Die Autorin trinkt Muttermilch aus einem Glas – als Erwachsene
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Menschen

Ich habe eine Woche lang Muttermilch getrunken

Als Erwachsene Muttermilch trinken: Wie es der Gesundheit nützt und wie es sich anfühlt, einem Baby etwas wegzunehmen.

Meine Freundin Marina bringt die Saugglocke ihrer Milchpumpe an ihrer Brust an und drückt auf den Knopf. Das mechanische Geräusch der Pumpe vermischt sich mit dem Besteckgeklapper der Werbeleute, die nebenan zu Mittag essen. Marina hat eine zweijährige Tochter, die gerade entwöhnt wird, und ich schaue in ihrem Büro vorbei, um mit ihr Mittagspause zu machen und etwas von ihrer Muttermilch zu trinken.

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Milch ist natürlich Nahrung für Babys, aber wenn man einigen (teilweise recht fragwürdigen) Publikationen glauben darf, dann ist Muttermilch für Erwachsene auch ein stärkender Nektar. der verjüngend wirkt. Manche behaupten, sie tut der Haut gut, stärkt das Immunsystem, hilft beim Muskelaufbau und dient sogar als Pflegemittel für Kontaktlinsen. Und sie soll auch noch spitze schmecken. Deswegen habe ich beschlossen, den Trank des Lebens zu probieren und herauszufinden, ob Marinas Milch auch bei mir Wunder bewirkt.

Eien Frau pumpt sich Muttermilch ab, die die Autorin später trinkt

Marina mit ihrer Pumpe | Alle Fotos von der Autorin

Marina will langsam mit dem Stillen aufhören. Sie hat also noch etwas Milch für mich übrig. Dem Baby werde es dabei prächtig gehen, versichert sie mir. Die Pumpe saugt an Marinas Brustwarze und Milch träufelt in den Behälter, der an dem Gerät hängt. Nach einer Viertelstunde ist er fast voll. Als sie die Milch auf den Tisch stellt, untersuche ich sie eingehend. Sie sieht flüssig aus, so wie sehr fettarme Milch. Ich fühle mich immer noch, als würde ich einem Kind seine Nahrung stehlen, aber Marina verspricht mir, die Kleine habe mehr als genug.

Zögerlich nehme ich ein Schlückchen. Die Milch ist warm und irgendwie süß—sie erinnert mich an wässrige spanische Getränk Horchata aus Nüssen und Samen. Sie unterscheidet sich gar nicht so sehr von Hafer- oder Reismilch, bis auf den Nachgeschmack, der mir verdeutlich, dass ich etwas trinke, das aus einem Säugetier kam. Ich werfe ihr einen Blick zu, der sagt "Krass, ich hab' gerade deine Muttermilch getrunken", und sie lächelt mich an. Sie habe schon oft ihre eigene Milch getrunken, und sogar damit gekocht. "Ich produziere so viel Milch, dass ich nicht weiß, was ich damit machen soll. Es ist zu viel für das Baby, und ich fühle mich schrecklich dabei, sie wegzuschütten."

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Erwachsene, die Muttermilch trinken, sind kein neues Phänomen. Es gibt die Geschichte aus dem Jahr 30 n. Chr., in der die Römerin Pero heimlich ihrem inhaftierten Vater Cimon die Brust gibt, um ihn vor dem Hungertod zu bewahren. Ein Mann hat es sogar geschafft, durch Muttermilch heiliggesprochen zu werden: Dem Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux soll die Jungfrau Maria im Traum erschienen sein, wo sie ihm ihre Muttermilch ins Auge oder in den Mund spritzte, um ihn von einem Leiden zu erlösen oder ihm Weisheit zu schenken. Es gibt einige Versionen der Geschichte. Die alten Ägypter sollen Muttermilch übrigens auch eingesetzt haben, um Wunden zu versorgen.

Marienerscheinung bei der eine Statue Muttermilch aus ihrer Brust spritzen lässt

St. Bernhard während seiner Marienerscheinung der besonderen Art | Bild: Gemeinfrei

Und jetzt bin ich an der Reihe. Mein erster Schluck kam frisch aus der Brust. Doch die Milch, die ich mit nach Hause nehme, hat Marina in den letzten Monaten eingefroren. Ich bewahre die sechs Gläser mit je 50 Millilitern Milch im Kühlschrank auf. Auf jedem Glas steht das Datum, an dem die Milch gepumpt wurde.

In den ersten paar Tagen trinke ich die Milch pur, wie es sich für das Elixier der ewigen Jugend gehört. Ich fühle mich energiegeladener, wacher und reiner. Ich bin nach zwei Stunden Pilates nicht so erschöpft wie sonst. Das Gefühl schwindet, als ich mich mit Alba Padró treffe. Sie ist zertifizierte Stillberaterin und Mitgründerin von LactApp, einer App für stillende Frauen. Sie erinnert mich an den Placebo-Effekt.

Die gesundheitsfördernde Wirkung der Muttermilch sei zwar real—aber nur für Babys. Doch Padró fügt hinzu: "Es ist wahr, dass Muttermilch die Auswirkungen einer Chemotherapie lindern kann, also trinken manche Leute die Milch während ihrer Behandlung." Die zunehmende Beliebtheit von Muttermilch in der Bodybuilding-Szene basiere aber auf einem Irrglauben, sagt sie. "Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Energie, die Leute nach dem Trinken von Muttermilch verspüren, tatsächlich auch daher kommt." Menschliche Milch habe eine sehr geringe Proteinkonzentration, erklärt Padró, denn bei uns wächst ein Baby sehr langsam. "Milch von einer Kuh, einem Hasen oder sogar einer Maus hat verhältnismäßig mehr Nährstoffe für Erwachsene als die Milch einer Frau", sagt sie. "Ich kann mir vorstellen, dass Muttermilch möglicherweise Sportlern helfen könnte, sich gewisse Mineralien zurückzuholen, aber das könnte man genauso gut mit anderen Getränken und Mischungen erreichen. Ich halte das einfach für einen Trend, der keine wissenschaftliche Basis hat. Natürlich ist Muttermilch ein Superfood, aber eben nur für Babys."

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Abgepumpte Muttermilch im Kühlschrank, die die erwachsene Autorin später trinkt

Ich mag meinen blinden Glauben in die gesundheitlichen Vorteile der Muttermilch bei Erwachsenen verloren haben, doch ich bin weiterhin entschlossen, jeden Morgen ein Glas zu trinken. Es ist aber nicht mehr dasselbe. Am vierten Tag kippe ich die Milch einfach in meinen Kaffee, trinke in Eile und verbrenne mir die Zunge.

Ich bin spät dran für mein Treffen mit Marga Cáceres. Marga hat ein Jahr lang eine Chemotherapie machen müssen, um ihren Brustkrebs zu besiegen. Das scheint ihr zum Glück auch gelungen zu sein. Während der Behandlung nahm sie eine tägliche Dosis von 100 Millilitern Muttermilch. "Die Chemo hatte schreckliche Nebenwirkungen: Übelkeit, ein ständig verstimmter Magen, Appetitverlust. Das verschwand alles, als ich anfing, Muttermilch zu trinken. Vielleicht war es Zufall, aber die Auswirkungen der Chemo waren nicht einmal mehr halb so schlimm wie vorher", sagt Marga. Sie kaufte die Milch von der Bekannten einer Freundin. "Die Verkäuferin versprach mir, sie habe mehr als genug Milch und könne das Geld brauchen. Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, ob ich falsch oder richtig handle. Es war einfach das, was ich in dieser Situation tun musste."

Fast ein Jahr lang kaufte Marga unregelmäßig Muttermilch. Sie bezahlte 15 Euro für ihre tägliche Portion, 20 Tage pro Monat, macht insgesamt 300 Euro im Monat. Marga ist Spanierin und erzählt, dass der Schwarzmarkt in Spanien wachse. Es gibt auch offizielle, legale Muttermilchbanken, doch der Zugang zu diesen Banken sei auf Leute beschränkt, die Babys zu füttern haben. Die offiziellen Milchbanken garantieren, dass die Muttermilch frei von Krankheitserregern und Zusatzstoffen ist, wofür es bei Privatkäufen keinerlei Garantie gibt. Studien haben gezeigt, dass die unregulierte Muttermilch gefährlich sein kann, weil sie womöglich mit Bakterien kontaminiert oder mit Wasser oder Kuhmilch verdünnt ist.

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Noch mehr abgepackte Muttermilch, die die Autorin später trinkt

Wie jede Körperflüssigkeit kann auch Muttermilch eine lange Liste von Krankheiten übertragen: HIV, Syphilis, Hepatitis oder Humanes T-lymphotropes Virus 1, das Krebs verursachen kann. Über diese Risiken habe ich mit Marina gesprochen, bevor ich ihre Milch getrunken habe. Sie zeigte mir ihre medizinischen Unterlagen und Blutwerte.

In den letzten beiden Tagen meiner Woche mit Muttermilch weiß ich schon, dass mein Selbstversuch im Grunde nichts gebracht hat. Ich bringe es aber nicht über mich, die letzten Milchgläser auszuschütten, also wärme ich sie beide auf und gebe je einen Esslöffel Kakaopulver hinzu. Ich sitze auf dem Fensterbrett und schaue nach draußen, während ich meinen Kakao trinke. Auf der Straße schiebt ein Vater einen Kinderwagen. Das Baby nuckelt an einem Fläschchen und scheint mich dabei wenig erfreut zu mustern. Ich stehe auf und ziehe mich schnell in die Küche zurück. Was auch immer Muttermilch nun für eine Wirkung bei Erwachsenen hat, sie zu trinken, fühlt sich an, als würde man etwas von einem Baby stehlen.

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