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Kinderehe

Ihre Mutter wollte sie mit 13 verheiraten – Meghla erzählt ihre Geschichte

Sie kämpft in Bangladesch gegen Kinderehen, auch wegen ihrer Familie: "Meine Cousine ist inzwischen Großmutter – mit 28."
Meghla, kurz nachdem sie vor EU-Parlamentariern und Entwicklungshilfe-Experten von ihren Erfahrungen mit Kinderehen berichtet hat | Foto: EDD Brussels

Ohne Ausweis, Pass und Geburtsurkunde hast du ein Problem: Du bist niemand. Meghla aus Bangladesch hat sogar zwei Geburtsurkunden. Doch das hätte fast ihr Leben zerstört. Nach ihrer richtigen Geburtsurkunde ist sie heute 18. Laut der zweiten, einer Fälschung, wäre sie 22. Ein korrupter Beamter hatte sie Meghlas Familie ausgestellt, damit diese sie verheiraten konnte, obwohl sie damals erst 13 war.

In Bangladesh wird laut UNICEF jedes fünfte Mädchen verheiratet, bevor es 15 Jahre alt ist. Auf dem Land heiraten sogar 71 Prozent aller Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr. Das ist eigentlich verboten, nach einer Gesetzesänderung 2017 unter "besonderen Umständen" jedoch wieder erlaubt. Weltweit leben über 650 Millionen Frauen, die als Minderjährige heiraten mussten und so ihrer Kindheit, Zukunft und jeder Chance auf Bildung beraubt wurden. Obwohl sie selbst noch im Wachstum sind, müssen sie den oft mehr als doppelt so alten Männern Kinder gebären. Die Folgen sind oft schwere psychische und körperliche Schäden, wie lebenslange Inkontinenz.

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Wir treffen Meghla bei den European Development Days in Brüssel. Auf der EU-Konferenz sind Anfang Juni 8.000 Menschen zusammengekommen, um über Entwicklungshilfe zu diskutieren. Meghla ist auf Einladung der Hilfsorganisation World Vision aus Bangladesh angereist und wirkt erschöpft. Eben saß sie noch mit EU-Parlamentariern und zwei Ministerinnen aus dem Niger auf einer Bühne. Für ihre Rede über Kinderehen bekommt sie mehr Applaus als alle anderen Teilnehmer zusammen. Sie will, dass andere von ihrer Geschichte erfahren.

VICE: Wie hast du herausgefunden, dass du verheiratet werden sollst?
Meghla: Als ich 13 war, sagte mir meine Mutter, dass sie meine Hochzeit arrangiert habe. Der Mann war 30 Jahre alt und lebte im Ausland. Ich kannte ihn nicht. Nicht mal meine Mutter kannte ihn. Ich wollte nicht heiraten, ich wollte zur Schule gehen. Trotzdem organisierte meine Mutter die Hochzeit, ohne mich zu fragen. Ich habe versucht, sie zu überzeugen, sich umzuentscheiden, aber es gelang mir nicht. Mein Vater war zu dieser Zeit nicht mehr am Leben.

Wie hast du dich gefühlt, als du erfahren hast, dass du einen Fremden heiraten sollst?
Das hat mir sehr weh getan. Meine Mutter hat nicht verstanden, dass ich nicht heiraten will. Es war, als wären ihr meine Gefühle egal.

"Ich war alleine gegen meine ganze Verwandtschaft."

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Warum hat sie das getan?
Meine Mutter lebt im Libanon. Ich wohnte mit meinen Bruder und meiner Schwester bei unserer Tante in Bangladesch. Als ich 13 war, schloss ich mich World Vision an und ging zu vielen Treffen und Workshops des Kinder- und Jugendforums. Das ist ein Ort, an dem wir über unsere Probleme sprechen und uns gegenseitig unterstützen. In Kursen habe ich viel über Gender-Ungerechtigkeit, Kinderarbeit, Kinderehen und andere Dinge gelernt. Meiner Familie gefiel aber nicht, dass ich als Mädchen alleine draußen unterwegs war und zu den Treffen ging. Also erzählte meine Tante meiner Mutter, dass ich einen Mann bräuchte, damit sich jemand um mich und meine Geschwister kümmert.

Was hast du dann gemacht?
Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich nicht heiraten will. Sie hat mir daraufhin gedroht, sich umzubringen. Das machte mir Angst. Also habe ich erst mal zugesagt, obwohl ich es nicht wollte. Am Tag, an dem die Hochzeit stattfinden sollte, hatte ich eine Prüfung in der Schule. Nach dem Test bin ich aber nicht mehr zurück nach Hause gegangen. Ich habe mich bei einer Freundin versteckt. Später in der Nacht bin ich dann doch zurück. Mein Onkel gab mir eine Ohrfeige. Meine Mutter rief mich drei Monate nicht mehr an und ich durfte nicht mehr zur Schule gehen. Ich habe eine riesige Familie und alle haben Druck auf mich ausgeübt, dass ich heiraten soll. Ich war alleine gegen meine ganze Verwandschaft. Irgendwann wurde meiner Mutter aber doch klar, dass sie im Unrecht war und wir näherten uns wieder einander an.

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Wie hast du das ausgehalten?
Ich wusste durch die Kurse, die ich besucht hatte, wie schlimm Kinderehen sind. Außerdem wurden auch meine Cousinen, meine Schwester und mein Bruder als Kinder verheiratet. Genauso wie meine Mutter. Da konnte ich sehen, wie das ihre Zukunftsaussichten verdüsterte. Eben noch waren sie am Leben und dann plötzlich wie tot. Ich wollte das aber nicht. Ich wollte meinen Traum leben und eine Ausbildung machen.

Wie sieht das Leben deiner Geschwister und deiner Cousinen heute aus?
Sie sind unglücklich. Sie fragen sich, warum sie so früh geheiratet haben. Eine Cousine wurde mit 14 verheiratet und hat mittlerweile vier Kinder. Keines ihrer Kinder geht zur Schule, eine ihrer Töchter wurde ebenfalls zwangsverheiratet. Inzwischen ist meine Cousine Großmutter – mit 28.

Warum tun die Eltern ihren Kindern das an?
Oft sehen die Familien keinen Sinn darin, ihre Töchter zur Schule zu schicken, weil sie nicht daran glauben, dass die mal einen Job finden. Die Lösung für so ziemlich jedes größere Problem lautet bei uns oft, das Kind einfach zu verheiraten. Dann muss sich jemand anderes darum kümmern, es zu versorgen.

"In meiner Gegend werden 40 Prozent aller Mädchen verheiratet, bevor sie 18 sind."

Seit du deine eigene Kinderehe verhindert hast, hilfst du auch anderen Kindern, die verheiratet werden sollen. Wie machst du das?
Beim Kinderforum haben wir verschiedene Ansätze. Wir geben Kurse, zu denen wir Schüler und Studenten einladen, aber auch ganz normale Leute. Auch ich gebe dort meine Erfahrungen weiter. In meiner Gegend werden 40 Prozent aller Mädchen verheiratet, bevor sie 18 sind. Deshalb versuchen wir, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Dabei werden wir von Lehrern unterstützt, aber auch die örtliche Polizeistation arbeitet mit uns zusammen. Wenn wir von einer Kinderehe erfahren, gehen wir als Gruppe zu den Eltern, um sie zu überzeugen, dass das schlecht für ihre Töchter ist. Wenn das nichts bringt, holen wir andere Leute aus der Gemeinde dazu und gehen gemeinsam zur Polizei. Oder wir bitten einflussreiche Leute aus der Gegend, uns zu helfen.

Kannst du ein Beispiel nennen?
Vor fünf Monaten sollte eine Freundin verheiratet werden. Sie war 13 und er war 18. Männer dürfen bei uns aber erst mit 21 heiraten und Frauen mit 18. Wir erfuhren erst zwei Stunden vor der Zeremonie davon. Es war nicht mehr genug Zeit, die Familien zu überzeugen, also bin ich mit anderen Mitgliedern des Kinderforums direkt zur Polizei geeilt. Nach langem Diskutieren gelang es uns gemeinsam mit der Polizei, das Mädchen und den Jungen vor der Ehe zu retten. In den letzten 18 Monaten konnte das Kinderforum 13 Kinderehen verhindern. Mir selbst ist das sieben Mal gelungen. Darauf sind wir sehr stolz.

Du hast heute vor vielen EU-Politikern gesprochen. Was sollten sie unternehmen?
Die EU muss noch viel mehr darüber aufklären, was in Bangladesch passiert. Dann braucht es wirkungsvolle Gesetze gegen Kinderehen und Kindesmissbrauch. Aber man muss den Leuten in den Dörfern auch erklären, warum ihre Bräuche anderen schaden. Außerdem sollte die EU ermöglichen, dass jedes Kind zur Schule gehen kann und in einer gewaltfreien Umgebung aufwächst. Wir wollen einfach Kinder sein.

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