Ich habe eine Woche lang wie ein Instagrammer gelebt

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Popkultur

Ich habe eine Woche lang wie ein Instagrammer gelebt

Ich nötige meinen Freund, ein Bild von mir zu machen, auf dem ich mit dem nackten Rücken zur Kamera liege und so tue, als würde ich schlafen.

Ich hasse diese Phase gegen Anfang des Jahres, in der ich einfach nicht weiß, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Da komme ich mir vor wie eine Videospielfigur in einem Level, in dem die Mission nicht verständlich erklärt wurde: Soll ich Münzen sammeln? Einen Gegner verprügeln?

Die einzigen Menschen, die – wie immer – selbst zu dieser tristen Jahreszeit ihr Leben auf der Reihe zu haben scheinen, sind Blogger und Instagrammer: Wunderhübsch wie eh und je strahlen sie auf ihren Selfies und stoßen auf Blogger-Events mit Moët & Chandon an: "New year, new me! Many exciting projects to come!" Und wenn ich diese Bildunterschrift lese, fühle mich automatisch gleich noch viel schlechter: einerseits, weil ich nicht auf diesen Events bin und andererseits, weil das einzige "exciting project", auf das ich mich 2017 freue, ist, endlich den kompletten Thriller-Tanz zu lernen.

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Ob ihr es glaubt oder nicht: Ich war tatsächlich schon einmal auf einem Blogger-Event. Zugegeben, es handelte sich um eine Präsentation elektronischer Haushaltsgeräte, Staubsauger und Dampfbügeleisen, und die einzigen Leute, mit denen ich sprach, waren zwei Bloggerinnen, die behaupteten, pürierte Kichererbsen schmeckten wie Keksteig.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Michael Buchinger

Ansonsten bewundere ich die perfekten Avocado-Brote und glamourösen Selfies der Instagram-Stars nur auf meinem Handy und wünschte, mein eigenes Leben könnte ein bisschen mehr wie ihres sein.

Ich weiß, die Leute sagen immer "Instagram ist nicht real!" und "Miss dich nie mit anderen". Das ist ein gut gemeinter Rat, aber auch ein sehr langweiliger. Ich liebe es, mich mit anderen zu vergleichen, und frage mich, was passieren würde, wenn ich eine Woche lang versuchen würde, ein instagram-reifes Leben voll von wunderschönen Bildern und #goals zu führen.

Womöglich ist genau das der Leitfaden, den ich brauche, um meinem Januar-Blues zu entkommen. Ich muss es herausfinden!

Tag 1

Mit dem frischen Wind dieses Selbstexperiments in meinen Segeln beschließe ich, zum Frühstück jenen "Cookie Dough" zuzubereiten, von dem ich vorhin erzählt habe, und stelle erfreut fest, dass ich alle zu vermengenden Zutaten bereits zu Hause habe: Kichererbsen, Milch, Zucker, Vanille und Kakao-Nibs. Nennt mich Gwyneth!

Dieselbe irrationale Logik, die einen wohl dazu verleitet, Süßspeisen mit Hülsenfrüchten nachzuahmen, bringt mich dazu, mich ohne Hose, dafür aber mit Sneakern, ins Bett zu setzen und meinen "gesunden Keksteig" zu verkosten. "Breakfast in Bed!", denke ich mir frivol, gönne mir gierig den ersten Bissen und komme zu einer Erkenntnis:

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Kichererbsen schmecken auf die gleiche Art und Weise nach Keksteig, auf die ich wie Ryan Gosling aussehe. Mein geschulter Gaumen merkt den Betrug beim ersten Bissen und ich spiele mit dem Gedanken, die zwei lügenden Bloggerinnen ausfindig zu machen und sie vor Gericht zu ziehen.

Irgendetwas sagt mir, dass diese Woche anstrengender wird als gedacht.

Tag 2

Ich gebe zu, dass ich nach der Enttäuschung des Frühstücks meinen restlichen Tag nicht mehr sehr instagram-tauglich verbracht habe, und schwöre, mich heute zu bessern. So zwinge ich meinen Freund Dominik nach unserem gemeinsamen Mittagessen in einem Restaurant dazu, "Outfit of the Day"-Bilder von mir zu machen.

Ich verkaufe ihm diese Idee als "spontanen, völlig verrückten Einfall", obwohl ich heute Morgen 45 Minuten an meinem Outfit gefeilt habe und für mein Vorhaben sicherheitshalber meine Spiegelreflexkamera mit zum Essen genommen habe. Lügen: das Fundament einer jeden guten Beziehung.

Wie alle stilbewussten Instagram-Blogger bestehe auch ich darauf, mich trotz -3 Grad Außentemperatur ausschließlich mit nackten Knöcheln ablichten zu lassen und ziehe meine Socken deshalb am Straßenrand aus. Insgesamt macht mein Freund 50 Fotos von mir, aus denen eines, auf dem ich so tue, als würde ich telefonieren, als klarer Sieger hervorgeht. #workworkwork #ootd

Dann eile ich nach Hause, um Yoga zu machen.

Tag 3

Ich weiß nicht, ob es euch schon aufgefallen ist, aber alle beliebten Instagrammer machen täglich Yoga, aber niemand von ihnen scheint es sonderlich entspannt anzugehen: Meistens, wenn sie davon berichten, erzählen sie eine Variation von "Ich war in einem Meeting, aber dann bin ich nach Hause gerast, um 20 Minuten Yoga zu machen", als wären sie Superman, der gerade einen Hilfeschrei gehört hat.

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So ist es auch mir gelungen, bisher an jedem meiner busy Tage mindestens 20 Minuten Yoga reinzuquetschen. Dabei musste ich schon mal ein dreistündiges Nickerchen frühzeitig unterbrechen oder mein 1000-teiliges Puzzle einfach so liegen lassen, um meinem Körper die Ruhe zurückzugeben, die ich ihm durch meinen hektischen Alltag nehme.

Ich entscheide mich, Yoga mithilfe von YouTube-Videos zu machen und höre einer Lehrerin zu, die mir rät, mir vorzustellen, dass ich "einen goldenen Faden durch die Nase" einatme. Warum in aller Welt sie denkt, dass mich diese Vorstellung beruhigt und nicht absolut panisch macht (ist das nicht unhygienisch? Wer weiß, wo der Faden vorher war!), ist mir ein Rätsel.

Zugegeben: Die Übungen sind ganz entspannend, doch leider scheitere ich daran, ein Selfie beim Yoga zu machen, auf dem ich nicht so aussehe, als hätte ich gerade von einem Trauerfall in der Familie erfahren. Wenn ich Yoga mache und kein instagram-taugliches Bild davon habe, habe ich dann überhaupt Yoga gemacht?

Tag 4

Vielleicht liegt es am Yoga, aber heute bin ich schon um 6 Uhr wach geworden. Wie eine Spinne, die bereit zur Attacke ist, warte ich, bis Dominik sich neben mir zum ersten Mal regt, und nötige ihn dann, ein Bild von mir zu machen, auf dem ich mit dem nackten Rücken zur Kamera liege und so tue, als würde ich schlafen.

Für dieses relativ simple Bild brauchen wir fünf Minuten, da es notwendig ist, dass mein Freund meinen Körper in eine schöne Position bringt. Zärtlich wie ein Gerichtsmediziner bei einer Leiche drapiert er meine Gliedmaßen.

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Wir gehen in ein Lokal frühstücken, das Acai-Bowls serviert, welche ich persönlich noch nie gegessen habe, Instagram-Nutzer aber lieben. Obwohl ich finde, dass das Gericht ziemlich gut schmeckt, scheitere ich daran, ein auch nur annähernd gutes Foto davon zu machen, da die Beleuchtung im Restaurants für Blogger wie mich der absolute Horror ist!

Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, werde ich plötzlich sauer: Nun bin ich schon vier Tage lang professioneller Instagrammer und wurde noch immer nicht auf ein edles Blogger-Event eingeladen! So beschließe ich, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und lade kurzerhand ein paar Freunde in eine schicke Bar auf Drinks und Häppchen ein.

"Seht uns an: eine Gruppe an jungen Leuten, die Alkohol trinken und Snacks essen! Man möchte meinen, das ist ein Blogger-Event. Ahahaha!", sage ich nervös lachend. Meine Freunde sehen mich verdutzt an. "Was meinst du?", antwortet Simone, "Warum soll das ein Blogger-Treffen sein? Niemand von uns bloggt."

"Haha, na ja, all diese Drinks und das Essen, haha. Wir sollten uns einen Hashtag ausdenken und ein paar Fotos machen, die wir morgen mit der Bildunterschrift 'About last night …' posten hahaha!", schlage ich vor und verliere langsam meine Selbstsicherheit. Niemand geht auch nur in geringster Weise auf meine Vorschläge ein. Kurze Zeit später begleiche ich meine Rechnung und eile nach Hause, um Yoga zu machen.

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Tag 5

Da ich mit sämtlichen Koch-Experimenten im Rahmen dieser Woche so viel Erfolg hatte wie Kader Loth mit ihrer Gesangskarriere, beschließe ich, mein Glück noch einmal herauszufordern, und backe vegane, zuckerfreie Blaubeermuffins.

Es steht zwar nicht im Rezept, und weder haben ich noch irgendjemand, den ich kenne, Glutenintoleranz, aber dennoch beschließe ich, ein absolutes Arschloch zu sein und diese zuckerfreien, veganen Muffins mithilfe von "glutenfreiem Mehl" aus dem Spielverderberregal zu backen.

Sie schmecken – surprise, surprise – absolut fürchterlich. Wenigstens sehen sie relativ gut aus, und so kann ich einen der Muffins für ein "Things organized neatly"-Bild verwenden, bei dem ich wahllos ein paar blöde Gegenstände auf den Boden lege, als wäre ich ein Hippie, der nicht an Tische glaubt.

Tag 6

Ich möchte ehrlich sein: Obwohl ich mich oft über "professionelle Instagrammer" lustig gemacht habe, finde ich es wahnsinnig anstrengend, auch nur ein paar Tage in ihre Rolle zu schlüpfen.

Es ist nervig, wieder und wieder Kleinigkeiten aus meinem Alltag finden zu müssen, die interessant sein könnten, und sie dann so abzulichten, dass die Fotos nicht so aussehen, als hätte sie ein Schimpanse gemacht.

Ob meiner Hand, die so zittert, als wäre ich auf Alkoholentzug, brauche ich für jedes so genannte "Flatlay" (also einem Bild aus der Vogelperspektive) gefühlte drei Stunden und da ich nun 52 Fotos einer Acai Bowl auf dem Handy habe, meldet mir dieses im Minutentakt, dass ich "nicht genügend Speicherplatz" habe.

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Mein Freund ist mittlerweile zu meinem persönlichen Fotosklaven mutiert, den ich ausnutze wie einen unbezahlten Praktikanten bei einem Modemagazin, und wenn ich noch einmal Yoga machen muss, erhänge ich mich mit dem goldenen Faden aus meiner Nase.

Aber was soll's: Auf Instagram sieht mein Leben PRIMA aus und alles wirkt BESTENS!

Tag 7

Am heutigen, letzten (juhu!) Tag meines Experiments läuft vorerst alles wie am Schnürchen: Ich wache früh auf, bereite ein gesundes Frühstück zu und beschließe, joggen zu gehen, um das absolute Arschloch-Bild posten zu können.

"#noexcuses #nopainnogain", schreibe ich unter einem Bild von mir in Jogging-Kleidung. Angesichts der Tatsache, dass es heute -5 Grad draußen hat, fühle ich mich bei meinem Vorhaben wie ein absoluter Kriegsheld und sehe die Like-Anzahl rasant steigen, bevor ich überhaupt das Haus verlassen habe.

Was meine Follower nicht wissen: Ich halte es keine fünf Minuten draußen aus. Da ich einer dieser Menschen bin, die beim Joggen den Mund aufreißen, als wären sie ein Golden Retriever im Auslauf, fühlt sich meine Kehle aufgrund der Kälte an, als hätte ich Rasierklingen geschluckt. Also gehe ich wieder nach Hause.

Mittlerweile habe ich aber das Politiker-Level des Lügens erreicht: Es ist mir egal, dass mein Jogging-Bild mehr Schein als Sein ist, und so versuche ich, mich nach meiner Rückkehr für meinen finalen Instagram-Post an einem letzten Unterfangen in der Küche: echte, mit 400 Gramm Zucker und jede Menge Gluten vollgeladene Kekse, in denen von Kichererbsen keine Spur ist.

Beim Backen reflektiere ich. Mein kurzes Leben als professioneller Instagrammer war nicht leicht. Ich habe erkannt, dass hinter jedem wunderschönen Foto nicht nur jede Menge Zeit, sondern auch viele genervte Mitmenschen und ein bisschen Erwartungsdruck stecken. Wer möchte schon einem Blogger folgen, der genau so ein langweiliges Leben führt wie man selbst?

Nach dieser Woche der verschönten Realität erkenne ich, spätestens als ich den warmen Keks in meinen Mund wandern lasse, eine unbestreitbare Wahrheit: Nicht alles, was glänzt, ist Gold und nicht alles, was auf Instagram wahnsinnig erstrebenswert aussieht, ist in Wirklichkeit super.

Aber was soll's: Ähnlich wie völlig kichererbsenfreie Kekse ist auch nur das Genießen von echten, spontanen Momenten das einzige Wahre und wird immer ein bisschen besser sein als jedes schöne Foto, das ich machen kann. Und allein diese Erkenntnis reicht mir schon aus, um meinen tristen Januar-Blues zu besiegen.

Michis Social-Media-Karriere könnt ihr auf Instagram, YouTube, Facebook und Twitter weiter verfolgen. Sein erstes Buch erscheint am 14. Juli.