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islamischer staat

Junge Frauen erzählen, wie es ist, unter der Herrschaft des IS zu leben

"Ich habe mich so gefürchtet. Wann immer ich rausging, musste ich mein Gesicht und meine Hände bedecken und einen Mann dabeihaben. Das ist keine Freiheit."
Salih zeigt ein Foto von den Ruinen ihres Elternhauses | Foto: Tommy Trenchard | Oxfam

Diesen Sommer atmete die Welt ein wenig auf. Nach neun Monaten erbitterter Kämpfe vertrieb das irakische Militär im Juli 2017 endlich die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) aus Mossul. Doch der Kampf um die nordirakische Großstadt hat tiefe Spuren der Zerstörung hinterlassen. Wo einst Familien wohnten, stehen nur noch Ruinen; die Einwohner sind vom Krieg gezeichnet, seelisch und körperlich.

Die heutige Teenager-Generation von Mossul kennt nichts anderes als ein Leben im Konflikt. Sie wurde kurz vor oder während des Irakkriegs geboren, wuchs unter US-Besatzung auf und sah kurze Zeit später, wie der IS den Bewohnern seine grausame Herrschaft aufzwang. Mossul war drei Jahre lang von den Dschihadisten besetzt. Trotz des schweren Traumas und der Not, die sie erlitten haben, sind die Bewohner von Mossul entschlossen, ihre Stadt aus den Ruinen neu aufzubauen.

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Der internationale Hilfs- und Entwicklungsverbund Oxfam warnt vor den Langzeitfolgen, die Jugendliche aus einem Krieg davontragen. Der Oxfam-Bericht "We Have Forgotten What Happiness Is" beschreibt das Trauma, das die IS-Besatzung verursacht hat.


Auch bei VICE: Mit der Goldenen Division gegen den Islamischen Staat – Der Weg nach Falludscha


Die Jugendlichen haben wertvolle Jahre verloren, in denen andere Kinder in ihrem Alter zur Schule gehen konnten. Frauen und Mädchen wurden zu Gefangenen in ihren eigenen Häusern – unter der IS-Herrschaft durften sie nur noch mit einem männlichen Aufpasser in die Öffentlichkeit. Viele Menschen starben in den Kämpfen, noch mehr wurden verletzt.

Die Mutter und Schwester der 15-jährigen Malak kamen um, als eine Bombe ihr Haus traf. Salihs zehnjährige Schwester starb bei einem Luftangriff. Die Beine der 17-jährigen Zahra brachen, als Schutt sie begrub. Es sind diese jungen Frauen, die für den Irak eine bessere Zukunft erkämpfen wollen und werden. Zahra möchte Lehrerin werden, Salih will einmal als Schneiderin arbeiten und Malak will wieder zur Schule gehen. Die drei haben ihre Geschichten mit VICE geteilt.

Die Namen wurden zu ihrem Schutz geändert.

Zahra, 17

Zahra in ihrem Haus in Qayyara, einem Vorort von Mossul, der bereits Ende 2016 befreit wurde | Foto: Tommy Trenchard | Oxfam

"Ich bin hier aufgewachsen und kannte alle hier. Ich war glücklich, bis mein Onkel entführt wurde. Als der IS kam, wollten wir fliehen, aber der IS exekutierte alle, die versuchten zu gehen. Also blieben wir.

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Ich hatte große Angst um meine Sicherheit, also blieb ich zu Hause. Dem IS war jede Ausrede recht, um Menschen zu töten. Ich habe mich so sehr gefürchtet. Wann immer ich rausging, musste ich mein Gesicht und meine Hände bedecken und einen Mann dabeihaben. Das ist keine Freiheit.

Drei Tage vor der Befreiung unseres Dorfs gelang uns die Flucht. Ein Haus neben unserem wurde in den vorausgehenden Kämpfen zerbombt. Auch unser Haus wurde dabei halb zerstört, ich wurde dabei verletzt und hatte Knochenbrüche in beiden Beinen. Ich konnte mit meiner Mutter, meinem Bruder und meiner Schwester entkommen. Mein Vater blieb, weil er Angst hatte, dass sie uns unser Haus nehmen würden. Wir gingen zuerst nach Machmur und dann nach Kirkuk, um meine Brüche behandeln zu lassen.

Jetzt wo der IS weg ist, fühle ich mich wieder sicher. Ich gehe wieder zur Schule, ich möchte studieren und dann arbeiten. Ich bin sehr glücklich, dass wir in unser Dorf zurückkehren konnten und dass alle Familien vereint sind. Ich möchte viel lernen und dann als Lehrerin arbeiten. Und zwar hier, denn hier gehöre ich hin. Ich will gar nicht woanders wohnen. Ich wünsche mir, dass alle lernen und sich bilden und den Irak wiederaufbauen."

Salih, 20

Foto: Tommy Trenchard | Oxfam

"Als der IS kam, zwangen sie uns, uns zu verhüllen und nur in Begleitung eines Mannes rauszugehen. Wir versuchten zu fliehen, aber der IS ließ uns nirgends hin.

Dass wir nur in Begleitung aus dem Haus durften, war das Schwierigste am Leben unter dem IS. Sie haben von der Moschee aus regelmäßig verkündet: Wenn ein Mädchen allein rausgeht oder nicht verhüllt ist, werden sie einen ihrer Brüder töten.

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Wir wollten fortgehen, aber es war so furchterregend. Wir sahen ja, dass sie ganze Familien hinrichteten, die fliehen wollten. Als die Kämpfe uns erreichten, gab es Luftangriffe. Meine kleine Schwester wurde dabei getötet und mein Vater verletzt.

Irgendwann gelang es meiner Familie zu fliehen. Als die Kämpfe aufhörten, fragten meine Mutter und mein Vater uns Kinder, ob wir wieder zurück wollten. Wir sagten Ja. 'Selbst wenn unser Haus zerstört ist?', fragten sie. Und wieder sagten wir Ja.

Ich bin froh darüber, dass der IS jetzt weg ist. Aber ich bin auch traurig, weil wir kein eigenes Zuhause mehr haben und meine Schwester gestorben ist. Daran denke ich sehr viel. Ich will, dass wir unser Haus an derselben Stelle wiederaufbauen. Ich will in dem Dorf bleiben, wo meine ganzen Verwandten wohnen – aber ich habe immer noch Angst, dass der IS zurückkommen könnte.

Ich träume davon, dass ich eines Tages aufwache und feststelle, dass unser Haus wieder steht. Und darin gibt es eine Nähmaschine, mit der ich Kleidung nähen kann."

Malak, 15

Foto: Tommy Trenchard | Oxfam

"Viele Leute flohen während der Gefechte, wir blieben. Dann traf ein Mörser des IS unser Haus. Meine Mutter und meine Schwester starben und mein Vater wurde verletzt.

Das Haar und die Haut meiner Mutter waren überall an der Wand verteilt. Inzwischen haben wir es weggeputzt, aber wenn ich dorthin zurückkehre, erinnere ich mich immer daran, was passiert ist, und denke an unsere Familie. Ich bin traurig, ich vermisse sie so sehr.

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Wir gingen in ein Lager, dort musste ich mich um meinen kleinen Bruder kümmern. Er schrie noch nach der Brust unserer Mutter. Ich wollte nicht in dem Lager sein, sondern wieder in unser Dorf gehen. Es war furchtbar heiß und in einem Zelt zu leben, war nicht gerade einfach. Für mich war es eine sehr schwere Zeit. Ich kochte und backte Brot, niemand half mir. Mein Vater war verletzt und konnte nichts machen.

Diesen Sommer sind wir zurückgekehrt, aber unser Haus ist zerstört. Jetzt wohnen wir im Haus meines Großvaters. Ich fühle mich jetzt frei – ich kann überall hin und mich frei bewegen, weil es sicher ist. Aber ich bin nicht glücklich. Alles ist OK, aber ich habe meine Mutter und Schwester verloren und bin noch immer tieftraurig.

Ich bin zu jung zum Heiraten. Ich will erst die Schule abschließen, bevor ich heirate. Dann würde ich gern nach Mossul ziehen, denn dort gibt es einfach alles – die Stadt ist sehr groß.

Wenn über Nacht alle meine Wünsche wahr werden würden, dann hätten wir ein neues Haus, bessere Lebensbedingungen, mehr Geld und ein neues Leben ohne Gefahr."

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