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Der Ein-Maurer und unsere Freunde ohne Menschenrechtskonvention

Ueli Maurer will raus aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Foto von Palrogg

Bundesrat Maurer würde gern die Menschenrechtskonvention aufkündigen, weil sie mit Schweizer Recht kollidiert. Diesen Satz kann man sich gerne rasch auf der Zunge zergehen lassen: Das Schweizer Recht ist in Maurers Augen mit der Menschenrechtskonvention derart unvereinbar, dass man die Konvention aufkündigen sollte, nicht etwa das schweizer Recht ändern.

Mit Wehmut denken wir an die kurze Phase in der Maurer sowas wie „Der Vernünftige" in der SVP war. Als man ihn aus dem reaktionären Eck der eigenen Partei noch angegriffen hat. Da dachten wir noch: Maurer ist erst Staatsmann und nur in zweiter Linie Parteidrohne. Für jemanden aus der Zürcher SVP durchaus eine Leistung.

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Foto von Surselva; Flickr; CC BY 2.0

Diese Zeiten sind leider vorbei. Maurer ist es offenbar wichtig, von der Parteibasis wieder als präfaschistischer Juggernaut wahrgenommen zu werden, als einer, der die Parteilinie „Wir gegen alles und jeden" unterstützt.

Das ist aber unvereinbar mit seiner Funktion als Bundesrat, denn offenbar muss die Parteidrohne Maurer so extrem dämliches Zeug machen, wie das Bekenntnis zu den Menschenrechten in Frage zu stellen.

Es ist zwar schon lange klar, dass die „humanitäre Tradition" der Schweiz genauso zur Märchenwelt gehört, wie diese „Neutralität", von der immer alle sprechen. Wir Schweizer sind keine Samariter, wir haben kein Interesse daran, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Normalerweise nutzen wir den Begriff „humanitäre Tradition", um uns für unseren überschwänglichen Reichtum zu rechtfertigen. Oder als ein bürgerliches Gewissen, das in Debatten gerne bemüht wird, aber nicht die echte Politik bestimmt. Eine Fabel, die uns halt erzählt wird, damit wir wieder beruhigt einschlafen.

Foto von Palrogg; Wikimedia Commons; CC BY-SA 3.0

Nun ist diese Fabel eben auch nicht ganz ohne Macht. Sie machte die Schweiz zu einem kleinen Mitspieler in der internationalen Politik. Wir sichern zum Beispiel seit mehr als 60 Jahren den Frieden an der Nord-/Südkoreanischen Grenze. Diverse Hauptsitze von wichtigen NGOs finden sich in der Schweiz, etwa die UNESCO oder die WTO. In zwei Wochen trifft sich die OSZE in Basel. Wir sitzen an einem Tisch mit dem fortschrittlichen Westen und haben dort gar eine Sonderrolle inne.

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Das wäre vorbei, würden die Dinge so laufen wie Maurer sie sich anscheinend wünscht. Dann wären wir in einem neuen Staaten-Club (Vielleicht ist „Staatengang" der bessere Begriff für unsere neuen Freunde mit Streetcredibility.) Sie haben knapp genug Mitglieder für einen Verein, die drei europäischen Staaten, die die Menschenrechtskonvention ablehnen:

Der Vatikan
Mit dem Vatikan verbindet uns eine lange Geschichte. Seit dem 16. Jahrhundert Schicken wir regelmässig aufrechte Schweizer Katholiken in die Arme der päpstlichen Schweizergarde. Diese sollen dort zu jeder Zeit über den Heiligen Vater und seinen Lebensraum wachen. Ist eigentlich ziemlich gut nachvollziehbar, dass unser Verteidigungsminister diese Jahrhunderte alte militärische Zusammenarbeit intensivieren will, denn vielleicht gäbe es mit der Schweizer Garde Joint Venture-Optionen. In der Luftraumsicherung oder so.

Foto von Fotostuff4u; Flickr; CC BY 2.0

Die Schweiz teilt ohnehin vieles mit dem katholischen Gottesstaat: Wir igeln uns ähnlich mit unserem Reichtum in eine politische Burg ein und waren ähnlich gross im Hexen verbrennen. Die UNESCO würde den Hauptsitz wahrscheinlich aus der Schweiz abziehen, aber die freiwerdenden Büroräumlichkeiten könnten wir ja dann locker an andere internationale Organisationen wie die heilige Inquisition oder Opus Dei weitervermieten.

Weissrussland
Bis vor ein paar Jahren hatten Weissrussland und die Schweiz mehr gemeinsam: Moritz Leuenberger war nach dem Weissrussischen Präsidenten Lukaschenko das europäische Regierungsmitglied, das am längsten im Amt ist. Aber Leuenberger ist mittlerweile abgetreten und Lukaschenko bleibt an der Macht. Lukaschenko unterdrückt Oppositionelle—und zwar nicht mit schiefen Metaphern wie früher Moritz Leuenberger. Aber die Schweiz und Weissrussland verbindet wenig:

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2008 hat Weissrussland das erste Kernkraftwerk gebaut. Bei uns will man scheinbar, irgendwie, vielleicht, irgendwann aus der Kernenergie aussteigen. Nach dem Tod vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez gab es in Weissrussland eine dreitägige Staatstrauer. In der Schweiz hat wahrscheinlich nur die Mitgliederversammlung der Juso Zürich Oberland eine Schweigeminute gehalten.

Foto von F.W.Step; Wikimedia; CC BY 3.0

Am ehesten finden wir uns bei der Wirtschaftsleistung: Weissrussland hat ein BIP von 7500 Dollar pro Weissrusse. Das Schweizer BIP pro Kopf ist zwar mehr als zehnmal höher, aber wenn bald nur noch 20 000 Leute pro Jahr ins Land können und die nicht mal Garantien haben, dass die Menschenrechte eingehalten werden, sind wir wohl bald auf demselben Stand.

Kosovo
Pavarsia e Kosoves! Das haben wir früher im Geografieunterricht auf unsere Pulte gekritzelt. Kosovarische Banknachbarn haben das goutiert. Das Land war ganz neu; das machte es interessant. Calmy-Rey hat gelächelt; auf den Schweizer Strassen haben Leute gehupt. Und es war ja auch etwas Spezielles, dass die 80 000 Kosovo-Albaner, die in der Schweiz leben—etwa 5.5% der Kosovaren überhaupt—endlich einen Staat bekamen.

Foto von Fidan Bela ; Wikimedia; CC BY 3.0

Aber das kleine Land, dessen Flagge an die EU-Flagge erinnert und dessen Hymne „Europa" heisst, hat zwar eine enge Bindung zur Schweiz (Shaqiri! Granit Xhaka!), aber mehr, da wir die Leute kennen und mögen, die im Kosovo ihre Wurzeln haben. Nicht weil wir es erstrebenswert fänden, Roma als „Kollaborateure" zu beschimpfen, zu jagen und umzubringen oder einen Präsidenten möchten, der Berufserfahrung in der Branche „illegaler Organhandel"hat. (Vielleicht wollen das einige Schweizer schon. Weiss nicht, ob meine Meinung repräsentativ ist.) Und hey: Im Kosovo gibt es nicht mal Interrail.

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Das wären also unsere neuen Freunde. Zwei von drei haben eine noch kleinere Fläche als die Schweiz. Mindestens einer von ihnen könnte es sich nicht leisten, das Land so hermetisch abzuriegeln, wie es sich einige „Einmaurer" vielleicht für die Schweiz erträumen.

Die frohe Botschaft: Der Nachwuchs unserer Fussballnati wäre trotzdem sichergestellt. Junge, arbeitslose Männer aus der Innerschweiz könnten weiterhin im vatikanischen Ausland Arbeit finden und dem Papst dienen. Und ja … Mit Weissrussland stünden wir auch gut. Was immer das bringt. Vielleicht gäbe es , wenn Ueli Maurer irgendwann stirbt, drei Tage Staatstrauer „in der letzten Diktatur Europas".

Auf Twitter kannst du uns gerne erzählen, in welchen Staat ohne Menschenrechte du deine Ferien am liebsten verbringst:

Benjamin auf Twitter:@biofrontsau

Till auf Twitter:@Trippmann