportiert. OE24 titelte sogar "'Schwarzer Block' griff auf MaHü Flüchtlinge an". Und auch der Sprecher der Wiener Polizei meinte gegenüber dem ORF, dass es sich bei der Gruppe arabischer Männer wohl um Flüchtlinge gehandelt habe und erklärte: "Der Schwarze Block hat sich diesen Männern gegenüber aggressiv verhalten, sie wollten scheinbar [sic] nicht, dass sie mitgehen."

Tatsächlich liegt dem Vorfall aber ein politischer Konflikt zu Grunde, der alles andere als neu ist. Denn bei der Gruppe "arabischer Männer" handelte es sich vor allem um Aktivisten der sozialistischen Splittergruppe "Revolutionär-Kommunistische Organisation Befreiung" (RKOB) und befreundeten Organisationen wie dem "Koordinationsrat der Ägyptischen Gemeinde" oder dem "Österreich-Koordinationsrat zur Unterstützung der Syrischen Revolution"—beides Verbände, deren Aktivisten politischen Bewegungen in ihren Herkunftsländern nahestehen.

Zwischen dem "Antinationalen Block" und der RKOB war es bereits in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Zuletzt zum Beispiel bei einer Demonstration am 1. Mai oder beim Volksstimmefest der KPÖ im Wiener Prater. Hintergrund sind dabei stets die unterschiedlichen Positionen zum Nahostkonflikt. Während die RKOB all jene, die sich nicht uneingeschränkt solidarisch mit dem palästinensischen Volk zeigen als "rechte Hetzer", "Zionisten" und "Rassisten" bezeichnet, stehen die Aktivisten der Gruppe selbst im Verdacht, unter dem Deckmantel der Israelkritik Antisemitismus zu verbreiten.

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Während die kommunistische Gruppe andere als "rechter Hetzer" bezeichnet, steht sie selbst im Verdacht, unter dem Deckmantel der Israelkritik Antisemitismus zu verbreiten.

"Bei einer Schüler*innendemonstration im Jahr 2014 forderte Marc H., Sprecher der RKOB, zum Beispiel den Ausschluss einer linken, jüdischen Schüler*innenorganisation und stellte diese als 'Kindermörder', 'Rassisten' und 'Faschisten' dar", heißt es in einer Stellungnahme der Autonomen Antifa [W] gegenüber VICE.

Den Vorwurf des Antisemitismus will Almedina Gunić, Sprecherin der RKOB, nicht gelten lassen: "Die Kräfte, die uns als antisemitisch denunzieren, sind dieselben, die arabische Migranten körperlich attackieren, wie es am 26. November der Fall war. Es sind dieselben, die jede Kritik am Apartheidstaat Israel und am Zionismus als Antisemitismus beschimpfen", so die Sprecherin der RKOB.

"Die RKOB tritt offen für die Zerstörung Israels auf und bestreitet das Recht auf einen Staat für Juden und Jüdinnen", erklärt hingegen die Politikwissenschaftlerin Tina Sanders, die sich im Rahmen einer Forschungsarbeit zum Thema Antisemitismus in antiimperialistischen Gruppen intensiv mit der RKOB beschäftigt hat.

"Sie vergleichen zum Beispiel die Politik Israels mit der Apartheid in Südafrika und trivialisieren den Holocaust, beziehungsweise dezidiert die Ermordung von 6 Millionen Juden und Jüdinnen während der Shoah. Außerdem zeigen sie sich öffentlich solidarisch mit Organisationen und Gruppen, die für die Auslöschung des israelischen Staates eintreten", so Sanders gegenüber VICE.

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Diese Solidarisierung mit klar antisemitischen Bewegungen war auch bei der Demonstration Ende November ausschlaggebend für die Auseinandersetzungen. So marschierten Aktivisten der RKOB und anderer Verbände hinter einem Banner der Bewegung R4bia. Das Banner zeigte das Symbol der Bewegung—vier Finger mit weggeklapptem Daumen.

Die R4bia-Bewegung bezieht sich auf die Rabiya al-Adawiya Moschee in Kairo, wo 2013 Proteste der Muslimbrüder gegen den Sturz Mohammed Mursis vom ägyptischen Militär blutig niedergeschlagen wurden. R4bia versteht sich zwar als Bewegung gegen die ägyptische Militärdiktatur, steht aber der islamistischen Bewegung der Muslimbrüder nahe. Auch der türkische Präsident Erdoğan benutzt das Zeichen von R4bia immer wieder bei öffentlichen Auftritten, um seine Solidarität mit den ägyptischen Muslimbrüdern auszudrücken.

Dass sich die RKOB, die sich selbst als "Kampforganisation für die Befreiung der ArbeiterInnenklasse und aller Unterdrückten" beschreibt, mit islamistischen Gruppen einlässt, mag erst einmal befremdlich wirken. Ein Blick auf die Homepage der selbsternannten Revolutionäre räumt jedoch schnell jeden Zweifel über die Möglichkeit einer Symbiose von vermeintlichen Sozialisten und Islamisten aus dem Weg.

Auf den Hintergrundbildern der Homepage sind bevorzugt Frauen und Männer zu sehen, die Kufiyas, Chachias und Hijabs tragen. Türkische, palästinensische und andere arabische Fahnen werden geschwenkt, auf Schildern ist zu lesen: "Stoppt das Massaker in Gaza".

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In den dazugehörigen Texten wird der Leser dann auf den Kampf für ein "freies, rotes Palästina" eingeschworen und der palästinensische Widerstand zum antiimperialistischen Krieg gegen Israel und die USA glorifiziert. Gleichzeitig werden (teilweise antisemitische) Verschwörungstheorien verbreitet. So seien zum Beispiel die USA an 9/11 selbst schuld, da die "unterdrückten Völker" im WTC ein "Symbol des Finanzkapitals" und im Pentagon die "Kommandozentrale für den laufenden Krieg der USA gegen den Irak, Afghanistan und zur militärischen Unterstützung Israels" erkannten.

Auf Nachfrage heißt es von Seiten der RKOB, man stehe mit Gruppen wie den Muslimbrüdern oder der Hamas zwar in "politischer Feindschaft", verteidige sie aber in "militärischen Auseinandersetzungen mit dem Apartheidstaat Israel und gegen Angriffe durch die von imperialistischer Seite her gestützte Diktatur von General Sisi" in Ägypten, so wie generell "gegen jede imperialistische Aggression".

Dass die Überschneidung von RKOB und radikalen Islamisten aber auch über die uneingeschränkte Unterstützung für die Kämpfe des palästinensischen Volkes hinausgeht, zeigt die Solidarisierung der RKOB, beziehungsweise ihrem Führer Michael Pröbsting, mit dem österreichischen Dschihadisten Mohamed M.—und damit jenem Islamisten, der der IS-Miliz die Treue schwor und für ein Propagandavideo zwei Menschen ermordete.

Zugegeben: Als Pröbsting seine Verteidigungsrede für M. hielt, war der Austro-Dschihadist noch nicht nach Syrien gereist, um sich der IS-Miliz anzuschließen, sondern stand gerade noch in Wien vor Gericht. Allerdings ging es bereits in diesem Verfahren um M.s Kontakte zu dschihadistischen Organisationen wie der Al-Qaida-nahen Global Islamic Media Front und Salafiya Jihadia. Trotz der nachweislichen Sympathie Mohamed M.s für islamistische Terrorgruppen und seiner Radikalisierung, deutete Pröbsting den Prozess als bürgerliche "Umdrehung aller Werte", bei der "aus gut böse" gemacht werde.

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Auch wenn heute M.s weitere Radikalisierung und seine Taten hinlänglich bekannt sind, gesteht man bei der RKOB gegenüber VICE nach wie vor keinen Fehler ein. "Es ist eine Heuchelei, dass ein imperialistischer Staat [gemeint ist Österreich] jemanden dafür anklagt, der auf Grund der imperialistischen Besatzung Afghanistans und zahlreicher anderer Länder Drohungen gegen die imperialistischen Besatzer äußert", erklärt Gunić. "Revolutionärinnen und Revolutionäre sehen den Hauptfeind der Menschheit im Imperialismus und ihre Pflicht in der konsequenten Verteidigung der unterdrückten Völker gegen den Imperialismus. Das Richten und Verurteilen von Dschihadisten ist Aufgabe der Unterdrückten und nicht der Unterdrückter", so die Sprecherin der Organisation.

Pröbsting zum Prozess gegen Mohamed Mahmoud.

Pröbsting selbst ist in der antiimperialistischen Bewegung in Wien kein Unbekannter. Zuletzt schloss ihn die Gruppe "Arbeiter*innenstandpunkt" wegen sektiererischen Verhaltens aus. Als Reaktion darauf rief Pröbsting die RKOB ins Leben. "Seine Schweinereien beobachten wir schon seit gut 15 Jahren", erzählt Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) gegenüber VICE.

Auch die Politikwissenschaftlerin Tina Sanders, die aufgrund ihrer Forschungsarbeit von der RKOB verbal massiv angegriffen wurde, hat für Pröbsting keine guten Worte übrig: "Pröbsting ist ein Narzisst, der sich selbst gerne als paternalistischer, weißer Erretter der Muslime und Muslima gibt, indem er ihnen ihre eigene Unterdrückung erklärt und sie in den pseudorevolutionären Widerstand führen möchte."

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Beim Innenministerium erklärt man gegenüber VICE, dass man die RKOB zwar kenne, sich dazu aber nicht näher äußern möchte. Allerdings soll Michael Pröbsting laut eigenen Angaben erst im Mai 2016 vom Verfassungsschutz wegen Verhetzung und Aufforderung zu einer Straftat einvernommen worden sein. Grund dafür sei eine Rede zum Nahostkonflikt gewesen. Pröbsting und RKOB nutzten die Einvernahme durch den Verfassungsschutz, um eine Kampagne gegen die "Kriminalisierung von Palästina-Solidarität" zu starten.

In Wien hat die etwa 10-köpfige Gruppe rund um Pröbsting kaum Einfluss. "Die RKOB hat glücklicherweise in Österreich weder großen Einfluss noch Zulauf, da sie bereits von etlichen Demonstrationen ausgeschlossen wurde und ihr radikal antisemitisches Auftreten vielerlei politisch aktive Linke abschreckt", erklärt Tina Sanders im Gespräch mit VICE.

Wäre die RKOB nur in Österreich aktiv, könnte man sie also getrost ignorieren und sich wichtigeren Themen als einer Spaltung von einer Spaltung von einer Spaltung einer sozialistischen Sekte widmen. Doch die RKOB verfügt durch ihre Dachorganisation "Revolutionary Communist International Tendency" (RCIT) über ein Netz von Aktivisten in verschiedenen Ländern. Darunter etwa in Deutschland, Großbritannien und Neuseeland, aber auch in Pakistan, Sri Lanka, Tunesien, Israel, Brasilien, Mexiko, Venezuela, in der Türkei und im Jemen.

Dass sie aufgrund dieses Netzwerks durchaus Einfluss auf lokale politische Diskussionen—und damit unter Umständen auch Entscheidungen—nimmt, zeigt zum Beispiel der Auftritt Pröbstings bei einer Konferenz Ende September 2016 in Beirut, die von einer der Arabischen Organisation für Menschenrechte nahestehenden Organisation veranstaltet worden sein soll.

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Thematisch beschäftigte sich die Konferenz mit dem Verbot der sozialistischen Baath-Partei—der unter anderem Saddam Hussein angehörte—, sowie der militärischen Besetzung des Iraks und damit verbundenen Kriegsverbrechen. Zu den Teilnehmern gehörten unter anderem Anwälte, Richter und Juristen aus dem Libanon, Palästina, Jordanien, dem Irak, Ägypten, dem Sudan, Tunesien und Algerien. Auch ein deutscher Abgeordneter des EU-Parlaments soll an der Konferenz teilgenommen haben.

Pröbsting sprach in seiner Rede unter anderem von einer "zionistischen Besatzung" und rief zum Widerstand gegen die USA und Israel auf. "Nur mit der Beseitigung Israels können Araber und Juden in Frieden leben", so Pröbsting.

Er verwies außerdem auf seinen Kampf für die arabischen Völker und die Repression, der er deshalb in Österreich durch die "politische Polizei" ausgesetzt sei. Bilder der Konferenz wurden auf Facebook unter anderem von Profilen verbreitet, die sich selbst als Mudschaheddin bezeichnen und antiamerikanische, sowie antisemitische Inhalte verbreiten. Pröbsting selbst beendete seine Rede mit dem Ruf: "Lang lebe die Intifada!"

Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv sagt zu Pröbstings Auftreten im Ausland: "Er hat hier—anders als andere Linke—wenig Berührungsängste, weshalb er bei ausländischen Gesinnungsgenossen umso leichter Gehör findet. Hinzu kommt seine maßlose Selbstüberschätzung, die ihn im Ausland als relevanten Sprecher relevanter Gruppen erscheinen lassen."

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Dass Pröbsting mit seiner Gruppe aber auch in Österreich immer wieder für Unfrieden sorgt, zeigen seine Angriffe auf Veranstaltungen, die sich auf differenziertere Art mit dem Nahostkonflikt beschäftigen, oder sich israelsolidarisch positionieren.

So wurde zum Beispiel 2005 die österreichische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Mary Kreutzer von Pröbsting tätlich angegriffen, als dieser mit über 20 anderen Personen eine Veranstaltung der irankritischen Plattform Stop the Bomb störte. Wie aus mehreren Zeugenberichten des Vorfalls, die VICE vorliegen, hervorgeht, riss Pröbsting Kreutzer bei dem Angriff von einem Sessel, weshalb die Journalistin im Krankenhaus behandelt werden musste. Pröbsting wurde deshalb wegen Körperverletzung verurteilt.

Auch wegen solcher Aktionen bezeichnet Andreas Peham die RKOB als klar antisemitisch. Die Gruppe spreche Israel das Existenzrecht ab und feiere die "Mordbrenner der Hamas" als legitime Widerstandskämpfer, weshalb zuletzt etwa die israelische Kultusgemeinde Anzeige wegen Verhetzung erstattete. Allerdings ohne Erfolg, das Verfahren wurde eingestellt.

Die Autonome Antifa [W] geht noch einen Schritt weiter und sieht im offen bekundeten Antizionismus der RKOB eine "geopolitische Reproduktion des Antisemitismus". "Gerne werden hier Attribute verwendet, die Israel als ähnlich grausam wie die Nazis darstellen. Etwa wenn von 'Völkermord' oder von Gaza als 'Freiluftkonzentrationslager' gesprochen wird", so die Antifa.

Ähnlich argumentiert auch die Wiener Soziologin Julia Edthofer und verweist auf die Notwendigkeit, sich mit Gruppen wie der RKOB auseinanderzusetzen, auch wenn diese in Österreich nur einen marginalen Einfluss im politischen Diskurs haben. Denn: "Im Grunde formuliert die RKOB in extremer Form nur das, was sich viele Österreicher über Israel denken", so Edthofer gegenüber VICE.

Tatsächlich belegt wird ihre These durch eine Studie von Maximilian Gottschlich und Oliver Gruber aus dem Jahr 2012, wonach 41,7 Prozent der Befragten Österreicherinnen und Österreicher folgendem Satz im Wortlaut zugestimmt haben: "Die Israelis verhalten sich den Palästinensern gegenüber genauso unmenschlich wie damals die Nazis gegenüber den Juden." Eigentlich wenig verwunderlich in einem Land, in dem sich immer noch einige gerne als erstes Opfer des Nationalsozialismus verstehen.

Paul auf Twitter: @gewitterland