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Short People: Wie Österreichs wohllebige linksgrüne Bobo-Spießer die Demokratie ruinieren

Josef S., Renato S.: In Österreich geschehen krasse Ungerechtigkeiten, die in anderen Ländern Tausende Menschen auf die Straße bringen würden. Nicht aber bei uns, wo eine neue Schicht wohllebiger linksgrüner Bobo-Spießer Republik und Demokratie verrät.

Fotos von den Demonstrationen rund um den Akademikerball von VICE Media.

Dieser Artikel ist Teil unserer Berichterstattung zum Akademikerball.

In Österreich geschehen krasse Ungerechtigkeiten, die in anderen Ländern Tausende Menschen auf die Straße bringen würden. Nicht aber in der selbstverliebten und allen Unbill verdrängenden Alpenrepublik, wo vor allem eine neue Schicht wohllebiger linksgrüner Bobo-Spießer den Rückzug ins Private antritt und so Republik und Demokratie verrät. Ein Gastbeitrag von Manfred Klimek.

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Ein junger Mann steht vor Gericht. Monatelang war er in Untersuchungshaft. Er hat keine Personen angegriffen, niemandem ein Messer an den Hals gesetzt. Er hat niemanden hintergangen, hat nichts aus einem Laden gestohlen, ist von keiner Tankstelle abgefahren, ohne zu zahlen. Er kommt aus bürgerlichem Haus, ist unbescholten und auch gewillt, sich allen Anschuldigungen zu stellen. Denn er sieht sich als Ehrenmann, als Avantgarde, die dafür einstehen muss, was sie in ihrem Furor anrichtet.

Trotzdem wird dieser Mann eingekerkert und die absurde Einkerkerung von blindwütigen Staatsanwälten bar jeder Relation auch noch verlängert; von einer rachsüchtigen, außer Rand und Band geratenen, weit ins rechte Eck abgedrifteten österreichischen Schandjustiz, die offenbar glaubt im Sinne des Volkes und der Rechtspflege mit brutaler, knechtender Härte durchgreifen zu müssen. Es sind Ordnungskräfte nahe am Verbrechen, die ein wirklicher Rechtsstaat als Verbrecher erkennen und bekämpfen müsste; es sind Leute, die—wenn man sie nur ließe—wohl auch die „schwere Haft in Ketten" wieder einführen würden, die quälen und abschrecken wollen. Aber das soll nicht das Thema sein.

Foto von Josef nach seiner Festnahme.

Der Mann, von dem die Rede ist, heißt gar nicht Josef S. Und wurde auch nicht gestern zu zwölf Monaten Haft (acht Monate teilbedingt) verurteilt; der Mann von dem die Rede ist heißt Renato S., nennt sich „Puber" und ist Sprayer. Man kann von seiner Kunst halten, was man will. Man kann sie als Beschädigung öffentlichen Eigentums erkennen, oder als Verschönerung hässlicher Bausubstanz. Man kann und darf ihn anklagen. Aber es ist mehr als grenzwertig, ihn monatelang von der Welt abzuschneiden und in Handschellen zum Richter zu bringen. Sinn dieser langen Untersuchungshaft ist es, die Beschuldigten schon vor dem Richterspruch, vor dem Nachweis der Schuld, eine lange Strafe verbüßen zu lassen. Ein solcher Staat ist kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat. Einer vormodernen Demokratie gleich, mehr aber noch einer lateinamerikanischen oder osteuropäischen Polizeistaatsdiktatur mit pseudodemokratischem Alltag.

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Österreichs Justiz ist in einem schrecklichen Zustand. Ebenso Teile des Polizeiapparats, des Bundesheers, der öffentlichen Verwaltung. Die Wirtschaft sackt ab, die Regierung torkelt durch ihre Legislaturperiode, Kanzler und Vizekanzler machen den Eindruck, ihr Geschäft nicht mal ansatzweise zu verstehen. Noch nie wurde Österreich so schlecht regiert; noch nie wurde ein gut aufgestelltes Land mit einer gesellschaftlich auf Ausgleich eingestellten Bevölkerung, der man viel abverlangen kann, derart an die Wand gefahren.

Puber im Zeugenstand. Copyright VICE Media

Und? Regt das jemanden auf? Nein! Nicht, dass es den Anschein hat. Wo waren die großen Demonstrationen für Josef S., die im gleichem Fall in Berlin, Köln, Frankfurt und sogar in München stattgefunden hätten? Hat sie jemand gesehen? Ich nicht.

Wo war die engagierte Öffentlichkeit? Wo waren vor allem die wohllebigen, multikulturell und gesellschaftlich engagierten Dauerbesucher von Karmeliter-, Yppen-, Nasch- und sonst wo Multikulti-Bobo-Markt, die ihre Empörung gerne wie ein Schild vor sich tragen? Wo waren die Fair-Trade-Bedenkenträger-Grünen, die Radweg-Verfechter, die Verkehrberuhigungs- und Fußgängerzonen-Fanatiker, die sich in ihren Innergürtelbezirken als Hüter des richtigen Lebens gerieren und ihren Lebensstil dem Pöbel als Vorbild oktroyieren? Sie waren daheim und haben sich die neue Staffel einer amerikanischen Fernsehserie reingezogen und darüber in sozialen Medien referiert.

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Foto von David Bogner, VICE Media

Wenn es um die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße ging, dann waren diese Leute schnell und proklamativ mit einer lauten Meinung zugange. Wenn aber eine willkürlich agierende Politjustiz Menschen einkerkert, die an einem Protestzug teilnehmen, der sich gegen Leute richtet, die den Mord an Millionen Juden relativieren, dann schweigen die Engagierten, dann bleibt die Straße leer.

Das hat zwei Gründe. 1.) Die linkskorrekten, grünen Bobos—egal ob sie in Wien, Graz oder Innsbruck leben—sind feige bürgerliche Spießer, die Angst haben, gegen das System aufzustehen, weil sie denken, das System lässt sie in ihren kleinen Bezirken in Ruhe, wenn sie sich nur nicht in das große Ganze einmischen. Und 2.) Die linkskorrekten, grünen Bobos erkennen, dass ihre lächerliche Art von Protest—dieses systemkonforme Spazierengehen mit anschließendem Fluchtachterl-Trinken—nichts ausrichtet. Lichtermärsche, Menschenketten, Pfeifkonzerte—alles sinnlos. Josef S. hat sie als Versager vorgeführt. Er war es—und auch der Schwarze Block—, der die Nazis aus der Hofburg vertrieb. Weil sein Auftreten, sein Engagement, wohl etwas weiter ging, als sich die wohllebigen Wiener Bobos Engagement vorstellen.

Copyright VICE Media

Denn für diese Leute ist alles ein Witz, alles muss eine ironische Brechung haben, einen kabarettistischen Hintersinn, hinter dem man sich feig verstecken kann. Für diese Leute darf nichts offensichtlich werden, denn dann wird offensichtlich, dass ihr Versagen ein Teil des Demokratie-Abwrack-Unternehmens ist, des Raubzuges der Rechten, die ihnen großzügigerweise eine Enklave in Selbstverwaltung überlassen.

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Diese Leute bejubeln in elendslangen Facebook-Einträgen, dass Tex Rubinowitz den Bachmann-Preis gewonnen hat (auch so ein Witz), finden aber nicht ein Wort für Josef S., Puber und andere Opfer rechter Rechtsstaat-Recken. Während sich anderswo Menschen vor Fahrzeuge legen, wenn Flüchtlinge deportiert werden, liegen die österreichischen linksgrünen Bobo-Spießer (wohltuende Ausnahme Vorarlberg) in ihren Bettchen und schlummern den Schlaf der Gerechten. Denn Protest geht ans Eingemachte. Da kann man schon mal einen Polizeiknüppel auf den Kopf oder Pfefferspray ins Gesicht bekommen. Aua, das tut ja weh!

Wiener Innenstadt während der Proteste gegen den Akademikerball. Foto von VICE Media.

Mir schwebt ein Bild vor, das ich in meiner Heimatstadt Berlin gesehen habe. Es war vor vier Jahren und ich habe mich mit vielen Tausenden Menschen an einer Sitzblockade gegen die NDP beteiligt, die einen genehmigten Demonstrationsmarsch durch Prenzlauer Berg und Mitte hin zum Brandenburger Tor veranstalten wollte. In der Schönhauser Allee wurde ich gemeinsam mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und anderen Abgeordneten der SPD, Grünen, ja selbst der CDU (!) verhaftet und zu einer Geldstrafe verdonnert.

Als ich freigelassen nach Mitte ging, löste sich ein versprengter Haufen Nazis ab und lief in Richtung Rosenthaler Platz, um von dort nach Unter den Linden vorzustoßen. Der Polizei geriet das Geschehen außer Kontrolle. Doch als die Nazis die Torstraße erreichten, stellte sich ein alter Mercedes quer, aus dem vier Männer in gutgeschnittenen Anzügen sprangen. Werbung, Medien, besseres Start-Up—ungefähr diese Kategorie. Berliner Bobos, wie sie im Buche stehen. Der Größte von ihnen ging auf die Nazis zu und schrie: „Verpiss dich aus meinem Bezirk". Da war er schon nicht mehr alleine, denn aus dem Deli und dem Armano kamen Leute hinzu. Und der Durchmarsch der Faschos war beendet.

Das ist eine Szene, ein Geschehen, das ich in Wien nie erleben werde. Und deswegen wird alles so bleiben, wie es ist. Die Feigheit der Wohllebigen ist Teil des Verbrechens. Man wird sie dereinst fragen, wo sie waren. Als es ums Ganze ging. Auf der richtigen Seite wohl. Egal, welche Ziele verfolgt werden: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

Eine Antwort auf Klimek: Ja, mit linksgrüne Bobo-Spießer sind wir alle gemeint!