Meinen Freund stört es nicht, dass ich mit anderen schlafe – den Rest der Welt schon
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Sex

Meinen Freund stört es nicht, dass ich mit anderen schlafe – den Rest der Welt schon

Ich war eifersüchtig, habe gezweifelt, mich sogar in einen anderen Mann verliebt. Aber am Ende hatten wir mit unserer offenen Beziehung noch ganz andere Probleme.

Ich saß in einem Café mit einer sehr coolen Frau, die ich noch nicht lange kannte, aber mit der ich unbedingt befreundet sein wollte. Wir bewunderten gegenseitig unsere Handtaschen und lachten über die Ungeschicklichkeit der Kellnerin. Es lief phantastisch – bis mein Handy "Ping" machte und ich dümmlich grinste.

"Wer schreibt dir?", fragte sie mich.

"Ach, so ein Typ. Er ist ziemlich heiß. Wir treffen uns heute Abend", antwortete ich beiläufig.

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Ihre Augen weiteten sich, beinahe wären sie aus den Höhlen gesprungen. "Du bist doch mit André* zusammen!"

Klar war ich das. Aber wir wollten die Spielregeln unserer Beziehung selbst schreiben. Wir wollten ehrlich sein mit unseren Bedürfnissen – und zu denen gehörten eben auch Abenteuer mit anderen.

Natürlich gab es Stolpersteine, ich habe beispielsweise unsere ganze Beziehung ins Wanken gebracht, als ich mich in meine Romanze verliebte. Das war irgendwie zu erwarten, genauso wie Eifersucht und Zweifel, ob das alles so wirklich funktionierte. Was wir aber nicht erwartet hatten, waren die Reaktionen unserer Umwelt.

Die Frau schüttelte den Kopf. Das zwischen ihrem Freund und ihr sei etwas so Besonderes, dass sie es niemals durch eine andere Person gefährden lassen würde.

Ich habe sie nie wieder gesehen.

Inzwischen brauche ich mehr als zwei Hände, um die vielversprechenden Anfänge von Freundschaften aufzuzählen, die just nach meinem Outing als Nicht-Monogame versandeten. Dabei sind es längst nicht nur Frauen in festen Beziehungen, die sich daran stören. Auch Singles wittern Gefahr, wenn sie feststellen müssen, dass ich ihnen durchaus Konkurrenz mache.

"Du hast doch schon einen Freund im Gegensatz zu mir! Warum also musst du auch noch den Typen abschleppen, auf den ich so scharf war?!", schrie mir eine Bekannte eines nachts wütend ins Gesicht.

Ich hatte keine Ahnung, dass sie ihn auch wollte, aber das war nicht der Punkt. Der Punkt war, dass ich zu meinem bereits sechs Jahre währenden Beziehungsglück nun auch noch das Abenteuerglück dazu bekam – und sie komplett leer ausging. Wer will sich das schon geben?

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Seit ich keine monogame Beziehung mehr führe, sind Neuanfänge schwierig geworden. Doch in meinem Freundeskreis haben viele schon offen oder polyamor gelebt, als mein Freund und ich noch an die ewige Treue glaubten. Es gibt also genug Menschen, mit denen wir uns über unsere Liebschaften freuen und über Eifersucht reden können. Leute, denen es ziemlich egal ist, wie und mit wem wir unsere ausleben, Hauptsache, wir sind glücklich damit.

Sobald wir uns aber aus dieser Blase herausbewegen, wird immer wieder deutlich, wie anders die Welt da draußen das sieht. Selbst die Menschen, die mein Freund und ich daten, finden unsere Beziehungsform teilweise unmöglich. Und das, obwohl unsere Treffen anders gar nicht passiert wären!

Einer meiner Liebhaber sagte es so: "Was, wenn das, was du machst, richtig ist? Würde das nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass die Art, wie ich es bisher gemacht habe, falsch war? Entschuldigung, aber auf diesen Gedanken habe ich echt keinen Bock."

Ich bin vorsichtiger geworden. Mein anfänglicher Enthusiasmus ("Das ist eine großartige Sache! Jeder muss davon erfahren!") hat sich in Pragmatismus ("Menschen können sich angegriffen fühlen, wenn man ihre Lebensweise hinterfragt") verwandelt.

Niemals würde ich meine offene Beziehung leugnen, aber ich vermeide es zunehmend, mit Menschen, die ich nicht besonders gut kenne, darüber zu reden. Zumal solche Gespräche unglaublich oft mit genau diesem Wortlaut enden: "Also, für mich wäre das nichts." Ich kann diesen Satz echt nicht mehr hören. Solange ich niemandem mit meinem Lebensentwurf schade, gehört er einfach nicht bewertet.

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Auch im Job halte ich mich mit Privatem sehr zurück. Obwohl ich ziemliches Glück habe, weil ich nicht als Angestellte in einem Büro arbeite, sondern freiberuflich in einem Kreativhaus. Das Wort "Polyamorie" würde in dem bunten Haufen wohl niemanden groß erschrecken. Dennoch sind alle dort, um mit ihren Projekten Geld zu verdienen und sich zu vernetzen. Nicht, um intime Geschichten auszutauschen.

Dies ist auch der Grund, warum ich ein Pseudonym verwende, wenn ich über meine offene Beziehung schreibe: Meine Geschäftspartner und Kunden sollen sich darauf konzentrieren, was ich beruflich kann, anstatt darauf, was ich im Bett mache. Es muss ja auch nicht jeder wissen, dass ich auf Spanking stehe. Huch, jetzt ist es raus!

Damit verhalte ich mich genau wie die meisten Deutschen, trenne zwischen Beruflichem und Privatem. Was eigentlich ein Witz ist angesichts dessen, dass auf jedem Büroflur geflirtet und in jeder Besenkammer gevögelt wird.

Ähnlich ambivalent ist auch das Verhältnis zu meiner Familie: Auf der einen Seite gibt es mein offizielles Leben (meine langjährige Vorzeige-Beziehung), auf der anderen Seite mein geheimes (all die Menschen, die ich sonst noch date). In meiner Familie ist es nicht üblich, über Gefühle zu reden, geschweige denn über Beziehungen. Dieser ultrakonservative Haufen würde mich nicht verstehen. Und der weltanschauliche Graben, der ohnehin schon zwischen uns liegt, würde nur noch tiefer werden.

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Weil ich schon lange in einer anderen Stadt lebe, besteht zumindest kein Risiko, bei einem händchenhaltenden Spaziergang mit einem anderen Mann erwischt zu werden.

Manchmal bedauere ich es, dass die Menschen, mit denen ich den größten Teil meines Lebens verbracht habe und die mir immer noch so wichtig sind, nicht mehr von mir kennen als die bloße Oberfläche.

Vielleicht lasse ich eines Tages aber doch die Bombe bei einem Familienfest platzen. Vorzugsweise, wenn gerade das absolut verwerfliche Verhalten irgendeiner Nachbarin zerpflückt wird.

Es geht nicht darum, dass sie mich verstehen. Ich glaube einfach, dass wir ein besseres Leben haben könnten, wenn wir ehrlich wären. Auch wenn das bedeutet, dass nicht jede coole Frau mit mir befreundet sein will.

*Name geändert

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