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Mietwahnsinn

Ein Berliner Gericht fordert einen Schüler auf, Couch oder Balkon unterzuvermieten

Der geduldete Asylbewerber bat um eine Aufstockung seines BAföGs, um sich das Leben in Berlin leisten zu können.
Symbolbild: imago | Seeliger

Es hat sich rumgesprochen: Es scheint, als fiele es inzwischen leichter, Nessie in schottischen Dümpelseen zu finden als ein bewohnbares Zimmer in Berlin. Der Anstieg der Mieten führt zu überlaufenen WG-Castings und grotesken Anzeigen, in denen WGs 2,4 Quadratmeter große Balkonzelte für 250 Euro ausschreiben. Wenn man das Sozialgericht Berlin fragt, gibt es für solch Inserate aber gute Gründe: Das Gericht rät nun einem Schüler, Teile seiner 28 Quadratmeter großen Wohnung unterzuvermieten, um so seinen Lebensunterhalt zu sichern.

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Bei dem Bewohner handelt es sich um einen Asylbewerber, der als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland kam und einen Aufenthaltstitel mit Duldung besitzt. Er ist inzwischen volljährig und geht zur Schule. In Berlin lebt er ohne seine Eltern in einer 28 Quadratmeter großen Wohnung, für die er monatlich 325 Euro bezahlt. Für Miete und den Lebensunterhalt bewilligten ihm Behörden ein "großes Schüler-BAföG" in Höhe von etwas mehr als 500 Euro.

Doch weil das Geld nicht für Miete und Leben in der Großstadt reicht, stellte der Schüler einen Antrag auf ergänzende Sozialhilfe, oder anders gesagt: Er bat, sein BAföG aufzustocken. "Es besteht die Möglichkeit, den Regelsatz um einen Differenzbetrag zu erhöhen, wenn ein Härtefall begründet ist", erklärt der Anwalt des Schüler Jan Becker von der Anwaltskanzlei "Schindler Elmenthaler" gegenüber VICE. Und ein Härtefall liege aus seiner Sicht hier eben vor: "Der Schüler muss seine Existenz sichern, zumal er in Deutschland nicht arbeiten darf."

"Nicht unüblich, selbst in engsten Verhältnissen mit mehreren Personen zu wohnen"

Das Berliner Sozialgericht sieht das anders – und hat den Antrag abgelehnt. Die Wohnung "mag […] nicht besonders groß sein", heißt es in dem Schreiben, "jedoch ist es bei Studenten oder Auszubildenden in Großstädten keinesfalls unüblich, selbst in engsten Verhältnissen mit mehreren Personen zu wohnen." Deshalb empfiehlt das Gericht, "Schlafplätze in einem Zelt auf dem Küchenbalkon" oder einen "Schlafplatz auf der Couch" auf Tages- oder Monatsbasis unterzuvermieten. Dadurch würde dem Antragssteller wieder mehr Geld im Monat zur Verfügung stehen. Die Kanzlei will den Bescheid anfechten und hat deshalb eine Beschwerde beim Landessozialgericht eingereicht. Der Fall wird jetzt neu aufgerollt. "Einerseits ist es unserer Auffassung nach falsch, die Aufstockung nach aktueller Rechtslage abzulehnen", sagt Becker. Andererseits halte er die Gründe für die Ablehnung für nicht vertretbar. "Dadurch wird eine Person dazu gedrängt, sich in prekäre Wohnverhältnisse zu begeben, die teilweise sogar illegal sind."

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