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Drogen

"Ohne Cannabis ist mein Tag die Hölle" - Franziska braucht medizinisches Marihuana

Franziska ist einer der 3.000 Menschen in der Schweiz, die medizinisches Cannabis konsumieren dürfen. Trotzdem kifft sie auch illegal.
Seit sie ihre Medikamente auf Cannabis umgestellt hat, kann Franziska klarer denken. Foto: Bruno Karl Stebler

Auch neun Jahre nach dem Unfall kann Franziska nur ihren Kopf bewegen. Den Rest ihres Körpers spürt sie nicht mehr, seit eine Windböe ihren Gleitschirm in die Luft riss. Sie stolperte und stürzte mit ihrem Kopf auf eine Wiese. Seitdem ist Franziska Tetraplegikerin. Wenn sie morgens aufwacht, hat sie sich die ganze Nacht lang keinen Zentimeter bewegt. Nach Stunden in der gleichen Position ist ihr Körper so steif, dass die Betreuerin der Spitex Schwierigkeiten hat, ihn zu bewegen. Franziska bemüht sich, freundlich zu sein. "Das arme Schwein ist extra wegen mir um 7 Uhr aufgestanden, die kannst du nicht einfach anschnauzen, weil du keinen Bock hast", denkt sie sich. Die Pflegerin führt einen Joint an Franziskas Lippen. Der erste Zug entspannt ihren Körper fast sofort.

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Franziska Quadri ist eine der Patienten, die Cannabis zu medizinischen Zwecken konsumieren darf. Wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gegenüber VICE sagt, gebe es davon hierzulande rund 3.000, Tendenz steigend. Seit sieben Jahren kann jeder Arzt Cannabisöl als Heilmittel verschreiben, sofern der Patient eine Sonderbewilligung vom BAG erhält. Das ist auch der einzig legale Weg, wie Franziska an Cannabis kommt. Die steigende Nachfrage nach medizinischem Cannabis nimmt auch der Berner Apotheker Markus Fankhauser wahr. Er ist der einzige, der medizinische Cannabis-Präparate herausgeben darf. Im Gespräch mit VICE sagt er: "In den letzten zwei Jahren sind die Gesuche nach medizinischem Cannabis exponentiell gestiegen. Zu Beginn hatten die Ärzte kaum eine Ahnung." Seit aber ein cannabishaltiges Spray für MS-Patienten auf dem Arzneimittelmarkt zugelassen sei, habe sich das Wissen über Cannabis als Heilmittel auch unter Ärzten verbreitet.

Weil aber Präparate wie Franziskas Tropfen, nicht im Leistungskatalog sind, werden die Kosten von den wenigsten Krankenkassen übernommen. So kann Franziska in der Apotheke monatlich zwei Fläschchen Cannabis-Tropfen beziehen, die je 550 Milligramm THC enthalten. Kostenpunkt pro Monat etwa 1.100 Franken. Das ist teuer und Franziska würde auch mehr benötigen. Die Menge, die ihr die Krankenkasse gewährt, reicht für vier Tage. Darum sieht sich die Zürcherin darauf angewiesen, zusätzlich zur Einnahme von Öl, Blüten zu rauchen. Vor allem, wenn man Cannabis über die Lunge aufnehmen wolle, müsse man sich strafbar machen. "Ich habe herausgefunden, dass ich mit den Tropfen den Spiegel im Blut halten kann. Aber nach ein bis zwei Stunden im Rollstuhl bekomme ich Nackenkrämpfe", erklärt Franziska. "Da hilft mir der Wirkstoff, den ich über die Lunge aufnehme, schneller."

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"Wenn ich aber daran denke, was man mir damals gegen die Schmerzen verabreicht hat – üblere Drogentrips kannst du gar nicht haben!"

Franziskas Vorgehen steht das BAG skeptisch gegenüber: "Wir erachten es als bedenklich, Patienten rauchbaren Cannabis als Arzneimittel zu verschreiben." Die Wirkstoffzusammensetzung in natürlichem Cannabis sei nicht stabil genug, um den Anforderungen eines Arzneimittels zu genügen. Um sicherzugehen, dass das Gras sauber ist, wünscht sich Franziska daher, dass man den Eigenanbau für Patienten legalisiert. "Oder Dispensaries eröffnet, wie in Kalifornien." Zudem gebe es mittlerweile mit Vaporizern andere Möglichkeiten, als das Gras mit Tabak zu mischen.

Welche Dosierung und in welcher Form ihr Cannabis am meisten hilft, musste Franziska in Eigenregie herausfinden: "Es gibt kaum Ärzte, die dir über die Medikation mit Marihuana Auskunft geben können. Ich glaube, die Angst einiger Mediziner ist es nach wie vor, dass es sich dabei um eine böse Droge handelt und Patienten sich damit abschiessen könnten." Aber psychoaktive Nebenwirkungen spüre sie keine: "Wenn ich aber daran denke, was man mir damals gegen die Schmerzen verabreicht hat – üblere Drogentrips kannst du gar nicht haben!"

Wenn Franziska einschläft und träumt, dann kann sie gehen.

Wenige Monate nach dem Unfall begannen für Franziska die neuropathischen Schmerzen, die meist aufgrund geschädigter Nerven entstehen. Dagegen bekam sie unter anderem starke Schmerzmittel wie Lyrica, Lioresal und auch Morphium verschrieben. "Vom Morphium musste ich zittern und erbrechen." Wegen der Medikamente landete sie mehrfach im Spital. "Ich merkte, dass ich mich damit regelrecht vergiftete." Franziska ist sich sicher: "Wenn ich damit weitergemacht hätte, wäre ich jetzt tot. Cannabis hat mir nicht nur Lebensqualität zurückgegeben, sondern auch mein Leben gerettet." Mittlerweile kann sie sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen. "Ich brauche das, sonst ist mein Tag die Hölle."

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Damit nicht auch andere Patienten die richtige Dosis und Kombination der Cannabis-Medikation selbst finden müssen, ist sie dem Verein für medizinisches Cannabis "Medcan" beigetreten. Dort gibt sie Informationen an Ärzte und andere Patienten weiter. "Wir schickten einen Brief ans BAG, um auf unsere Situation aufmerksam zu machen", sagt sie. Das einzige, was sich änderte: Die Sonderbewilligung, um legal Cannabistropfen zu erhalten, muss Franziska nun nicht mehr alle sechs Monate, sondern nur jährlich erneuern. Für Franziska unverständlich: "Was soll sich denn an meiner physischen Situation gross ändern? Ich werde mein Leben lang auf den Rollstuhl und auf Cannabis angewiesen sein."


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Sie fühle sich auch von der Politik im Stich gelassen, die sich eher auf den Freizeitkonsum konzentriere. Um das Kiffen zu Genusszwecken im Rahmen wissenschaftlicher Studien zu ermöglichen, forderten mehrere Parlamentarier die Schaffung eines "Experimentierartikels", der dies ermöglichen soll. Im Ständerat wurde die Motion, die einen Experimentierartikel für Cannabis fordert, oppositionslos unterstützt.

Mit Kiffern will Franziska aber nicht assoziiert werden. "Diejenigen, die medizinisches Cannabis einnehmen, machen das ja nicht zum Spass. Für mich ist es das Schmerzmittel, mit den wenigsten Nebenwirkungen. Jenes, das mir am besten hilft." Sie fühlt diese Schmerzen täglich. "Da ist mein Verständnis anderen Menschen gegenüber schon gesunken. Wenn jemand zu mir kommt und findet: 'Ich habe gestern so viel trainiert und habe jetzt Muskelkater' denke ich mir: 'Sorry, wenn du so Schmerzen hättest wie ich, würdest du jetzt am Boden liegen und weinen.'" Der Unfall habe ihr zwar sehr vieles genommen, aber auch vieles gegeben: "In meiner Situation hast du genau zwei Möglichkeiten: Entweder, du versuchst das Positive zu sehen, oder du zerbrichst daran."

Franziska wird fast rund um die Uhr entweder von der Spitex oder ihrer Assistentin Gabi betreut. Abends ist der erste Moment, an dem sie alleine ist. Eine ihrer Lieblingszeiten. Wenn sie einschläft und träumt, kann sie auch gehen. "Aber ich habe immer ein Motorrad dabei. Ich weiss, ich kann mich nur vorwärts bewegen, wenn ich dieses Motorrad benutze. Wenn ich gehen kann, dann nur zombiemässig und ich komme nicht vom Fleck." Frustrierend sei es, wenn sie aufwache und merke: "Shit, ich kann nicht einmal dieses Motorrad benutzen." Es habe Phasen gegeben, da war dieser Moment sehr schlimm. Heute habe sie sich mehr damit abgefunden.

"Vor neun Jahren war mein Kopf der schlimmste Ort für mich. Ich fühlte mich verzweifelt und wollte nicht mehr leben", erzählt Franziska. Seit sie ihre Medikamente auf Cannabis umgestellt hat, könne sie klarer denken. "Heute ist mein Kopf mein liebster Ort. Er ist das einzige, was ich noch selbst steuern kann. Ich will doch wenigstens diesen Kopf noch haben."

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