Marie Kondo aus der Netflix-Serie 'Aufräumen mit Marie Kondo'
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Netflix

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Popkultur

'Aufräumen mit Marie Kondo' macht die unsichtbare Arbeit der Frauen sichtbar

Und für die meisten Männer ist Unordnung kein Indiz dafür, dass sie in ihrer gesamten Lebensführung gescheitert sind.

Kabelsalate, Wäsche- und Geschirrberge: So was passiert mir nicht. Ich bin besessen von Ordentlichkeit. Meine Bücher sind alphabetisch geordnet, ich finde jeden Gegenstand in meiner Wohnung ohne Suchen. Ich räume auf, räume ein und beschrifte, so gut es ein Mensch nur kann.

Diese Skills habe ich zu Geld gemacht. Als ich 2016 ein paar Monate lang arbeitslos war, stellte ich eine Anzeige in ein Nachbarschafts-Netzwerk und bot mich für einen stolzen Stundenlohn als "Aufräum-Beraterin" an. Innerhalb von wenigen Tagen ertrank ich in Anfragen.

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Meine Erfahrungen im Aufräum-Gewerbe decken sich mit dem, was ich in der Netflix-Serie Aufräumen mit Marie Kondo gesehen habe. In unserer Gesellschaft haben wir gelernt, so viele Dinge wie möglich anzusammeln – sie bringen uns nicht nur Freude: Die Waren lenken uns von unseren Problemen ab. Dann kommt die Überforderung, die Gegenstände selbst werden zum Problem: Wohin mit dem ganzen Zeug?

Marie Kondo räumt eine Garage auf

Kein Wunder, dass Marie Kondo mit ihrem Konzept ein kleines Imperium aufgebaut hat. Seit die zierliche Japanerin 2011 ihr erstes Buch Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert veröffentlicht hat, kennen Menschen in aller Welt ihre "KonMari"-Methode. Mehr als sieben Millionen Exemplare ihrer inzwischen drei Bücher sind in 38 Sprachen über die Ladentheken gegangen. Das erste Buch schrieb Kondo damals, weil sie mehr Anfragen für ihre persönlichen Dienste erhielt, als sie annehmen konnte. Seit Anfang Januar, pünktlich also zu den guten Neujahrsvorsätzen, läuft eine eigene Marie-Kondo-Show bei Netflix. Die Leute lieben Aufräumen mit Marie Kondo.

Kondos Lektionen in Ordentlichkeit sind gefragt, weil wir alle zwar lernen, uns Gegenstände zuzulegen – aber die wenigsten von uns kriegen beigebracht, wie wir dann damit umgehen sollen. Das Ergebnis: Zeug sammelt sich in allen Ecken, aus Schränken und Schubladen quillt das Chaos.

Oft gerät in den Hintergrund, dass es nicht nur jemanden braucht, der die Hausarbeit durchführt. Es braucht eine Person, die den Überblick hat, die weiß, was ansteht.

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Dabei ist das nur die halbe Wahrheit. Unsere Gesellschaft erwartet seit jeher von Frauen, dass sie den Haushalt führen. Frauen bewahren und räumen auf, sie organisieren und planen. Natürlich ist das eine Verallgemeinerung, es gibt auch Familien, in denen Männer haushalten. Aber selbst in Haushalten, in denen beide Partner in Vollzeit arbeiten, erledigen Frauen weiterhin den Löwinnenanteil der Hausarbeit.

Dabei gerät oft in den Hintergrund, dass es nicht nur jemanden braucht, der die Hausarbeit durchführt. Es braucht eine Person, die den Überblick hat, die weiß, was ansteht. Jemand muss sich für das große Ganze verantwortlich fühlen. Und diese Person ist meist eine Frau. Die französische Comiczeichnerin Emma bringt das Problem auf den Punkt: Für den Guardian zeichnete sie die Geschichte einer überforderten Mutter, die Gäste bekocht, während sie die Kinder versorgt. Das Dinner kocht über, der Mann ist entsetzt: "Du hättest fragen sollen! Ich hätte geholfen!" Fragen, weil die Mutter nun mal die Verantwortliche ist; andere erledigen nur dann Hausarbeit, wenn sie um "Hilfe" gebeten werden.

Wenn etwas schiefgeht, ist es die Schuld der Frau, die nicht rechtzeitig delegiert hat, was eigentlich ihre Verantwortung ist. "Das Problem daran: Alles planen und organisieren ist für sich schon ein Vollzeitjob", heißt es in dem Comic. "Wenn wir von Frauen erwarten, dass sie die gesamte Arbeit organisieren und dazu noch einen großen Teil davon durchführen, machen sie am Ende drei Viertel der Arbeit."

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Marie Kondo lässt sich von einem Ehepaar deren Wohnzimmer erklären

Vielleicht planen Frauen zwar fast alles im Haushalt, aber Männer setzen die Pläne um? Nope.

Weil die Planung und Organisation eines Haushalts auch Kopfarbeit ist, bleibt sie fast vollkommen unsichtbar. Statt Dankbarkeit bekommen Frauen oft Vorwürfe zu hören: Nicht umsonst gibt es das Klischee von der meckernden Frau, die Mann und Kindern unablässig mit irgendwelchen Aufgaben in den Ohren liegt. In den vergangenen Jahren haben mehrere Autorinnen Selbstversuche unternommen, in denen sie eine Zeit lang das Haushaltsmanagement verweigerten. Das Resultat ist meist, dass der Partner einen Plan zusammenschustert, der hinten und vorne wackelt: Das Essen kommt vom Lieferservice, das Kind landet ohne Ballettschuhe in der Tanzschule oder bekommt seinen Wisch für den Schulausflug nicht unterschrieben. Der Haushalt löst sich an den Nähten auf.

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Unordentliche Kleiderhaufen sind für die Frauen häufig ein Grund, sich zu schämen. Die meisten Männer wirken davon lediglich genervt; Unordnung ist kein Indiz dafür, dass sie in ihrer gesamten Lebensführung gescheitert sind.

Aufräumen mit Marie Kondo macht dieses unsichtbare Ungleichgewicht sichtbar. In jeder Folge besucht Kondo eine andere Familie, die aus verschiedenen – aber immer ähnlichen – Gründen keine Ordnung halten kann. Während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausmisten und ihren Haushalt übersichtlich machen, kommt es zu Konflikten. Kondos Netflix-Show übertüncht die Meinungsverschiedenheiten nicht, sondern rückt sie in den Mittelpunkt einer jeden Folge.

Auffällig sind vor allem die verschiedenen Gefühle, die Männer und Frauen angesichts ihres Chaos an den Tag legen: Unordentliche Kleiderhaufen und Krimskrams in den Ecken sind für die Frauen häufig ein Grund, sich zu schämen. Die meisten Männer dagegen wirken davon lediglich genervt; Unordnung ist kein Indiz dafür, dass sie in ihrer gesamten Lebensführung gescheitert sind. Ein Mann, dessen Baseballkarten und Schachteln mit Dokumenten sich bis unter die Decke türmen, wäre laut eigener Aussage auch glücklich damit, wenn alles beim Alten bliebe.

Marie Kondo explaining her five step method

Ein Screenshot aus der Netflix-Serie

Die dritte Folge handelt von der Familie Mersier, die sich selbst die "Fantastic Four" nennt. Die Mutter trägt nicht nur die organisatorische Last, sie erledigt auch fast die gesamte Hausarbeit. "Wenn wir ein bestimmtes Shirt suchen, fragen wir immer sie", erzählt Ehemann Douglas gegenüber Marie Kondo. "Wahrscheinlich bekommen Sie solche Fragen ständig", sagt die Japanerin durch ihre Dolmetscherin zu Ehefrau Katrina. Die bejaht das erschöpft und zeigt, dass ihre eigene Kleiderschublade die einzig übersichtliche im Haus ist. Katrina Mersier wirkt verzweifelt und verständlicherweise genervt.

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Trotz allem fühlt sie sich schuldig und spricht, als wäre sie allein verantwortlich für ihre Familie: "So wie ich das mache, bereite ich sie nicht auf ein erfolgreiches Leben vor." Ihr Mann verlässt sich darauf, dass Katrina den Haushalt schmeißt: Er selbst wisse nicht, wie das meiste geht, weshalb er es erst gar nicht versuche.

Kondo zeigt den Mersiers ihre KonMari-Methode: Alle Gegenstände im Haushalt werden nach Kategorien bearbeitet statt nach Zimmern. Angefangen wird mit Kleidung, dann kommen Bücher, Papiere, die Komono (Küche, Bad, Garage, Diverses) und am Ende sentimentale Gegenstände. Alle Sachen sollen in einem großen Haufen liegen, bevor man sie aussortiert – so bekommt man einen Eindruck, wie viel man tatsächlich besitzt.

Hier kommt das Markenzeichen der Japanerin ins Spiel: Behalten wird nur, was Freude auslöst – "spark joy", wie es in Kondos Fachsprache auf Englisch heißt. Mit einem spitzen "Ching!"-Ausruf und strahlendem Lächeln demonstriert Kondo den Teilnehmenden das gesuchte Gefühl. Bei allem Enthusiasmus fürs Ausmisten bleibt die Ordnungs-Queen aber stets einfühlsam: Niemand wird gezwungen oder unter Druck gesetzt, etwas wegzuschmeißen. Die Ordnung muss aus eigenem Antrieb entstehen.

Marie Kondo advises a couple

Im Zuge der wochenlangen KonMari-Aktion fängt Ehemann Douglas an, sich aktiver am Haushalt zu beteiligen, zum Beispiel, indem er Wäsche zusammenlegt. Am Ende gibt er zu: "Mir war nicht klar, wie viel Arbeit das alles macht, bis ich es mal selbst gemacht hatte. Ab sofort will ich also mehr helfen." An einer Stelle sagt Douglas sogar, er werde dank der Erfahrung erwachsen. Sohn Nolan bestätigt: "Marie hat meine Mutter sehr entlastet. Jetzt können meine Schwester und ich Dinge selbst machen, ohne sie ständig zu fragen."

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Solche Szenen lassen Kondos Methode extrem nützlich wirken. Männer wie Douglas haben zuvor jahrelang so wenig Verantwortung für ihre eigenen Kinder übernommen, dass sie nicht einmal mitbekommen haben, wie viel Arbeit ein Kind macht. Ein Frühlingsputz der Marke Kondo zeigt Ehemännern wie Kindern, wie viel ihre Frauen und Mütter eigentlich leisten.

Zum Thema Gleichstellung hält Kondo sich allerdings bedeckt. Einerseits betont sie den Mersiers gegenüber, jede Person solle für ihre eigenen Sachen verantwortlich sein. Dass alles an der Mutter hängen bleibt, findet auch Kondo falsch. Aber sie teilt, anscheinend ohne vorher zu fragen, den Männern routinemäßig die Garage zu und lässt die Frauen dafür die Küche aufräumen. Das eine homosexuelle Paar in der Show, zwei junge Schwule, räumen die Küche gemeinsam auf und haben keine Garage auf Vordermann zu bringen.

Die Serie zeigt, wie viel einfacher und fairer es in einem Haushalt zugehen kann, wenn alle anpacken. Diese Erkenntnis wirkt allerdings wie eine positive Nebenwirkung: Marie Kondo erwähnt die Geschlechterfrage selbst nie direkt. Das ist womöglich Kalkül, immerhin ist Japan in dieser Hinsicht nicht unbedingt das aufgeschlossenste Land. Auch international erreicht Kondo sicher ein größeres Publikum, wenn sie unpolitisch und gefällig bleibt. Allerdings hat die Japanerin selbst zwei Kleinkinder und betont immer wieder gegenüber anderen Müttern: Kinder machen nun mal Dreck und Unordnung. Selbst bei ihr zu Hause könne sich mal ein wenig Chaos einschleichen.

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Es ist auch nicht sicher, dass die Männer nach der Aufräum-Aktion in jedem Fall verstanden haben, welche Belastung die Verantwortung für den Haushalt bedeutet. In der ersten Folge besucht Kondo etwa die Familie Friend, der berufstätige Ehemann Kevin und Hausfrau Rachel streiten sich im Vorfeld öfter über die Pflichten. Kevin schimpft mit Rachel, weil sie eine Haushaltshilfe kommen lässt, die sich um die Klamotten im Haus kümmert. "Dabei ist das was, das du auch selbst erledigen könntest." Schnitt zu Rachel, die sich um herumschreiende Kinder kümmert; sie erklärt, wie schwierig es ist, alles unter einen Hut zu bringen. "Auf diesem Bett liegen sieben Kissen!", regt Kevin sich an einer Stelle auf. "Das sind nicht mal Dekokissen."


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Selbst nach Kondos Intervention zeigt Rachels Ausdrucksweise, dass sie sich komplett verantwortlich fühlt: "Ich lasse nicht zu, dass ich wieder faul werde. Ich will das hier am Laufen halten." Es ist vielleicht nicht verwunderlich, dass sie sich für den Haushalt hauptverantwortlich fühlt, immerhin ist ihr Mann laut eigenen Angaben 50 bis 60 Stunden die Woche mit seiner bezahlten Arbeit beschäftigt. Dass sie ihre bisherigen Schwierigkeiten allerdings als "Faulheit" bezeichnet, spricht Bände.

In meiner eigenen Arbeit als Aufräumerin stellte ich fest, dass meine Hauptkundin mich in erster Linie nicht für das Aufräumen schätzte – sondern meine Gesellschaft. Nachdem ich ihre drei Problemzimmer durchorganisiert hatte, wollte ich mich von ihr verabschieden, doch sie ließ mich nicht: Könne ich nicht noch schnell auf das Baby aufpassen, während sie einkaufen ginge?

"Das möchte ich nicht", sagte ich. "Ich kenne mich mit Kindern nicht aus, ich kann keine erste Hilfe. Ich bin doch nur zum Organisieren da." Da war sie schon zur Tür hinaus. Das Kind lag neben mir auf einer Decke, ich räumte weiter auf. Irgendwann griff das Baby nach meiner Hand und klammerte sich mit überraschender Kraft an meinem Zeigefinger fest. Ich erwartete, dass mich eine Welle mütterlicher Gefühle überkommen würde. Stattdessen fühlte ich so etwas wie Ekel, Trauer und Angst. Plötzlich kam mir die Last der unsichtbaren Frauenarbeit unausweichlich vor.

Mir wurde klar, dass ich diese Arbeit niemals unbezahlt – oder überhaupt jemals – machen will. Nicht ohne jemanden, der die Verantwortung gerecht mit mir teilt. Als die Kundin mich am nächsten Tag per SMS anfragte, schrieb ich zurück, ich hätte keine Termine mehr frei.

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