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I said what I said

Warum Depressionen für mich als Woman of Color besonders schwierig sind

Für mich sind Depressionen wie eine Entführung. Jemand stülpt mir einen Sack über den Kopf, hält mich gefangen. Dabei sollte ich nach außen doch immer die "starke Schwarze Frau" geben.
Unsere Kolumnistin mit geschlossenen Augen
Foto mit freundlicher Genehmigung von Foto Buchacher

Dieser Artikel ist Teil unserer Kolumne 'I said what I said'.

Viele beschreiben Depressionen als ein Loch, in das man hineinfällt. Ich bin nicht gefallen. Für mich sind Depressionen wie eine Entführung. Jemand stülpt mir einen Sack über den Kopf, und ich werde gegen meinen Willen gefangen gehalten. Mein Körper ist schwer, mein Geist ist ermüdet.

Jede depressive Episode kommt für mich unerwartet, reißt mich aus meinem gewohnten Leben. Nichts schmeckt mehr, nichts macht mehr Spaß. In meinem Kopf rattert es auf und ab. Mein Gehirn ist wie ein Browser, in dem Tausende Tabs geöffnet sind. Ich gehe nicht raus, ich möchte mit niemandem reden.

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Ursachen für Depressionen gibt es viele. Traumatische Ereignisse können Depressionen auslösen, Stress und Überforderung auch, sie können aber auch einfach veranlagt sein. Oft sind mehrere verschiedene Faktoren beteiligt, die letztendlich zur Depression führen. Und es gibt mehrere Faktoren, warum es so schwer ist, sich diese Erkrankung einzugestehen – besonders auch für People of Color.


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Ich habe schon in meiner Kindheit gelernt zu funktionieren, nicht nachzugeben, wenn ich traurig oder überfordert war. Mein Leben lang versuchte ich, das Bild der "starken Schwarzen Frau" aufrechtzuerhalten, die nichts und niemand erschüttern kann. Die starke Schwarze Frau ist über die Jahre zu meinem Alter Ego geworden. Das Ganze habe ich so überzeugend gespielt, dass viele mich mit den Worten "Du bist doch so eine starke Frau!" trösten wollen.

Depressionen sind immer noch ein Stigma in unserer Gesellschaft, wer sie hat, gilt als schwach, und schwach ist schlecht. Und genau das ist das Problem. Gleichzeitig werden Depressionen nicht ernst genug genommen. Man solle sich zusammenreißen, sich nette Gedanken machen, oder "Man kann sich das auch selbst einreden", kriegen Betroffene zu hören. Selbst von mir nahestehenden Menschen habe ich diese gut gemeinten Floskeln gehört. Letztendlich fühlte ich mich nur noch weniger verstanden.

Es fiel mir wirklich schwer, mir selbst einzugestehen, dass ich depressiv bin, dass es mir definitiv nicht gut geht. Ich wollte nicht "schwach" sein, bis ich an einem Krisenpunkt angelangt war, an dem ich Hilfe annehmen musste. Wenn ich eins gelernt habe, dann dass Depressionen nichts mit Schwäche zu tun haben. Sie sind verdammt harte Arbeit.

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Und es gibt einen weiteren Grund, warum es mir schwer fiel, mir meine Depression einzugestehen: Für People of Color gilt eine Art Sippenhaftung. Da wir gerne als homogene, geschlechtslose Masse von Menschen gesehen werden, sind alle schuld, wenn einer etwas verbockt. Auch das zwingt einen, sich zusammenzureißen. Viele von uns werden davon aber auch angetrieben, Überdurchschnittliches zu leisten. Ein Ahmad aus Afghanistan, eine Fatma mit Kopftuch oder ein Bilal mit Vollbart müssen doppelt so hart arbeiten, um Jobs, Wohnungen und Anerkennung zu bekommen.

Mein Streben nach Exzellenz und Perfektion in allem, was ich tue, hat mich am Ende in den Wahnsinn getrieben. Als Schwarze Person muss man sich zuerst immer beweisen, zeigen, dass man genauso gut ist wie alle anderen auch. Die Symptome meiner Depression habe ich unter diesem Druck lange nicht erkannt, oder besser gesagt: erkennen wollen.

Depressionen sind nicht nur "Kopfsache". Ich litt an starken Magenschmerzen, Rückenschmerzen, Zähneknirschen, Appetitlosigkeit und extrem starken Kopfschmerzen. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, dass das alles die unliebsamen Begleiterscheinungen von Depressionen sind.

Es ist schon eine große Hürde, sich einem Psychologen gegenüber zu öffnen. Man muss jemanden finden, dem man vertraut, mit dem man sich wohl fühlt. Ich musste jemanden finden, mit dem ich auch offen und ehrlich über meine Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung sprechen kann.

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Ich habe die Konfrontation mit mir selbst durch viel Arbeit und eine Essstörung kompensiert. Mit mir allein sein war für mich unerträglich. Außerdem hatte ich große Angst, meinen Job zu verlieren. Mir war unbewusst klar, dass ich erstmal für eine längere Zeit ausfallen werde, wenn ich anfange, mich mit meinen Problemen zu beschäftigen. Das war eine weitere große Hürde, die mich lange davon abgehalten hat, mich untersuchen zu lassen.

Es fiel mir sehr schwer, mir professionelle Hilfe zu suchen. Ich habe jedes Mal stark mit mir gekämpft, wenn ich mich wegen meiner Depressionen in der Arbeit krankmelden musste. Selbst der Gang zum Arzt war für mich ein Kampf. Ich hatte Angst, dass ich mir das alles nur einbilde. Meine Ärztin hat zu meinem Glück sehr viel Verständnis für mich gezeigt. Endlich ehrlich sein zu können, sich nicht mehr verstellen zu müssen, war befreiend.

Auf meiner Suche nach der passenden Therapie habe ich gehofft, eine Person of Color zu finden, die diese anbietet. Leider wurde ich nicht fündig. Es ist allein schon eine große Hürde, sich einem Psychologen gegenüber zu öffnen. Man muss jemanden finden, dem man vertraut, mit dem man sich wohl fühlt. Ich musste jemanden finden, mit dem ich auch offen und ehrlich über meine Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung sprechen kann.

Lange Zeit konnte ich darüber gar nicht reden. Es gab einfach keinen Menschen in meinem Leben, der verstand, was in mir vorgeht. Wer Diskriminierung nicht erlebt, tut sich verständlicherweise schwer, das Trauma nachzuvollziehen. Es ist keine Seltenheit, dass People of Color harte emotionale Arbeit leisten müssen. Ich muss immer erst erklären, diskutieren und verhandeln, warum mich etwas verletzt, wenn ich über Rassismus spreche. Wenn ich mich erst erklären muss, dann ist es, als würde ich das gleiche Trauma wieder und wieder erleben. Systematische Hilfe für People of Color, die mit Depressionen leben, gibt es bisher noch nicht.

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Eine Pionierin im deutschsprachigen Raum auf diesem Gebiet ist Parissima Taheri-Maynard. Neben ihrem Masterstudium der Psychologie an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien nimmt sie nachts an internationalen Webinaren Teil, um diese Lücke zu füllen. Mit ihrem Projekt "Wir sind auch Wien" möchte sie einen Raum für People of Color schaffen, in dem man alle Stigmata und Vorurteile ablegen kann. Sie setzt sich dafür ein, Erfahrungen von Minderheiten im regionalen und internationalen psychologischen Diskurs miteinzubeziehen.

Ich erhielt eine Kündigung. Das war ein herber Rückschlag für mich und bestätigte meine Angst, dass man Nachteile bekommt, wenn man sich zugesteht, vermeintlich schwach zu sein. Heute weiß ich, dass meine Arbeit ein Teil des Problems war.

Als Women of Color hat sie den Bedarf von speziell auf People of Color zugeschnittenen psychologischen Angeboten erkannt und schafft nun ihr eigenes. Das macht Mut: Denn wir brauchen mehr People of Color in der Psychologie, um Diversität in einer bisher zum Großteil Weißen Wissenschaft zu schaffen.

Leider trat das für mich schlimmste anzunehmende Ereignis tatsächlich ein, als ich mich länger wegen meiner Depressionen krankmeldete. Ich erhielt eine Mail mit einer Kündigung. Damals war es ein herber Rückschlag für mich und bestätigte meine Angst, dass man Nachteile bekommt, wenn man sich zugesteht, vermeintlich schwach zu sein. Heute weiß ich, dass meine Arbeit ein Teil des Problems war. Die Kündigung war ein Weckruf für mich, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Dadurch bot sich mir auch die Möglichkeit, mir Zeit für mich selbst zunehmen und neu zu starten. In diesem Prozess habe ich mich und meine Bedürfnisse besser kennengelernt. Ich habe gelernt, mir meine Grenzen zu stecken und diese zu verteidigen.

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Das war die für mich bisher persönlichste und schwerste Kolumne. Depressionen begleiten mich seit meiner Kindheit. Es ist wichtig, dass wir beginnen, offen über Depressionen zu reden. Ich habe am eigenen Körper erlebt, wie es ist, so aus der Bahn geworfen zu werden. Ohne meine Freunde und meine Familie hätte ich es nicht geschafft, mich davon zu befreien. Es tat gut, endlich ausdrücken zu können, was mich beschäftigt. Ich möchte über meine Depressionen so frei sprechen können wie über eine Erkältung oder eine Magenverstimmung.

Traut euch Hilfe anzunehmen. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht.

Wenn es dir nicht gut geht, nimm Hilfe in Anspruch. Schicke diese Links einem Freund oder einer Freundin, wenn du glaubst, ihm oder ihr könnte das in der Situation als Betroffene oder Angehöriger helfen.

Kriseninterventionszentrum, finanziert durch öffentliche Stellen und Spenden: Montag bis Freitag, 10 bis 17 Uhr unter 01/406 95 95, sowie Beratung – persönlich oder via Mail – und psychotherapeutische Intervention unter www.kriseninterventionszentrum.at.

Telefonseelsorge der katholischen und evangelischen Kirchen in Österreich: Rund um die Uhr, gebührenfrei und vertraulich unter der Nummer 142 sowie www.telefonseelsorge.at.

Suizid-Prävention des österreichischen Gesundheitsministeriums: Erste-Hilfe-Tipps, Notfallkontakte und Hilfsangebote in den Bundesländern unter www.suizid-praevention.gv.at.

Das Österreichische Bündnis gegen Depression setzt sich mit anderen, europäischen Vereinen für eine bessere Diagnose und Behandlung depressiver Menschen ein und versucht, das Bewusstsein in der Öffentlichkeit – im Sinne einer Entstigmatisierung der Betroffenen – zu verändern: www.buendnis-depression.at.

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