Wir trafen den Schamanen, der in Zürich Ayahuasca-Zeremonien anbietet

FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

Wir trafen den Schamanen, der in Zürich Ayahuasca-Zeremonien anbietet

Wir wollten unter anderem von ihm wissen, wie er die Pflanze vor der Kommerzialisierung durch europäische Drogenkonsumenten schützen will.

Ich wusste nicht genau, was mich erwarten würde, als ich im Februar dieses Jahres zusammen mit einem Freund an einer Ayahuasca-Zeremonie in Goa, Indien, teilgenommen hatte. Es hiess, die Heilpflanze aus den Tiefen des Amazonasregenwaldes besitze die Kraft, die Seele von Blockaden zu lösen, Traumata zu überwinden und zu einem gesamtheitlichen Verständnis über die Beschaffenheit des Universums verhelfen zu können. Die Leute hatten in meinem Fall nicht übertrieben. Im Gegenteil. Die Pflanze schickte mich auf die intensivste Reise meines Lebens—einmal quer durchs Universum und zurück. Nachdem ich mir alle negativen Dämonen von der Leber gekotzt hatte, offenbarte sie mir den ewigen Kreislauf der Lebensenergie, dekonstruierte meine Denkmuster und vernetzte mich mit den Geistern meiner Ahnen.

Anzeige

Die indigenen Amazonasvölker Lateinamerikas verwenden Ayahuasca schon seit Jahrtausenden im Rahmen ritueller Zeremonien als Heilpflanze. Damals wie heute wird der stark psychedelisch wirkende Pflanzensud aus den DMT-haltigen Blättern des Kaffeestrauchgewächses psychotria viridis und der Liane banisteriopsis caapi zusammengebraut. In der Schweiz ist DMT—der Wirkstoff von Ayahuasca—zwar illegal, aber auf Grund seiner Unbekanntheit bereitet die Einfuhr des Gebräus in die Schweiz den Organisatoren von Zeremonien in der Regel keine grossen Probleme.

Aus den Tiefen des Amazonasregenwaldes: Utensilien für die Ayahuasca-Zeremonie | Alle Bilder von Albin Niederstrasser

Während der letzten Dekade erfreute sich Ayahuasca auch im Westen einer immer grösser werdenden Beliebtheit. Vom sich selbst suchenden Rucksacktouristen bis hin zum Midlifecrisis-geplagten Investmentbanker suchen Europäer aus allen Gesellschaftsschichten den tieferen Sinn ihrer Existenz in der neuen Trenddroge aus dem Regenwald. Die Pflanze bewirkt gemäss der Drogeninfostelle saferparty.ch üblicherweise eine Loslösung von Körper und Geist sowie eine Ich-Auflösung. Häufig treten, vor allem bei hohen Dosierungen, auch Nahtoderfahrungen auf. Das kann bei einer fehlenden oder unzulänglichen Betreuung durch einen ausgebildeten Schamanen oder falschen psychischen Dispositionen zu einem Horrortrip (Orientierungsverlust, Panik und Paranoia) führen. In seltenen Fällen können bei bestimmten psychischen Dispositionen zudem bleibende Störungen der Selbst- und Realitätserkennung sowie Psychosen ausgelöst werden.

Anzeige

Wo aber eine Nachfrage besteht, lässt auch ein Angebot nicht lange auf sich warten. So haben es sich einige Ayahuasca-Schamanen zur Aufgabe gemacht, mit ihrem magischen Pflanzensud im Gepäck durch Europa zu reisen, um dem Westen wieder auf den Weg der abhanden gekommenen Spiritualität zu bringen. Wir haben einen von ihnen, Juan Martín Jamioy, vom Verein Pinta Yage zusammen mit seiner Schülerin, Laura Romero, nach einem Ayahuasca-Wochenende im Raum Zürich vor ihrer Weiterreise nach Berlin am Flughafen in Kloten getroffen. Wir wollten vom kolumbianischen Schamanen wissen, was der Westen von den Ureinwohnern des Amazonasgebietes lernen kann, wie sich eine Ayahuasca-Zeremonie aus seiner Perspektive abspielt und ob die Heilpflanze vor der zunehmenden Kommerzialisierung durch erlebnisorientierte Drogenkonsumenten geschützt werden kann:

VICE: Herr Schamane, wer sind Sie?
Juan Martín Jamioy: Ich stamme aus Sibundoy, einer indigenen Gemeinschaft in Putumayo, Kolumbien. Ich bin seit über 30 Jahren als Schamane tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit heile ich Menschen mit Hilfe traditioneller Naturmedizin aus dem Regenwald, unter anderem mit Ayahuasca. Zudem bin ich neben meiner Tätigkeit als Schamane in den Kampf um die Rechte der indigenen Gemeinschaften Kolumbiens involviert.

Heilt seit über 30 Jahren Menschen mit Ayahuasca: Der Schamane Juan Martín Jamioy

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auch Menschen ausserhalb Ihrer indigenen Gemeinschaft zu helfen?
Europäer, die für eine Ayahuasca-Zeremonie nach Südamerika gereist sind, haben schon vor Jahrzehnten die lokalen Schamanen darauf aufmerksam gemacht, dass es in ihren Heimatländern einen grossen Bedarf nach pflanzenbasierter Psychotherapie gibt, sich viele die Reise in den Regenwald jedoch nicht leisten könnten. Als ich dann eines Tages für die Rechte der indigenen Gemeinschaft nach Europa gereist bin, stellte ich fest, dass viele Menschen hier nach einer Alternative zur westlichen Schulmedizin suchen. Einer Medizin, die nicht auf Chemie basiert. Das Erbe meiner Vorfahren bietet genau das: natürliche, spirituelle und energetische Heilpflanzen. Meine Aufgabe als Schamane ist es, die Heilpflanzen allen Menschen zugänglich zu machen. Deswegen verbringe ich mittlerweile etwa die Hälfte des Jahres damit, umherzureisen und Ayahuasca-Zeremonien im Ausland anzubieten.

Anzeige

Woran leiden denn die Europäer?
Anders als in Südamerika, wo die meisten Menschen an ihrer ökonomischen Situation leiden und um existentielle Probleme kämpfen, leiden die meisten Menschen im Westen hauptsächlich an Stress. Sie finden in ihrem hektischen Alltag kaum Zeit, um sich um ihren Geist zu kümmern. Deshalb haben viele von ihnen das Bedürfnis, sich von diesem System zu befreien. Oder aber sie leiden an persönlichen Traumata, die sie alleine nicht überwinden können. Einige verspüren auch bloss den Drang, ihr Innenleben zu erkunden. Unser homöopathischer Ansatz ermöglicht den Menschen, ihren Körper und ihre Seele zu reinigen und zurück zu ihrer Spiritualität zu finden.

Geht von der Pflanze auch eine Gefahr aus?
Die Wirkung der Pflanze ist sehr intensiv, aber grundsätzlich nicht gefährlich—solange sie von einem ausgebildeten Schamanen, der sich mit dem anzestralen Erbe der indigenen Tradition auskennt, richtig angewendet und verabreicht wird. Gefährlich wird es aber, wenn sich irgendein Scharlatan, der sich vielleicht zwei Monate mit der Medizin beschäftigt hat, als Schamane ausgibt und Leuten die Medizin verabreicht, ohne genau zu wissen, worauf er sich einlässt.

Kommt das oft vor?
Dieser Neoschamanismus wuchert leider immer mehr und hat auch schon zu einigen Todesfällen geführt. Die Verwendung der Pflanze erfordert ein tiefes Wissen über ihre Herkunft und die Traditionen der indigenen Kultur, welche über Generationen hinweg gelernt hat, wie die Pflanze funktioniert.

Anzeige

Gibt es denn eine Organisation, welche echte Schamanen lizenziert?
Das Problem ist, dass Schamane kein geschützter Titel ist. Die International Labour Organization (ILO) reguliert in der Konvention 169 zwar die Arbeit der Schamanen, aber es gibt kein globales Lizenzsystem.

Sie haben dieses Wochenende eine Ayahuasca-Zeremonie im Raum Zürich durchgeführt. Von wie vielen Personen und aus welchen Beweggründen wurde sie besucht?
Wir haben am Wochenende drei Leute behandelt. Die erste Person kam wegen Suchtproblemen, die zweite wegen körperlicher Beschwerden und die dritte wegen Depressionen. Also allesamt Patienten mit unterschiedlichen Beschwerden.

Matratzen und Brech-Eimer: Der Schauplatz der Ayahuasca-Zeremonie irgendwo im Raum Zürich.

Wenn sie jemanden heilen und bei dieser Person negative Energien freisetzen, nehmen sie diese dann in sich auf, oder wie funktioniert der Heilungsprozess genau?
Es ist möglich, dass sich die negative Energie in uns Schamanen niederlassen will, aber wir beherrschen eine Technik, die uns davor schützt, den Schmerz zu übernehmen. Als Schamane assistiere ich die Patienten bloss im Heilungsprozess, die Heilung selbst geht von der Pflanze aus.

Ich sehe, Sie haben eine Gitarre im Handgepäck. Welche Rolle spielt die Musik innerhalb der Zeremonie und des Heilungsprozesses?
Musikinstrumente helfen dabei, Energien freizusetzen und zu kanalisieren. Mit den unterschiedlichen Frequenzen der Instrumente können unterschiedliche Energien gelöst und kontrolliert werden.

Anzeige

Während meiner Ayahuasca-Erfahrung war ich komplett in meinem eigenen Film. Von den anderen Teilnehmern habe ich praktisch nichts mitbekommen. Wie sieht eine Zeremonie aus Ihrer Perspektive aus? Können Sie in die unterschiedlichen Prozessse der Teilnehmer hineinschauen?
Grundsätzlich ja. Ich habe die Fähigkeit, in deine Reise einzusteigen und diese auch zu beeinflussen. Ich mache das aber nur im Notfall. Normalerweise reicht es, wenn ich die einzelnen Prozesse der Teilnehmer von aussen kanalisiere. Den Rest erledigt die Pflanze.

Zudem spürte ich die Geister meiner Vorfahren und die des Schamanen. Danach fühlte ich, dass mich für eine Weile der Geist der Schlange besessen hatte. Was genau ist da vorgefallen?
Die Medizin setzt dich in direkte Verbindung mit Mutter Erde, der Natur und dem Universum. Welche Energien und Geister du dabei anziehst, hängt aber von dir selbst ab. Es ist gut möglich, dass du den Geist deines Tieres gespürt hast oder damit in Verbindung getreten bist.

Wir sind gerade an einem Flughafen, alles hier ist durchrationalisiert. Gestern haben Sie sich noch in einer ganz anderen Welt befunden. Wie wechseln Sie zwischen diesen gegensätzlichen Welten, ohne dabei verrückt zu werden?
Die Aufgabe von uns Schamanen ist es, zwischen der materiellen und der spirituellen Welt zu vermitteln. In der Zeremonie befinde ich mich in der spirituellen Welt. Hier am Flughafen verhalte ich mich aber wie ein normaler Mensch. Meine Vorfahren haben mir eingebläut, mit den Füssen auf dem Boden zu bleiben. Ich mag keine Fanatiker. Ich lebe einen normalen Alltag. Ich verhalte mich im Alltag nicht wie ein Schamane. Sonst würden mich die ganzen Energien im Alltag auch tangieren.

Die gestiegene Nachfrage nach Ayahuasca führt auch zu Problemen: Der Preis der Heilpflanze ist markant angestiegen und der Bestand der wildwachsenden Liane nimmt ab. Muss die Medizin vor ihrem Hype und der damit verbundenen Kommerzialisierung beschützt werden?
Das ist eine komplexe Frage. Wir befinden uns sicherlich in einer kritischen Zeit. Die Pflanze erschliesst sich momentan einem ganz neuen Publikum, das sehr wenig über die indigene Kultur weiss, aus der die Pflanze herkommt. Deswegen ist es zunächst wichtig, das indigene Erbe anzuerkennen. In unserer Kultur gibt es keine Patente, die Medizin gehört Mutter Erde. Dass gewisse Pflanzen von Scharlatanen nun ausgebeutet werden, um egoistische Triebe zu befriedigen, bedroht die Anerkennung dieser Pflanzen. Weswegen viele momentan auch verboten werden. Aber ich sehe auch das Potential, dass die Pflanze allen Menschen helfen kann. Schlussendlich liegt es am Umgang des Menschen mit der Pflanze.

Welche Voraussetzung muss man mitbringen, damit man an einer Zeremonie teilnehmen darf?
Unsere Zeremonien sind grundsätzlich für alle offen. Jedoch sollte man unvoreingenommen, respektvoll und mit positiver Energie ausgestattet sein. Und man sollte keine Herz-Kreislaufprobleme aufweisen.

Philippe auf Twitter.
VICE Schweiz auf Facebook und Twitter.