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Popkultur

Wir haben das Dschungelcamp gemeinsam mit dem Internet geguckt und übers Leben gelernt

Darf man lügen? Was bringt Leistung? Gibt es eine zweite Chance? Große Fragen des Lebens beantwortet anhand der Folge 1.

Der Januar zeichnet sich als besonders überflüssiger Monat aus: Weihnachten ist vorbei, Karneval noch nicht da und über die schneematschbedeckten Straßen der Nation schlürfen schlecht gelaunte Menschen, die auf die glorreiche Idee kamen, einen Monat lang keinen Alkohol zu trinken und auf Süßigkeiten zu verzichten. Wir drehen die Heizung auf Stufe fünf, lassen Tief Egon über unsere Dächer hinwegfegen und suhlen uns im Jahresanfangs-Elend, indem wir weinend auf unseren Handys die letzten Obama-Videos gucken. Es ist ein Wunder, dass bisher noch nicht einmal die AfD eine Volksabstimmung darüber gefordert hat, den Januar abzuschaffen. Einzig allein der Lieblingssender der Nation, RTL, verleiht diesen ersten Wochen im Jahr ein wenig Daseinsberechtigung. Was würden wir tun, gäbe es nicht dieses Dutzend "Promis" (sehr dehnbarer Begriff) im australischen Regenwald, das der Fernsehsender mit maximal Krawall und Remmidemmi aufeinanderhetzt, gefilmt von Hunderten Kameras, damit sich Millionen Zuschauer an ihren Abgründen laben können. Am Freitagabend begann dieses Spektakel erneut, das Deutschland nun schon zum 11. Mal in Folge zusammenschweißt: das Dschungelcamp.

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Zwei Wochen lang erleben die Kandidaten ihre ganz persönliche Detox-Kur gegen fürstliche Bezahlung und Millionen gucken dabei zu. Und weil dieses Kakerlakenessen und lethargisch auf der Pritsche liegen ja seine Längen hat und Fernsehen alleine auf dem Sofa ohnehin etwas langweilig ist, teilen die Deutschen ihre Schadenfreude und ihre Faszination im Netz. Nicht einmal ein Donald Trump, der eine Golden Shower nimmt, wühlt das Internet in Deutschland so auf, wie es die Lieblingssendung der Nation vermag. Wir haben Dschungelcamp gemeinsam mit Twitter, Facebook und Co. geschaut. Und wir haben dabei über das Leben gelernt.

Markus Majowski tritt allein zur Dschungelprüfung an, nachdem Fräulein Menke ablehnt. Foto: Screenshot RTL

In diesem Jahr scheint RTL mal wieder einiges richtig gemacht zu haben, denn bereits in der ersten Folge wurde gelacht, geweint und gestritten. Stein des Anstoßes war nicht zuletzt Kandidat Alexander, der konsequent unter seinem Spitznamen "Honey" auftritt—den bekam er von seiner Ex-Freundin spendiert, der letzten "Germany's Next Topmodel"-Gewinnerin. Sonst hat Honey in der Promi-Welt zugegebenermaßen noch nicht wirklich etwas gerissen. Aber, um im Dschungel ein "Star" zu sein, ist das ja auch gar nicht nötig. Früher waren es B-Promis, mittlerweile ist man bei den Umlauten angekommen. Dem Netz ist das egal: #Honey stürmt die Spitze der Twitter-Trends. Nach zwei Stunden Sendezeit bestehen die dann ausschließlich aus Dschungel-Begriffen.

Dabei ist der Mann, der im Vorspann tatsächlich an einem Glas Honig leckt, und vermutlich gerade unter der australischen Sonne von einem eigenen Wikipedia-Eintrag träumt. Damit ist er im Dschungelcamp wohl nicht der einzige. Sänger Marc Terenzi oder Model Gina-Lisa Lohfink gehören zu den bekannteren Teilnehmern. Unsere erste These:

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Die zweite Chance im Leben kann die erste sein

Was wäre das Dschungelcamp nur ohne gescheiterte Existenzen? Eine Gruppe voller Saubermänner und Vorzeigemenschen ist nicht nur fernab der Realität, sie wäre auch unglaublich langweilig. Die Phrase "Ich gehe ins Dschungelcamp, um mich mal von einer anderen Seite zu zeigen", ist nicht umsonst die wohl am meisten genannte (vermutlich aber nicht immer die ehrlichste) Motivation der Teilnehmer. Wie im Dschungel, gibt es auch im Leben Ups and Downs, sie sind, was die Show am Laufen hält. Wer mal Mist baut, wird im Dschungelcamp vom Zuschauer bestraft, doch danach ist eine zweite Chance immer drin. Es ist nie auszuschließen, dass ein Kandidat, der in den ersten Tagen komplett im Abseits steht, in Woche zwei plötzlich einen Sinneswandel vollzieht und Sympathien ernten kann. Wer weiß, vielleicht klettert Honey am Ende noch den Dschungelthron empor? Momentan glaubt daran niemand. Okay, außer natürlich Honey selbst.

Schadenfreude auszulösen ist wichtiger als Leistung

Wer die Dschungelprüfungen durchzieht und ein ordentliches Ergebnis erzielt, der macht sich in der Gruppe Freunde, schließlich ist das Abendessen damit gesichert. Aber wer schaltet wirklich ein, um zu sehen, wie der Promi bei jeder Prüfung die Höchstpunktzahl erreicht? Eben. Niemand. Nicht umsonst hat sich in den letzten Jahren ein deutliches Schema abgezeichnet: Der Zuschauer stürzt sich in der ersten Woche gern auf einen Kandidaten, der mit den Dschungelprüfungen Probleme hat. Egal ob Georgina Fleur, Larissa Marolt oder Helena Fürst. Die Schadenfreude lässt sich dann von Tag zu Tag steigern, indem man den Teilnehmer weiter quält. Insofern wirkt es fast überraschend, dass Kandidatin Fräulein Menke trotz ihrer nicht angetretenen Essensprüfung vom Zuschauer vor der nächsten Prüfung verschont blieb. Aber nicht etwa, weil der NDW-Star so sympathisch ist, sondern weil ein anderer Kandidat in der Prüfung mehr Furore verspricht.

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Mitläufer werden belohnt

Wer als Kandidat merkt, dass er zum Außenseiter wird, hat ein gewaltiges Problem. Ausgegrenzte Personen haben es überall schwer, doch im australischen Regenwald wird es noch ein bisschen unbequemer. Als Teil der Gruppe kann man wunderbar mitschwimmen, von Kandidaten wie Schauspielerin Nicole Mieth oder Fußballweltmeister Thomas "Icke" Hässler hörte man in Folge eins so gut wie kein Wort, dementsprechend konnten sie sich sicher sein, vom Zuschauer nicht in die Prüfung gewählt zu werden. Mitläufer haben es in den ersten Tagen von "Ich bin ein Star—Holt mich hier raus" erstaunlich einfach. Sie müssen einzig das Telefonvoting in Woche zwei überstehen, keine leichte Aufgabe, aber machbar. Der Zuschauer wird im Finale im Zweifel wohl eher einen ruhigen Kandidaten zum Dschungelkönig küren, als den polarisierenden Streithahn.

Doch es dürfte kein Geheimnis für den treuen Trash-TV-Liebhaber sein, dass der wahre Gewinner einer Staffel nicht immer zwangsläufig die Dschungelkrone trägt. Die Social-Media-Welt zeigt unter #IBES: Jeder Zuschauer sucht sich letztlich selbst seine Helden zusammen. Und natürlich auch seine Opfer.

Florian Wess und Gina-Lisa Lohfink, nicht nur optisch die BFFs unter den Dschungelstars | Foto: Screenshot RTL

Wer nicht er selbst ist, wird durchschaut

Es gibt nichts Schlimmeres, als dabei erwischt zu werden, bloß eine Rolle zu spielen. Übersetzt auf das Dschungelcamp bedeutet das aber gleichzeitig auch: Es gibt nichts Unterhaltsameres, als einen Kandidaten dabei zu enttarnen, wie er eine Show abzieht. Legendär war das große Schauspiel rund um Jay Khan und Indira Weis in Staffel 5, als das vermeintliche Pärchen dabei erwischt wurde, wie es sich heimlich absprach, Küsse im Teich zu inszenieren, um beim Zuschauer zu punkten. Es folgte eine Knutscherei im Tümpel, bei der sich das Zusehen anfühlte, als würde man einen Autounfall beobachten. Nach einer Folge ist es natürlich noch etwas zu früh, um die Authentizität der Promis zu beurteilen. Die einzigen Masken, die bisher gefallen sind, waren optischer Natur.

Lästern ist erlaubt. Aber verpönt

Welch schöne Doppelmoral wir Dschungel-Zuschauer uns in den letzten Jahren zurechtgelegt haben: Das Dschungelcamp ist DAS Läster-Format schlechthin, jeder hat eine Meinung zu Hanka, Honey und Florian. Doch wenn die Promis am Lagerfeuer untereinander die Lästerkeule schwingen, denken wir: "Hinterlistig", "frech", "charakterlos". Millionen Deutsche werden zu Hobby-Psychologen.

Das Internet hat in den kommenden 14 Tagen also einiges zu tun. Und Honey braucht nach dem Dschungel eigentlich auch nicht mehr zu arbeiten. Nicht, weil er ausgesorgt hätte, sondern weil er wahrscheinlich das restliche Jahr damit verbringen wird, das gesamte Internet auf "Honey"-Kommentare zu untersuchen. Wir wünschen ihm viel Spaß.

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