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Nichts erzählt das Scheitern von Obike so gut wie dieser Instagram-Account

Weil das Mietfahrrad-Unternehmen offenbar pleite ist, könnte München jetzt auf Tausenden Schrott-Rädern sitzenbleiben.
Foto: Instagram | @sad_obikes

Wenn man zum ersten Mal hört, worüber sich viele Leute in München seit Monaten aufregen, fühlt man sich wie ein Ethnologe bei der Entdeckung einer neuen Zivilisation: irritiert – doch zugleich fasziniert darüber, was ausreicht, um bei diesem Volk die Sicherungen zum Glühen zu bringen. Über ein Jahr schon diskutiert man in München, wie unglaublich nervig die überall herumstehenden Mietfahrräder des Unternehmens Obike doch seien – Kreiz kruzefix Birnbaam und Hollastaun nochamoi. Der Bayerische Rundfunk schrieb von einer "Flut biblischen Ausmaßes", die TZ nannte das asiatische Unternehmen gewohnt weltoffen eine "gelbe Gefahr" und die Süddeutsche Zeitung zählte das Thema gar zu den "größten Aufregern in der Stadt".

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Viele Leute beließen es nicht beim Jammern, sondern warfen Obikes in die Isar, zersägten ihre Rahmen, oder türmten sie zu Schrotthaufen auf. Es gab selten ein Unternehmen, das so öffentlich in seine Einzelteile zerfiel. Und als die Firma Ende Juni in Singapur Insolvenz anmeldete, hatte das Internet längst den passenden Kommentar formuliert: Der Instagram-Account @sad_obikes sammelt seit September 2017 Fotos von in Flüssen verrottenden, an Basketballkörben und Straßenschildern aufgeknöpften Obikes auf der ganzen Welt. Denn nicht nur in München sind die gelben Fahrräder in etwa so willkommen wie ein Pickel auf der Nase eines Victoria's-Secret-Models.

Auf dem Instagram-Account und unter #obike finden sich mittlerweile über 20.000 Vorschläge für Dinge, die man mit einem Mietrad anstellen kann. Während viele Menschen darunter tatsächlich Fahrradfahren verstehen, fällt anderen vor allem eines ein: maximale Zerstörung. Zwar sammeln Hashtags anderer Unternehmen wie #mobike, #nextbike oder #lidlbike ebenfalls ein paar geschrottete Fahrräder, jedoch längst nicht im gleichen Ausmaß wie bei Obike. Deren misshandeltes Produkt tauchte selbst in einem Musikvideo von Peking Duk auf, zum passenden Titel "Wasted". Da darf man sich schon mal die Frage stellen: Woher kommt der beispiellose Hass gegen dieses sympathische Unternehmen aus Südostasien?

Man täte den Münchner Obike-Gegnern Unrecht, würde man sie als gelangweilte Großstädter im ethnologischen Archiv ablegen, die sich bloß ein bisschen zu sehr über eine städteplanerische Bagatelle aufregen. Denn Obike hat es in München einfach übertrieben. Im Sommer 2017 und wenige Monate bevor @sad_obikes online ging, verteilte das Unternehmen bis zu 7.000 Fahrräder fast über Nacht im Stadtgebiet. Die Münchner müssen sich gefühlt haben, als habe eine fremde Macht ihnen eine Technologie aufgedrängt, die sie längst besitzen. Weil die Nachfrage für die Obikes offenbar viel zu gering war, blieben manche Räder so lange stehen, dass Pflanzen über sie hinweg wucherten.

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Hinzu kam ein Datenleck, das viele Kunden nervte. Im März 2017 bestätigte das Unternehmen, dass weltweit Namen, Profilfotos, Kontaktinformationen und Bewegungsprofile von Nutzern öffentlich zugänglich waren. Maximal 100 Kunden seien laut Obike in Deutschland davon betroffen gewesen – die Empörung war trotzdem groß.

Auch in Singapur versuchte das Unternehmen, den Markt für Bike Sharing zu erobern, indem es den Stadtstaat mit Fahrrädern überrollte. Die Insolvenz legt nun nahe, dass diese Strategie nicht ganz aufging. Doch selbst wenn der deutsche Ableger ebenfalls pleite wäre, würde das für München wohl nicht das Ende dieses echt total schlimmen Problems bedeuten.

Gerade aufgrund der Insolvenz könnte sich nämlich am Ende keiner mehr für die verbliebenen 3.000 Obikes zuständig fühlen. Auf Anfragen der Stadt reagiere das Unternehmen nicht mehr, sagte Münchens Fahrradbeauftragter Florian Paul dem Bayerischen Rundfunk. Vor ein paar Wochen habe sich die Firma noch per Mail aus China gemeldet, seitdem herrsche Funkstille. Auch die PR-Agentur, die Obikes Pressearbeit koordinierte, ist nicht mehr zuständig. Deshalb ist im Moment noch nicht einmal klar, ob die Insolvenz deutsche Kunden überhaupt betrifft. Solange das Unternehmen noch existiert, kann München die Fahrräder jedenfalls nicht einfach einsammeln und verschrotten.

Ethnologisch gesehen darf der Schluss durchaus als zulässig gelten, dass sich auch künftig die Münchner selbst des Problems annehmen werden. Oder sagen wir so: Der Nachschub an Bildern völlig heruntergekommener Fahrräder im Netz wird so schnell nicht abreißen.

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