Über die Feiertage habe ich betrunken 'Watch_Dogs 2' durchgespielt

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Über die Feiertage habe ich betrunken 'Watch_Dogs 2' durchgespielt

Ein Spiel über Hacker mit mehr Schwarzlicht-Graffiti als tausend Goa-Partys ist unerwartet gut geworden. Alkohol hat mir geholfen, dieses entschärfte 'GTA San Andreas' genauer zu erkunden.

Ich weiß. Über Weihnachten und Neujahr betrunken Videospiele zu spielen, ist nicht wirklich eine Meisterleistung. Ich habe mich im Schutz meines Elternhauses und dessen Weinkellers aber auch deshalb volllaufen lassen, um einen ganz besonderen Zugang zu Watch_Dogs 2 zu bekommen. Und tatsächlich, ich habe wirklich einiges gelernt über gute Spiele-Narration, unser Informationszeitalter und hässliche Jogginghosen.

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Nicht nur das Spiel ist ein Sequel, auch dieser Artikel, denn bereits das erste Watch Dogs habe ich einem etwas abstrakten Alkoholtest unterzogen, um die Spielmechaniken und mein Rausch-Brain aufs Extremste auf die Probe zu stellen. Hier also einige Eigenschaften und Momente aus Watch_Dogs 2, die mir im DUI-Chaos untergekommen sind und es alles in allem sogar zu einer kleinen Gaming-Perle des vergangenen Jahres machen—für Rauschige wie für Abstinente.

Die Alt-Right und Gamergate werden dieses Spiel hassen

Alle Screenshots aus 'Watch_Dogs 2' (c) Ubisoft

Die Narrative rund um Hacker Marcus und seine "DedSec"-Gang muss man alleine schon deshalb lieben, weil die Vertreter von Alt-Right bis Gamergate sie hassen werden: Ein schwarzer Protagonist, eine Frau, die diese Nerds anführt, eine lesbische Tech-Spezialistin ohne jeglichen Porno-Sexappeal, eine starke Transgender-Figur in politischer Machtposition und überhaupt ein kunterbuntes Bouquet an individuell schön ausformulierten Randgruppencharakteren. Hier wird heteronormativen Tropen im Gaming richtig stolz der Mittelfinger gezeigt.

Als Marcus und Horatio den sehr weißen Campus von "Nudle" (ja, eine absichtlich blöde und irgendwie ebenso passende Google-Referenz des Spiels) infiltrieren, fällt der Spruch: "What do you call a black man in a sea of white people? … Mister President!" Ich musste, mich vor Lachen halb verschluckend, das siebte Glas Grüner Veltliner Richtung Bildschirm erheben und dem Spiel für diese Meldung zuprosten.

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"What do you call a black man in a sea of white people? … Mister President!"

Ubisoft will sich nach sporadischer Kritik in den letzten Jahren wirklich keinen Funken Konservativismus mehr nachsagen lassen. Für manche "Social Justice Warrior" brüllenden Idioten wirken die genannten Elemente in Watch_Dogs 2 sicher wie ein Abhaken einer Diversitäten-Checklist. Das ist aber Blödsinn und die Rechnung dieser verdammt smarten Spieleautoren geht voll auf. Die Geschichten der Figuren haben Nuancen, sind einnehmend, cool, spannend—und das gerade, weil Neues probiert und erzählt wird, anstatt uns nur altbekannten, sicheren Videospiele-Einheitsbrei vorzusetzen.

Es ist ein tolles Gefühl, durch die Castro-Street zu laufen, in Regenbogenhosen und meinem Unisexpulli mit dem lieben Fuchs drauf, und Republikanern im Vorbeigehen per Hack-Knopfdruck das Konto zu entleeren.

Es ist wie "GTA San Andreas LIGHT"

Vier Obstler, Marke "Selbstgebrannt", und ich kann mich trotzdem noch sehr gut daran erinnern, als ich in Grand Theft Auto: San Andreas das erste mal nach San Fierro gefahren bin, protzig in meinem Infernus und den Country-Radiosender laut plärrend aufgedreht. Die Cable Cars, Alcatraz und der allgemeine Upper Class-Flair zogen an mir vorbei und haben sich tief in mein urbanes Videospielgedächtnis eingebrannt. Auch in Watch_Dogs 2 erstrahlt San Francisco—hier sogar mit echtem Namen—ähnlich lebendig und einprägsam. Nicht nur weil Marcus und C.J. die gleiche Hautfarbe haben, oder beide Spiele Open World mit viel Autofahren sind, sondern auch die Atmosphäre und Details der Stadt erinnern an den gigantischen Spieleklassiker der GTA-Reihe.

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Ich schalte in diesem irgendwie helleren San Francisco—mit der weit besseren Auflösung—durch die Hip Hop- und World Music-mp3s in meinen Kopfhörern, kauf mir die absurdesten Outfits (Stahlhelm bis Kanye West-Brillen) und springe mit meinem gestohlenen Sportwagen die sich schlängelnde Lombard Road hinunter.

Dabei krache ich in Alternativ-Cafés, vorbei an Hipstern, Hunden und Hippies. Nachdem mir ein Dude erklärt, warum die Karten in seinem Magic-Deck so super sind, fahre ich im Motorboot die Golden Gate entlang und beende den Tag bei der genialen Festival-Verarschung von Burning Man, samt einer Handvoll Magic Mushrooms. So viel Magic. Ubisoft kann in Watch_Dogs 2 also wirklich mit Rockstars etabliertem Witz, der Detailliebe und der geschickten Stadtsatire mithalten—sogar Bandenkriege und Sprayer-Missionen sind dabei!

Aber ich nenne Watch_Dogs 2 bewusst die "Light"-Version. Es ist nicht annähernd so böse und brutal menschenverachtend wie GTA. Ganz im Gegenteil: Ich habe es geschafft, mit Marcus und durch Einsatz seiner Taser-Pistole die Opferanzahl meines Play Throughs unglaublich niedrig zu halten, man kann sie an einer Hand abzählen. Er ist schließlich ein Braver und zu Hackern passen Blutbad und Amoklauf nicht. Die lizensierte Musik in Watch_Dogs 2 ist ebenfalls etwas gesitteter als GTA-Soundtracks.

Das Spiel scheint für friedliebende, begeisterungsfähige und noch unverbrauchte Kids gemacht worden zu sein, deren Weltbild und Zugang zu Anarchismus und Idealismus noch nicht vom Zynismus des Alters und den tausenden überfahrenden NPCs zerstört wurde.

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Außerdem ist mir bei Watch_Dogs 2 neben San Andreas, das auch in den 90ern spielt, sofort der Film Hackers aus dem Jahr 1995 eingefallen, gerade in Punkto überstilisierter Charaktere, Schwarzlicht-Artwork und pubertärer Verherrlichung von Online-Aktivismus. Nur hat man die Hacker in Watch_Dogs 2 sofort so richtig lieb und sie machen aus dem blöden Kampfschrei "Hack the planet" Realität und reden nicht nur Müll. Das tatsächliche Hacking im Spiel sieht auch viel realistischer aus als in diesem Techno-Trash mit Angelina Jolie.

Jetzt kann man den ersten Teil (fast) verzeihen

Entsprechend den vorhergehenden Punkten ist meine Conclusio ziemlich klar: Watch_Dogs 2 ist echt gut—und die Hacker im Spiel saufen auch ganz schön viel, fällt mir gerade auf. Es ist tatsächlich so gut, dass es den ersten Teil vergessen lässt und den Namen der Reihe rettet. Sitara, Chefin und Markenvertreterin von DedSec, sagt im Spiel an einem dramatischen Wendepunkt für das Hacker-Team: "The brand is fucked!" Darauf antwortet Marcus: "So, … unfuck it." Und das ist eigentlich genau das, was Watch_Dogs 2 geschafft hat.

Das erste Watch Dogs war wirklich ziemlich furchtbar—narrativ so ansprechend wie eine Harnleiterentzündung und mit einem Protagonisten, ohne auch nur dem kleinsten Funken ansprechender Persönlichkeit. Aber Ubisoft hat getan, was Ubisoft am besten tut: Die Macher haben sich zusammengerissen, ein paar ordentliche Autoren hingesetzt und einen super zweiten Teil für ein an sich cooles Spielkonzept hingeknallt.

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Es ist eine gute Story geworden, mit netten Figuren, die man verdammt noch einmal ausstehen kann, als Basis und drum herum gibt es viele spaßige (wenn auch typisch repetitive) Seitenmissionen, schräge Zufallsinteraktionen auf den Straßen und natürlich viel Liebe für die wunderbaren Kleinigkeiten. Wenn man Passanten hackt, bekommt man zum Beispiel eine Mini-Bio der Person. Man fragt sich sofort: Wer hat das geschrieben? Wie kommt man auf so was? Wieso sind die Wertigkeiten so verschieden? Aber vor allem: Was wäre meine Beschreibung?!

Eines der wenigen Highlights des ersten Watch Dogs-Spiels war diese Mini-Bio: "Sexually attracted to musical instruments." Good One! In Zeiten von Mister Robot, Fake News, Anonymous und Co ist es dann doch essentiell, bei einer Thematik wie Big Data intelligente und vor allem die richtigen Geschichten zu erzählen. Die Einfachheit von "Press X to hack" funktioniert nur mit den richtigen Charakteren. Und dieses Videospiel hat es geschafft, einen Autisten als komplett mehrdimensionale und realistisch dargestellte Figur umzusetzen. Da kann Hollywood sich ein Scheibchen von Watch_Dogs 2 abschneiden.

Ich hätte mir auch nie gedacht, dass ich für Wrench, einen Typen mit Nietenjacke, tätowiertem Anarchie-"A" auf dem Schlüsselbein und einer blinkenden Emoji-Maske, so viel Sympathie empfinden würde. Sitaras Totenkopfstrümpfe sind einfach nur peinlich, aber ihre Charakterisierung hat mich umgehauen—und das nicht nur wegen der Shots Jägermeister zwischendurch.

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Das junge Wunderkind aus dem Silicon Valley mit Manbun und getrimmtem Bart ist sowieso der beste Bösewicht seit Jahren. Man muss dieses Yoga-Arschloch und seine ekelhafte Futurismus-Selbstgefälligkeit—was irgendwie schön das erste Spiel repräsentiert—von Grund auf hassen! Dieses Ausmaß an Negativemotionen ist auch ein Zeichen für gute Autorenschaft.

Mich hat die Story letztlich dermaßen beschäftigt, dass mein nicht ganz zweijähriger Neffe den Gin Tonic neben mir beinahe ausgetrunken hätte. Es geht ihm gut, keine Sorge oder Anzeigen bitte, aber das passiert mir nicht nochmal.

Hier sind noch meine schönsten Selfie- und Gameplay-Momente aus Watch_Dogs 2, enjoy, aber VORSICHT SPOILER!

Josef auf Twitter: @theZeffo

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